Zimmer zu gewinnen

Die Münchner Universitäten verlosen Wohnraum an Studien-Anfänger. 1007 von ihnen zittern am ersten Wiesn-Samstag um einen Platz.  Am Ende gehen 707 leer aus. Die AZ war dabei
Gesa Borgeest |
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Geduldige, aber auch gespannte Gesichter: Diese Studenten warten auf den Ausgang der Verlosung. Zwei Drittel von ihnen stehen am Ende ohne Mietvertrag da.
Gesa Borgeest Geduldige, aber auch gespannte Gesichter: Diese Studenten warten auf den Ausgang der Verlosung. Zwei Drittel von ihnen stehen am Ende ohne Mietvertrag da.

Die Münchner Universitäten verlosen Wohnraum an Studien-Anfänger. Die AZ war dabei.

MÜNCHEN Innerhalb von zwei Stunden eine Wohnung zu finden und den Mietvertrag zu unterschreiben – das klingt in München wie ein schöner Traum. Viele quälen sich wochen- oder monatelang mit der Wohnungssuche und gehen selbst dann noch leer aus oder große Kompromisse ein. Auch viele Studenten sind verzweifelt. Das Wintersemester beginnt in zwei Wochen, Hunderte haben kein Zimmer.

Das Studentenwerk kennt dieses Problem und bietet eine, wenn auch merkwürdig klingende, Lösung: eine Wohnungsverlosung. Seit zehn Jahren locken sie Studienanfänger am ersten Wiesn-Tag in die Mensa Lothstraße – und die kommen auch.

Marie (20), zum Beispiel, fuhr mit dem Auto von Berlin nach München, und stand dafür um vier Uhr auf. Schon morgens um zehn ist die Mensa überfüllt, und als solche nicht mehr zu erkennen.
Palmen in Tontöpfen wurden an die Seite geschoben und verdecken jetzt rote Getränkeautomaten, die Tresen der Essensausgabe werden als Sitzmöglichkeiten genutzt, Tische sind verschwunden und die bunten Stühle stehen jetzt in langen Reihen vor einer Bühne, die in Wahrheit nur aus Stufen besteht. Sie werden nicht ausreichen, die Stühle. Später wird selbst der Boden vor lauter Sitzenden nicht mehr zu erkennen sein, später wird es so heiß in dem großen, hellen Raum, dass Wasser herumgereicht werden muss. Der Andrang ist groß, denn heute gibt es Zimmer statt Essen in der Mensa.

Doch bevor es soweit ist, muss Marie sich für die Verlosung anmelden. Einen weißen Zettel soll sie ausfüllen. Außerdem erhält sie ein Geschenk: Eine mit Werbeartikeln gefüllte Stofftasche. Die Farbe kann sie sich aussuchen, grün etwa, oder schwarz, oder orange. Die Message ist jedoch immer die gleiche: „Damit studieren gelingt”, steht in großen Lettern auf dem Stoff. Das soll wohl Mut machen, denn der schwindet schnell bei der aktuellen Wohnungs- und Zimmerlage in München.

100000 Studenten leben hier, 9066 Zimmer stehen in Wohnheimen zur Verfügung, nur wenige werden davon jedes Jahr frei. Die Wartezeit beträgt ein bis vier Semester. „Da geht es über die Verlosung natürlich schneller”, sagt Ingo Wachendorfer, Sprecher des Studentenwerks München. Das hoffen ganze 1007 junge Erwachsene, jene, die am Samstag statt der Theresienwiese die Lothstaße besuchten. „So viele hatten wir noch nie”, erklärt Wachendorfer. 300 Zimmer stehen dieses Jahr zur Verfügung, deutlich mehr als jemals zuvor. Gegen Miete, versteht sich. Die liegt zwischen 170 und 350 Euro.

Um 12 Uhr erreicht die Überfüllung der Mensa ihren Zenit. Zwanzig Minuten später betreten vier Mitarbeiter des Studentenwerks die Bühne. Jeder trägt eine große, schwarze, Mappe. Der erste Name wird vorgelesen. Von ganz hinten ertönt ein Jubelschrei und eine junge Frau mit kurzen, braunen Haaren läuft den Gang zwischen den Stuhlreihen entlang, um sich ihren Mietvertrag abzuholen. Lächelnd joggt sie zurück zu ihrem Vater, den sie überglücklich umarmt. So geht es weiter, 300 Namen, 300 glückliche, 707 unglückliche Gesichter.

Alle lachen, als ein Sebastian Schmidt aufsteht, sich seinen Vertrag abholt und erst dann merkt, dass er nicht der Richtige ist – das Zimmer war für seinen Namensvetter aus Mecklenburg-Vorpommern bestimmt. Enttäuscht läuft er zurück zu seinem Platz. Er wird heute leer ausgehen.

Marie hat Glück. Binnen fünf Minuten unterschreibt sie den Vertrag und eilt dann zu ihrem Auto. Noch heute will sie zurück nach Berlin. 

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