Zeitreise: Hier hat sich München eingemauert

München - Ein Fleckerl Grün ist sie, diese Anlage zwischen der Westenrieder- und der Frauenstraße. Ein wenig schräg liegt es zwar da, das Ganze. Aber das hat's halt gebraucht, damals, als diese Abböschung angelegt wurde. Allerdings weniger zum Ausspannen oder Spazieren gehen, sondern eher zwecks Umschauen, Blockieren und notfalls auch Feinde erschießen.
Denn bis vor gut 200 Jahren, war hier kein Park, sondern das Isartor-Bollwerk, eine Bastion, die Teil der Münchner Stadtbefestigung war.
Die Geschichte der Münchner Stadtbefestigung
Mauern, Tore, Bastionen – sie erzählen viel darüber, wie München zu der Stadt wurde, die sie heute ist. Meist erzählen sie es halt im Stillen, verborgen hinter neuen Fassaden, abgeschliffen und begraben unter heutigen Pflastern oder übersehen im Trubel des Altstadttreibens.
Jetzt gibt es aber ein Buch, das in diesem Sinne ein herrlicher Erzählband ist: Brigitte Huber, die Vize-Chefin des Stadtarchivs, hat sich den Mauern, Toren und Bastionen Münchens gewidmet. Das Ergebnis ist eine Geschichte über die Münchner Stadtbefestigung, erstmals wirklich systematisch, dazu fundiert, spannend und eindrucksvoll bebildert.
Das Buch unterteilt (auch farblich sehr gut markiert) in die erste Stadtmauer, den zweiten Mauerring sowie den späteren Festungsring. Das zeigt, wie sich München entwickelt hat – interessant sind aber auch vermeintlich Randaspekte: Zum Beispiel, wenn man sich einmal verdeutlicht, was es heißt, dass erst 1805, im Zuge von Münchens Entfestigung, die nächtliche Schließung der Stadttore aufgehoben wurde. Oder wenn man mutmaßt, was es aussagt, dass die Münchner Tore nicht wie etwa in Augsburg nach Fernhandelszielen sondern nach den angrenzenden Dörfern benannt wurden.
Der erste Mauerring reichte 100 Jahre lang
Münchens erste Stadtmauer ist etwa 1500 Meter lang, bis zu zwei Meter dick und bis zu zehn Meter hoch. Sie wird im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts errichtet. Wer ihren Verlauf heute abschreiten will, geht vom Alten Rathaus über Rindermarkt und Färbergraben in die Augustinerstraße, über die Löwengrube weiter zur Schäfflergasse, und über die Schrammerstraße, den Hofgraben und die Burgstraße zurück zum Marienplatz.
Rund 100 Jahre tut die Mauer ihren Zweck, dann wird es eng – und ein zweiter Mauerring muss her. Nachdem die Wittelsbacher die Herrschaft über München von den Freisinger Bischöfen übernommen haben, wird die Stadt erweitert. Siedlungen, die sich vor den Mauern, etwa am Anger, in der Graggenau oder auch schon in Richtung des Dorfes Schwabing gebildet hatten, werden in den Mauerring aufgenommen.
Bau der Mauern und Tore mit Zwangsarbeit
Neue Tore entstehen, darunter etwa das Sendlinger und das Neuhauser Tor (das spätere Karlstor). Außerdem werden eine Zwingermauer mit rund 50 Wehrtürmen sowie ein mit Bachwasser gefluteter Stadtgraben angelegt. Weil München nicht genügend Arbeitskräfte für den Bau hat, zwingt Herzog Albrecht III. alle über 18 Jahre alten Untertanen in den oberbayerischen Landgerichten und Hofmarken im Zeitraum von zwei Jahren zu jährlich vier Tagen Mitarbeit. Freigestellt sind nur Alte und Kranke.
Vor dem Schwedenkönig schützt der Alibi-Wall nicht
Als das Mittelalter dem Barock gewichen ist und dazwischen die Reformation für gewisse Glaubensgräben gesorgt hat, stellt sich der Wittelsbacher-Herzog Maximilian Anfang des 17. Jahrhunderts in München an die Spitze der Katholischen Liga. Da das auf kurz oder lang Kämpfe mit der Union der protestantischen Reichsfürsten in Aussicht stellt, schafft der Herzog an, einen Festungsring in Form einer Wallanlage zu errichten. Das wird dann auch gemacht, aber halt eher so halbscharig. Gekämpft wird gerade ohnehin anderswo.
Als dann aber 1632 der Schwedenkönig König Gustav Adolf vor München steht, schaut's schlecht aus. Die Stadtschlüssel kriegt er kampflos, hätte eh nichts gebracht, bei diesem Alibi-Wall.
40.000 Arbeiter bauen einen echten Schutzwall
Als die Besatzer wieder abziehen, kehren die geflohenen Herrscher in die Stadt zurück und bestellen sich sogleich einen besseren Wall. Jetzt geht's auf: Jährlich werkeln rund 20.000 Arbeiter an der Festung München, im Jahr 1639 sind es sogar 40.000, davon 30.000 auswärtige. Es entsteht ein Wehrsystem aus Erdschanzen, Wassergräben, 17 Bastionen (das sind Bollwerke, von denen aus man auch seitlich in die toten Winkel unterhalb der Wallmauer schießen kann) und fünf Ravelinen (vereinfacht gesagt: kleinere Bastionen, die den Raum zwischen zwei Bastionen schützen).
Sicher ist das, praktisch nicht. Die Münchner müssen nun durch ein verschachteltes System, wenn sie die Stadt verlassen oder wieder betreten wollten. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts mehren sich daher die Beschwerden. Die Bürger wollen eine offene Stadt. Und so richtig wehrhaft ist der Wall gegen eine moderne Artillerie bis dahin auch nicht mehr. Also folgt 1791 die kurfürstliche Anordnung zur Entfestigung.
Nach dem Abbruch entsteht die Maxvorstadt
Graf von Rumford leitet den Abbruch der mittelalterlichen Stadtmauern und frühneuzeitlichen Bastionen ein und lässt die Gräben mit dem Schutt füllen. Das führt auch dazu, dass sie die Stadt in den Burgfrieden hinein ausdehnen kann. So Anfang des 19. Jahrhunderts neue Viertel, etwa die Maxvorstadt.
Heute verstecken sich die meisten Zeugen dieser Zeit, wenn sie nicht schon verräumt wurden. Doch man kann ihnen nachspüren, sie erahnen, mit ein bisschen Vorstellungskraft und einer Karte wie derjenigen auf dieser Seite. Sie werden sehen: Wenn Sie das nächste Mal durch die Altstadt gehen, wird sie Ihnen gleich ein bisserl mehr erzählen.