"Zeigt, dass man handeln muss": Experte aus München erklärt, was gegen Overtourism hilft

Urlaubsjahr 2024: Die Lagunenstadt Venedig will bald Eintritt von Tagesgästen verlangen und begrenzt Gruppen. Was bringt das? Und könnte es Reisende abschrecken? Das denkt ein Experte aus München.
von  Rosemarie Vielreicher
Das Touristen-Problem in Venedig besteht seit Jahren, hier der Markusplatz im Jahr 2015.
Das Touristen-Problem in Venedig besteht seit Jahren, hier der Markusplatz im Jahr 2015. © dpa

Venedig - Eine ruhige Minute auf dem Markusplatz. Ganz für sich allein. Das dürfte eine Seltenheit sein. Venedig ächzt seit Jahren unter den vielen Touristen, die allesamt das Flair der Lagunenstadt erleben wollen. Auch wenn das bedeutet, dass sie regelrecht durchgeschoben werden.

Nur rund 50.000 Menschen wohnen noch in der Altstadt, in etwa so viele wie in Freising. Besucht wird Venedig im Jahr allerdings von mehr als fünf Millionen Touristen – so viele wie die australische Metropole Melbourne Einwohner hat. In der Hochsaison können es schon mal über 100.000 Besucher in der Lagunenstadt sein. Gleichzeitig.

Overtourism in Venedig: Experte aus München verrät, welche Maßnahmen dagegen wirken

In wenigen Monaten will Venedig mehrere neue Maßnahmen gegen diesen Overtourism einläuten. Ab April sollen Tagesausflügler fünf Euro Eintritt zahlen. Ab Juni sollen Gruppen auf maximal 25 Touristen begrenzt werden. Was bringt das? Und verprellt die italienische Stadt damit vielleicht sogar Touristen, die sich dadurch unerwünscht fühlen? Die AZ hat den Tourismus-Forscher Philipp Namberger von der LMU um seine Einschätzung gebeten.

LMU-Tourismus-Forscher Philipp Namberger.
LMU-Tourismus-Forscher Philipp Namberger. © privat

Zunächst die Causa große Gruppentouren. Seine Einschätzung lautet: "Das Verbot von größeren Touristengruppen kann – gerade in einer Stadt wie Venedig, wo Touristen zeitlich und räumlich sehr konzentriert auftreten – sicherlich einen kleinen Beitrag leisten, die Touristenströme zu entzerren und dem Massentourismus entgegenzuwirken." Allerdings: "Ob dabei die Grenze von 25 Personen ausreichend ist, wage ich zu bezweifeln." Desweiteren müsse das Verbot auch konsequent durchgesetzt werden, "und auch da habe ich meine Zweifel, ob dies gelingen kann".

Eintritt für Touristen-Hotspots? "Sehr spannend", findet der LMU-Forscher Philipp Namberger

Wie schaut es mit Eintritt für die Lagunenstadt aus für solche, die dort nur für wenige Stunden bleiben und den Hotels und Unterkünften keine Übernachtungen bescheren? Die Stadt hat dafür im November bestimmt, dass diese Maßnahme zunächst an 29 Tagen von 8.30 Uhr bis 16 Uhr gelten soll: vom 25. April bis zum 5. Mai und dann mit einer Ausnahme (2./3. Juni) an allen Wochenenden bis Mitte Juli.

"Sehr spannend", bewertet das Namberger. "Als Lagunenstadt eignet sich Venedig prinzipiell auch bestens, eine solche Zugangsgebühr zu kontrollieren, unter anderem da am Bahnhof und den Anlegestellen die Tagesbesucher, und nur für diese gilt ja diese Gebühr, geballt ankommen beziehungsweise die Stadt wieder verlassen. Allerdings glaube ich, dass der Betrag von fünf Euro keine beziehungsweise kaum eine Abschreckungswirkung entfaltet. Dazu ist der Betrag zu gering, gerade wenn man bedenkt, was zum Beispiel ein Cappuccino am Markusplatz – oder eine Kreuzfahrt insgesamt – kostet."

