Zeh operiert - Bein ab! Bayerin verklagt Klinikum
Nach einem Eingriff am Fuß sitzt Martina Kilian im Rollstuhl. Sie sagt, der Arzt habe sie vor der OP nicht über alle Risiken aufgeklärt – und fordert 200 000 Euro.
München/Passau - Die Schmerzen waren „abartig“, sagt Martina Kilian. Sie hat sie trotzdem ausgehalten, vier Jahre lang. Sogar jetzt spürt die 47-Jährige sie noch – obwohl das Bein, das die Schmerzen verursachte, seit drei Jahren weg ist.
Amputiert. Weil ein Arzt sie nicht richtig über eine Operation aufgeklärt hat?
2006 konnte Kilian, die heute im Rollstuhl sitzt, noch laufen, aber jeder Schritt tat ihr weh. Die Verwaltungsangestellte aus Aicha vorm Wald (Niederbayern) hatte einen Hallux Valgus – auf Deutsch: ein schiefer großer Zeh, im Volksmund auch „Frostballen“ genannt.
7. März 2006: Martina Kilian geht ins Klinikum Passau.
14. März 2006: Sie wird operiert.
16. März: Sie hat eine Infektion im Bein.
Fünf Monate später bekommt Martina Kilian eine schreckliche Diagnose: Die Schmerzen, die sie hat, stammen von Morbus Sudeck – einer Art Nervenentzündung, bei der sich die Knochen und das Gewebe auflösen können.
Im schlimmsten Fall muss man da Gliedmaßen amputieren – und genau das geschieht bei Martina Kilian vier Jahre später: All die Jahre bekommen die Passauer Ärzte (und andere) die Krankheit nicht in den Griff. 2010 schneiden sie ihr das rechte Bein ab.
Niemand weiß, wie Morbus Sudeck entsteht, es tritt aber manchmal nach Operationen auf und wird von Ärzten als mögliche OP-Folge genannt. Martina Kilian aber sagt: Der Arzt in Passau habe ihr vor der Operation nichts von Morbus Sudeck gesagt – und schon gar nicht von einer Amputation.
Schiefer Zeh – Bein ab? Kilian klagt gegen das Klinikum und verliert im Mai 2013. Sie geht in Berufung und sitzt jetzt vor dem Münchner Landgericht. Sie will Schmerzensgeld und Schadenersatz: insgesamt 200 000 Euro.
Vor Gericht ist die Suche nach der Wahrheit schwierig: Der Arzt sagt, er könne sich nach sieben Jahren nicht an das Gespräch erinnern. Seine Aufklärungen liefen aber „immer gleich“ ab: Er zeige den Patienten einen Aufklärungsbogen und bespreche die OP. Dann gehe er mögliche Komplikationen durch – und zeichne die besprochenen ab.
Der Begriff „Amputation“ ist in Martina Kilians Fall aber nicht eingekringelt. Der Arzt sagt dazu nur: „Üblicherweise spreche ich alle Punkte an“ – also müsse er Morbus Sudeck und eine mögliche Amputation auch erwähnt haben.
Martina Kilians Mann Josef (51) war beim Gespräch dabei – kann sich vor Gericht aber an kaum etwas erinnern. Der Arzt habe von „Risiken“ gesprochen, welche, weiß der Bauingenieur (in Rente) nicht mehr. Trotzdem wisse er genau, dass er damals von Morbus Sudeck nichts gehört habe, auch „das Wort ,Amputation’“ sei sicher „nicht gefallen“. Er habe die OP daher als „Routine“ aufgefasst.
Martina Kilian ist sich „hundertprozentig sicher, dass das Wort ,Morbus Sudeck’ nicht gefallen ist – geschweige denn die Amputation als Folge“. Hätte sie davon gewusst, „hätte ich mich nie operieren lassen“. Von Morbus Sudeck habe sie erst im Nachhinein gehört – bei ihrem Hausarzt. Sie habe aber die Einverständniserklärung unterschrieben – damit sie endlich operiert werden kann.
Nach einer kurzen Pause macht die Vorsitzende Richterin klar: Sie glaubt eher dem Arzt. Martina Kilian sei „ein tragischer, aber atypischer Fall“. Es sei nicht einmal sicher, ob Morbus Sudeck von der OP stamme.
Im Januar soll ein Sachverständiger gehört werden. Es sieht aber so aus, als kriege Martina Kilian kein Recht – und wohl auch kein Geld.
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