Zoff um viel zu teuren Strom: Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erhebt in der AZ radikale Forderung

München - Für die rund 400 Mitarbeiter war es ein Schock: Ende Juli gab der Papierhersteller UPM bekannt, sein Werk in Plattling zu schließen. Neben gesunkener Nachfrage sollen die hohen Energiepreise eine Rolle für die Entscheidung gespielt haben. Und auch die Papierfabrik von Sappi im unterfränkischen Stockstadt steht nach Medienberichten wohl vor dem Aus. Eine von mehreren Ursachen für die drohende Schließung sind die explodierenden Energiepreise.
Vor einer "schleichenden Deindustrialisierung", warnte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft jüngst. Und Bernhard Langhammer, Sprecher der Initiative "ChemDelta Bavaria" sagte gerade erst dem BR, es sei es bei den heutigen Energiepreisen für einige Branchen unmöglich, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Langhammer vertritt Firmen im ostbayerischen Chemiedreieck mit gut 20.000 Beschäftigten. Anderswo machten Manager bereits Nägel mit Köpfen: Der Chemieriese BASF will in Deutschland 2.600 Stellen streichen.
Die USA locken mit Billigstrom aus Atom- und Kohlekraftwerken: Aiwanger fordert Gegenmaßnahmen
Das Problem: Die Unternehmen müssen derzeit Gas und Strom zu viel höheren Preisen kaufen als vor dem Ukraine-Krieg. In vielen Teilen der Erde ist Industriestrom deutlich billiger – auch in den meisten EU-Ländern.
Für Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ist deshalb auf AZ-Anfrage klar: "Deutschland braucht dringend einen international wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstrompreis, sonst erleben wir eine Massenabwanderung von Betrieben in die USA, wo die Kilowattstunde Energie für zwei bis drei Cent angeboten wird." Er fordert einen Strompreis für die Wirtschaft, "von vier Cent Netto".

Das ist selten: Hubert Aiwanger und Florian von Brunn (SPD) sind einer Meinung
Zum Vergleich: In den vergangenen Monaten mussten Industrieunternehmen Experten zufolge acht bis 20 Cent zahlen. Und im Winter sind erneut massive Steigerungen möglich. Auch Handwerk und Tourismus müssten deshalb profitieren, findet Aiwanger. "Jeder vierte Betrieb in Deutschland sagt aktuell, er will dichtmachen oder ins Ausland gehen. Es ist volkswirtschaftlich sinnvoller, diese Betriebe zu entlasten als sie ganz zu verlieren", so der Freie-Wähler-Chef.
Ausnahmsweise ist er da mit Bayerns SPD-Spitzenkandidat Florian von Brunn einer Meinung: "Wir setzen uns für einen schnellstmöglich wirksamen, zeitlich begrenzten Industriestrompreis und eine Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum ein."
Michael Schrodi (SPD): "Der Staat muss Arbeitsplätze schützen"
Auch die SPD-Bundestagsfraktion hält dies für eine gute Idee. Deren finanzpolitische Sprecher Michael Schrodi sagt der AZ: "Nach dem Aus des Spitzenausgleichs für energieintensive Unternehmen, braucht es eine zeitlich befristete Anschlussregelung, welche Firmen in der Übergangsphase zu den Erneuerbaren Energien unterstützt." Der Staat müsse Industriearbeitsplätze hierzulande schützen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist ebenfalls dafür. Sein Ministerium hat im Mai ein Konzept vorgestellt. Energieintensive Firmen müssten demnach nur sechs Cent pro Kilowattstunde Strom zahlen, begrenzt auf 80 Prozent des Verbrauchs. Großer Blockierer in der Ampelregierung sind ausgerechnet die sonst wirtschaftsfreundlichen Liberalen.
FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner trägt die schwarze Null im Haushalt wie eine Monstranz vor sich her und blockiert dadurch zahlreiche Ausgaben. In der FDP-Bundestagsfraktion fürchtet man auch eine Wettbewerbsverzerrung durch Subventionen.
Kathrin Flach Gomez (Linke): "Bayern hat es versäumt, Kapazitäten für Erneuerbare Energien zu schaffen"
Alois Rainer (CSU), Vorsitzender des Finanzausschusses des Bundestags, sagt dagegen der AZ: "Wenn wir energieintensiven Unternehmen nicht mit einem Wirtschaftsstrompreis helfen, ist der finanzielle Schaden für den Staat durch die Abwanderung von Firmenstandorten ins Ausland weit höher als die Kosten für den Haushalt."
Bayerns Linke sieht die Schuld für die Misere auch bei der CSU. "Viele Jahre wurde es im Freistaat versäumt, die Kapazitäten für günstige Erneuerbare Energie zu schaffen – etwa in Form von Windparks", so Landeschefin Kathrin Flach Gomez in der AZ.