"Zeitpunkt für AfD-Verbot ist da": Experte hält Parteienverbot für unumgänglich

München - Soll die AfD verboten werden? Viele Politiker und Experten warnen davor, dass ein Parteienverbot riskant und letztendlich das Problem nicht löst. Hendrik Cremer sieht das anders. Der Jurist wird am 28. Februar in München zu diesem Thema sprechen. Im AZ-Interview erklärt der 53-jährige Jurist, warum die AfD seiner Meinung nach immer noch unterschätzt wird und warum ein Verbot notwendig ist. Cremer arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Rassismus und Rechtsextremismus.
AZ: Herr Cremer, Sie zeigen auf, dass bereits seit Jahren klare Aussagen von AfD-Vertretern vorliegen, die die rassistische Programmatik der Partei untermauern. Auch das Stichwort "Remigration" ist schon seit vielen Jahren fester Bestandteil der AfD-Strategie. Warum geht erst jetzt ein Ruck durch die Gesellschaft?
HENDRIK CREMER: Deportationen, auch von deutschen Staatsangehörigen, gehören tatsächlich schon seit vielen Jahren zu den erklärten Zielen der AfD. Warum es erst jetzt zu den großen und zahlreichen Demonstrationen kommt, ist nicht einfach zu beantworten. Wichtig ist, dass sie stattfinden. Sie sind dringend erforderlich, damit dem Angriff der AfD auf die freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie deutliche Zeichen entgegengesetzt werden. Diese Zeichen werden allerdings nicht ausreichen. Es müssen noch mehr Menschen aktiver werden, die sich nachhaltig engagieren.

Warum wird erst jetzt ein AfD-Verbotsverfahren konkreter diskutiert?
Es gibt tatsächlich zunehmend Stimmen, insbesondere aus der Zivilgesellschaft heraus, die ein Verbotsverfahren fordern. Auch im Rahmen der Demonstrationen. Allerdings beobachte ich im politischen Raum weiterhin eine große Zurückhaltung an dieser Stelle.
Debatte um Verbot der AfD: Experte sieht Prozess als Chance
Warum?
Immer wieder werden Zweifel geäußert, ob ein Verbotsverfahren Erfolg haben könnte. Diese Zweifel kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach liegen die Voraussetzungen für ein Verbot ganz klar vor. Zugleich nehme ich auch die Situation wahr, dass die hohen Zustimmungswerte für die AfD zwar einerseits die Gefahr ausmachen, die von dieser Partei ausgeht. Sie führen andererseits aber auch dazu, dass es eine große Zurückhaltung gibt, von dem Instrument des Verbotsverfahrens Gebrauch zu machen.
Ein Parteiverbot ist eine Präventivmaßnahme. Gleichzeitig ist eine Partei umso schwieriger zu bekämpfen, je mehr sie an Boden gewinnt. Warum ist der Zeitpunkt jetzt richtig?
Aus meiner Sicht ist der Zeitpunkt gekommen, dass die Antragsberechtigten, also der Bundesrat, die Bundesregierung und der Bundestag, in eine intensive Prüfung gehen, um einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht für ein Verbotsverfahren zu stellen. Das wird ohnehin Zeit beanspruchen.

