Zeit der Stille

„Flashmob“ am Odeonsplatz: Hunderte Münchner erstarren und verstummen. Wie sich wildfremde Menschen zu einer "völlig sinnfreien, aber lustigen Aktion" verabredet haben - und wie das Ganze dann aussah.
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Stillhalten leicht gemacht: Diese drei legten sich einfach mitten auf den Odeonsplatz.
Ronald Zimmermann 2 Stillhalten leicht gemacht: Diese drei legten sich einfach mitten auf den Odeonsplatz.
Fünf Minuten "eingefroren".
Ronald Zimmermann 2 Fünf Minuten "eingefroren".

MÜNCHEN - „Flashmob“ am Odeonsplatz: Hunderte Münchner erstarren und verstummen. Wie sich wildfremde Menschen zu einer "völlig sinnfreien, aber lustigen Aktion" verabredet haben - und wie das Ganze dann aussah.

Als Dornröschen sich an der Spindel sticht, erstarrt der ganze Hofstaat: der Koch mit dem Suppenlöffel in der Hand, der Stallmeister, der einen Knecht ohrfeigen will, der König und die Königin, die gerade nach Hause kommen...

Am Freitagnachmittag, beim ersten 14-Uhr-Schlag der Glocken in der Theatinerkirche, erstarrten an die 1000 Menschen auf dem Odeonsplatz. Schuld daran war nicht der Fluch einer bösen Fee, sondern das Internet. Per Rundmails und in Internet-Communitys wie „Facebook“ oder „Lokalisten“ hatten sich hunderte Münchner zu einer völlig sinnfreien, aber lustigen Aktion verabredet: dem „Flashmob".

Für fünf Minuten erstarrte also das überwiegend junge Publikum in exakt der Bewegung, die es um Punkt 14 Uhr gerade ausgeführt hatte: Da war das Pärchen, das zusammen in einen Stadtplan schaute, die Jungs, die gerade mit dem Basketballspielen loslegen wollten, die knutschenden Verliebten, viele mit Handy in der Hand und der Typ, der einen tiefen Schluck aus einem Getränkekarton nahm.

„Was machen die denn da?“, fragt eine junge Frau ihre Freundin und wandert durch die schweigende, erstarrte Menge. „Keine Ahnung“, flüstert die andere zurück.

Als die AZ die beiden aufklärt, finden sie die Aktion „cool“. „Komm, da machen wir auch mit“, sagt die eine und stellt sich kichernd in Positur.

Auch in den Cafés rund um den Odeonsplatz verstummen die Gespräche. Stille ist ansteckend. Nur ein Handy klingelt laut, ein leerer Kaffeebecher kullert im lauen Wind übers Kopfsteinpflaster.

Ein Mann mit weißem Vollbart durchquert kopfschüttelnd und „So ein Schmarrn“ grummelnd die Erstarrten, während Touristen und neugierige Einheimische begeistert Fotos schießen. Wann kriegt man eine solche Aktion schon wieder vor die Linse?

Beinahe hätten die Flashmobber noch mehr Publikum gehabt: Ursprünglich war die Aktion auf dem Marienplatz geplant, sie wurde aber kurzfristig verlegt. Die Stadt betrachte den Platz als „gute Stube“, schrieb der Organisator vorab. Es sei eine „empfindliche Ordnungsstrafe“ angedroht worden, weshalb man lieber ausweiche.

Keine schlechte Idee: Hätte die Polizei vorher Wind von der Sache bekommen, hätte sie versucht, den Veranstaltungsleiter ausfindig zu machen. „Das ist ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Das hätten wir zur Anzeige gebracht“, sagt Polizeisprecherin Claudia Haas.

Anders als bei Dornröschen, die 100 Jahre vor ihrer Spindel verbrachte, war der Spuk am Freitag nach fünf Minuten vorbei. Klatschend brachen die Teilnehmer die Stille - und suchten das Weite. Denn wie wenig legal die skurrile Aktion wirklich war, wussten die Wenigsten.

L. Kaufmann, D. Transiskus

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