Zehn Jahre Hartz IV: Was hat's gebracht?

Am 17. Oktober 2003 beschließt der Bundestag die neue Arbeitslosenhilfe. Im AZ-Interview zieht Münchens Sozialreferentin Brigitte Meier nun Bilanz – und findet auch Grund zur Klage.
Thomas Gautier |
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Am 17. Oktober 2003 beschloss der Bundestag die neue Arbeitslosenhilfe. Im AZ-Interview zieht Münchens Sozialreferentin Brigitte Meier nun Bilanz – und findet auch Grund zur Klage.

München - Am Anfang war eine Panne. Vor genau zehn Jahren musste die Abstimmung zu den Hartz-Reformen im Bundestag wiederholt werden. Beim zweiten Anlauf klappte es mit den Stimmen von Rot-Grün – Deutschland bekam „Hartz IV“, wie das Arbeitslosengeld II im Volksmund genannt wird. Rund 51 000 erwachsene Münchner beziehen es laut Jobcenter derzeit.

Was hat Gerhard Schröders Reform gebracht? Die AZ sprach mit Münchens Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) über Chancen, unmotivierte Jugendliche und überlastete Jobcenter-Mitarbeiter.

AZ: Frau Meier, Wenn Sie morgen Hartz IV-Empfängerin werden würden, hätten Sie da Angst?
BRIGITTE MEIER: Natürlich. Erst einmal würde mein Vermögen runtergerechnet.

Und Sie würden nur noch 382 Euro Regelsatz bekommen...
Und Miete. Alleinstehende bekommen in München insgesamt so etwa 900 Euro im Monat. Dennoch: Durch die Beratung unseres Jobcenters sind die Chancen gut, wieder in Arbeit zu kommen. Auch der Arbeitsmarkt in München ist gut.

Zehn Jahre Hartz IV sind also für Sie ein Erfolg?
Ich finde, ja. Menschen, die früher in der alten Sozialhilfe waren, hatten keinen Anspruch auf Vermittlung und Förderung. So haben wir eine ganze Generation von Jugendlichen verloren. Heute hat jeder Anspruch darauf.

Manche Hartz IV-Empfänger scheint dieser Anspruch nicht zu interessieren. 2011 verhängten die Münchner Jobcenter 19 Prozent mehr Strafen als im Vorjahr – weil viele nicht zu Terminen kamen oder Jobs nicht annahmen.
Das muss man genauer betrachten: Diese Zahl relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass wir in München im Vergleich zu anderen Großstädten von einem sehr niedrigen Niveau ausgehen. Bei den Sanktionierten handelt es sich vor allem um Jugendliche. Da haben wir ein großes Motivationsproblem.

Woran liegt das?
Das hat vor allem mit der Bildungsschicht und der Erziehung zu tun. Wenn ich nie gesehen habe, dass jemand regelmäßig jeden Morgen zur Arbeit geht, habe ich später viel mehr Schwierigkeiten damit, es selbst zu tun.

Hat Hartz IV denn insgesamt mehr Menschen schneller zu einem Job verholfen? Das war ja der Sinn für die Reform vor zehn Jahren.
Ja. Wir kommen jetzt langsam am Sockel der schwervermittelbaren Langzeitarbeitslosen an. Für sie bräuchten wir einen geschützten Bereich, da sie in den ersten Arbeitsmarkt in der Regel nicht zurückfinden. Wir bräuchten für sie also mehr öffentlich geförderte Jobs. Wer lange Hartz IV bezieht, dessen Lebenssituation wird zunehmend prekärer. Der Grund: Die Regelsätze sind einfach zu niedrig.

Ihre Mitarbeiter finden Hartz IV dagegen nicht so toll...
Sie meinen die Arbeitsbelastung.

Genau. Viele klagten erst im April über massive Überlastungen – vor allem Mitarbeiter, die Hartz-IV-Leistungen berechnen und auszahlen. Einige sollen sogar vom Stuhl gefallen sein vor lauter Arbeit. In manchen Häusern kümmerte sich ein Mitarbeiter um 160 Haushalte, obwohl er laut Gesetz höchstens 100 haben dürfte.
Das liegt daran, dass wir Probleme haben, Personal an Bord zu holen.

Ist der Job so schlimm?
Wir haben zu wenig Geld im Verwaltungshaushalt, den uns der Bund zur Verfügung stellt. Der Bund hat in diesem Bereich auf Kosten des Verwaltunghaushaltes in den Jobcentern gespart. Deshalb können wir nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Schlüssel erfüllen.
 

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