Warum jetzt?
Die AfD hat hohe Zustimmungswerte und ist auf regionaler Ebene zum Teil die stärkste Kraft. Niemand kann im Moment mit Sicherheit vorhersagen, wie das weitergehen wird. Rückblickend haben wir die Situation, dass sich die Partei seit 2013 immer weiter radikalisiert hat. Gleichzeitig sind aber auch ihre Zustimmungswerte gewachsen. Die Situation hat etwas Unberechenbares, deshalb sollte man auf die im Grundgesetz verankerte Möglichkeit eines Verbotsverfahrens nicht verzichten, die aus historischen Gründen geschaffen wurde.
Warum wird die AfD im öffentlichen Diskurs so oft verharmlost als "rechtspopulistische Partei"?
Ein Grund ist, dass das Bewusstsein für die Gefahr, die von der AfD ausgeht, immer noch nicht ausreichend ausgeprägt ist. Der Blick auf die Partei geht oftmals nicht tief genug, er bleibt an der Oberfläche. Möglicherweise spielen auch Hemmungen eine Rolle, die Partei in ihrer Gefährlichkeit sachgerecht einzuordnen, warum auch immer. Möglicherweise auch die Scheu vor einer Auseinandersetzung mit der AfD.
AfD in Talkshows: Experte warnt - Verharmlosung der rechten Partei
Damit einhergehend: Warum ist es problematisch, dass die AfD so oft in Talkshows eingeladen wird? Es ist nochmal ein Beispiel dafür, wie die AfD normalisiert und dann letztendlich verharmlost wird. Weil den Parteivertretern auf diese Art und Weise Bühnen eingeräumt werden und sie so tun können, als ob sie an einem demokratischen Diskurs teilnehmen würden. Tatsächlich ist es aber so, dass sie auf eine Beseitigung der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie abzielen. Dieser grundsätzliche Aspekt fällt dabei hinten runter.
Die Partei spielt ein falsches Spiel?
Dieses Auftreten in Talkshows und Interviews, in dem sie sich selbst verharmlosen, ist ganz zentraler Bestandteil der Strategie von AfD-Funktionären. Während sie auf eigenen Veranstaltungen rassistische, antisemitische und rechtsextreme Reden halten, die auch die Aufstachelung zur Gewalt umfassen.
Die Correctiv-Recherche hat deutlich gemacht, wie gut vernetzt die AfD national und international ist - und wie sehr die Strukturen gefestigt und gewachsen sind. Wäre ein Parteiverbot dagegen überhaupt wirksam?
In der Tat sind die Strukturen der AfD mittlerweile sehr gefestigt. Es gibt zudem viele andere rechtsextreme Akteure, die die Partei unterstützen. Das macht es erforderlich, ein Verbotsverfahren anzustrengen, um hier als letztes Mittel davon Gebrauch zu machen, diesen organisierten Verfassungsfeinden effektiv entgegentreten zu können. Bevor diese Partei möglicherweise so stark würde, dass sie nicht mehr gestoppt werden könnte.
Rassismusexperte Hendrik Cremer: Warum die Brandmauer gegen die AfD keine Wirkung zeigt
Reicht eine "Brandmauer" der demokratischen Parteien im Kampf gegen die AfD nicht aus? Oder anders gefragt: Gibt es diese "Brandmauer" überhaupt?
Die viel zitierte "Brandmauer" hat gegenwärtig auf jeden Fall Löcher. Die Abgrenzung der demokratischen Parteien zur AfD ist eine Grundvoraussetzung, um ihr effektiv begegnen zu können. Die findet aber nicht überall statt, was sich insbesondere auf der kommunalen Ebene beobachten lässt. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Normalisierung der AfD weiter vorangetrieben wird.

Sie zeigen sehr viele Gründe auf, die für ein AfD-Verbot sprechen. Was spricht dagegen?
Aus meiner Sicht sollte das im Grundgesetz vorgesehene Instrument genutzt werden. Ich sehe allerdings die Rahmenbedingungen dafür noch nicht gegeben, weil die Aufklärungsarbeit nicht ausreichend fortgeschritten ist. In der öffentlichen Debatte wird noch nicht ausreichend abgebildet, wie gefährlich die AfD ist. Ein Verbotsverfahren müsste außerdem erklärt und kommuniziert werden.
Björn Höcke: Funktionär will eine Gewaltherrschaft in Deutschland, sagt der Politikexperte
Wie reagiert die Partei?
Es ist klar, dass die AfD die Opferkarte spielen würde, das macht sie sowieso schon bei jeder Gelegenheit. Es muss daher klarer werden, welcher Kurs sich in der Partei durchgesetzt hat, die eine "homogene Volksgemeinschaft" anstrebt. Der eingeschlagene Kurs, der insbesondere vom einflussreichen Funktionär Björn Höcke vorangetrieben wird, strebt eine Gewaltherrschaft an, die sich am Nationalsozialismus orientiert. Es wird momentan nicht ausreichend deutlich, wer da zur Wahl steht und welche Ziele die Partei verfolgt. Wenn es konkret zum Verbotsverfahren käme, wäre es die Aufgabe derjenigen, die das Verfahren anstrengen würden, auch zu erklären, warum sie diesen Schritt unternehmen.
Ihre Prognose: Wie sieht die politische Landschaft in Deutschland in fünf Jahren aus, wenn die AfD nicht verboten wird?
Ich möchte mich an Prognosen ungern beteiligten. Aber Fakt ist: Es gibt gegenwärtig eine ernsthafte Bedrohung der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie durch die AfD. Daher müssen sich auch alle demokratischen Kräfte dieser Bedrohung entgegenstellen. Das heißt auch, die Aufklärungsarbeit über die Ziele der AfD zu intensivieren, insbesondere auch im Bereich der Bildung, unabhängig von einem Verbotsverfahren.
Im Alten Rathaus diskutiert Hendrik Cremer am 28. Februar um 19 Uhr über das AfD-Verbot, gemeinsam mit Politberater Johannes Hillje, Journalistin Heike Kleffner und Miriam Heigl von der städtischen Fachstelle für Demokratie. Anmeldung bis 26.2. unter fachstelle@muenchen.de