Der verteuerte Wohnungsmarkt bleibt trotzdem

Was er zudem kritisch sieht: Eintrittsgeld für einen öffentlichen Platz berge "die Gefahr der sozialen Selektion". Ausgeschlossen könnten auch solche Menschen werden, die mit der Technik nicht so firm sind. Denn bezahlt wird online und als Nachweis müsse man sich einen QR-Code aufs Handy laden. Das setzt voraus, dass man erstens ein Smartphone hat, und zweitens in der Lage ist, die Online-Schritte zu vollziehen. "Auch dies könnte also dazu führen, dass bestimmte Gruppen vom Tourismus ausgeschlossen werden."

Was werden die zwei Vorstöße Venedigs also letztlich bringen? "Prinzipiell sind die beiden Initiativen ein Versuch, den Tagestourismus zu reglementieren, das Problem des Massentourismus wird aber nicht verschwinden. Nicht zuletzt, weil die Fragen, die den übernachtenden Tourismus betreffen, durch die besagten Maßnahmen nicht adressiert werden."

Die berühmte Rialto-Brücke in Venedig.
Die berühmte Rialto-Brücke in Venedig. © imago

Der Massentourismus führe nämlich etwa auch dazu, dass es immer mehr Ferienwohnungen gibt, die mittels Plattformen wie Airbnb vermittelt würden "und so zu einer Verknappung und in Folge einer Verteuerung von Wohnraum auf dem lokalen Wohnungsmarkt führen".

Den Tourismus nicht abschaffen, aber auch nicht weiter wie bisher betreiben

Bewohner, Tourismusbranche, Urlauber – die Interessen gehen auseinander. Lassen sie sich überhaupt in Balance bringen? Namberger sagt: "Wie so oft: Kommunikation scheint mir hier der Schlüssel zu sein." Transparent müsste darüber gesprochen werden, welchen Nutzen der Tourismus bringe und gleichzeitig müsse auf die Sorgen der vom Tourismus betroffenen Bewohner konkret eingegangen werden. Daraus könnten sich zielgerichtete Kompromisse ergeben, "ohne gleich den Tourismus ganz abschaffen zu wollen oder einfach so wie immer weiterzumachen".

Venedig und die Lagunen gehören seit 1987 zum Weltkulturerbe der Unesco. Namberger sieht darin mitunter einen Grund, warum die Stadt so offensiv mit den Herausforderungen der vielen Touristen umgeht. Denn sonst droht es, auf der Liste des gefährdeten Welterbes zu landen. Wie bei Unesco nachzulesen ist, gingen damit Vorgaben einher, etwa dass die Gefahr behoben werden muss, und etwa jährliches Monitoring zum Zustand.

Amsterdam, Barcelona, Dubrovnik und Paris: Blick in andere Touri-Hotspots

Wie gehen andere Hotspots und überlaufene Stadtviertel mit Massentourismus um? Tourismus-Experte Philipp Namberger sagt: "Neben der Erhebung von Eintrittsgeldern sind Beispiele, die in ebenfalls vom Massentourismus betroffenen Destinationen wie zum Beispiel Amsterdam, Barcelona, Dubrovnik und Paris mehr oder weniger erfolgreich umgesetzt werden, die Entzerrung von Touristenströmen durch Lenkung in 1b-Lagen – was, wenn überhaupt, bei Wiederkehrern funktioniert."

Was noch? "Die zeit-räumliche Limitierung beziehungsweise Kontingentierung – zum Beispiel durch Vorab-Registrierung – oder das sogenannte Demarketing." Darunter versteht man die bewusste Nicht-Ansprache bestimmter Zielgruppen, wie Junggesellenabschiede. Er findet: "Entscheidend ist, dass man handelt, die Probleme erkennt und zielsicher angeht. Die Entscheidung Venedigs zeigt meiner Einschätzung nach, dass die Stadt begriffen hat, dass man handeln muss, nicht zuletzt um den Schutz des Unesco-Weltkulturerbes zu gewährleisten."

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