World of Warcraft: "Der schlimmste Suchtmacher"
MÜNCHEN - Die Realität gerät zur Nebensache: Bis zu 12 Stunden sitzen 34 000 Jugendliche in Deutschland vor dem PC - im Bann der Online-Rollenspiele. Es sind fast ausschließlich Jungs - und ihre Schulleistungen leiden stark darunter.
Jede Nacht kämpfte er gegen Drachen und Monster, reifte in einem Fantasyreich zu einem mächtigen Helden heran. Tagsüber pennte er im Klassenzimmer aus – und hatte in der realen Welt nur wenig Heldenhaftes vorzuweisen. Die virtuellen Fantasy-Welten von Computer-Rollenspielen wie „World of Warcraft“ waren Claudio von Wieses Drogen. Der 26-Jährige gesteht: „Ich habe früher bis zu 12 Stunden am Tag gespielt, ich war süchtig.“
Rund 34 000 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren konsumieren in Deutschland exzessiv Computerspiele – und es sind fast ausschließlich Jungs. Das hat der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer in einer nun vorgestellten Studie ermittelt und schlägt Alarm: Der Konsum von Computerspielen wirkte sich direkt auf die Leistungsfähigkeit aus. „Je intensiver der Medienkonsum, desto schlechter die Noten“.
Übeltäter Nummer eins ist für Pfeiffer das Spiel „World of Warcraft“, das weltweit 12 Millionen Menschen spielen. „Es ist der schlimmste Leistungskiller aller Zeiten“, wettert Pfeiffer. Und: „Es ist der größten Suchtmacher, der jemals entwickelt wurde.“ Jeder dritte Junge, der World of Warcraft spiele, verbringe mehr als 4,5 Stunden vor dem Computer – und sei süchtig.
Pfeiffer gilt schon lange als scharfer Kritiker von Online-Rollenspielen. Nun findet er mit dem Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) einen Mitstreiter. Der BLLV will künftig die Erkenntnisse des Kriminologen nutzen, um Eltern und Lehrer über die Gefahren der Spiele aufzuklären. „Computerspielsucht ist eine relativ neue, sich extrem schnell ausbreitende Gefahr“, sagt BLLV-Präsident Klaus Wenzel. An sämtlichen Schulen in Bayern werden deshalb ab kommender Woche Info-Broschüren verteilt. Und ein Seminar soll Eltern und Lehrer besser aufklären. Doch worin liegt die Gefahr dieser Spiele?
„Sie funktionieren ähnlich wie Glücksspielautomaten – es gibt ein System der Belohnung, das sich auch nach der gespielten Zeit richtet“, erklärt Pfeiffer. Süchtige Jugendliche entfernten sich so immer mehr von der Realität.
So ging es auch Claudio von Wilde, der im Alter von 18 Jahren den Höhepunkt seiner Sucht erlebte. Für ihn waren die Suchtmacher die Gemeinschaft und der Wettkampf mit hunderten anderen Online-Spielern. Von Wildes soziales Leben verlagerte sich immer mehr ins Netz. Reale Freundschaften vernachlässigte er – und auch seine Familie begann zu leiden. „Ich habe mich oft mit meiner Mutter gestritten und spielte fast immer heimlich Computer“, erzählt der Sozialpädagoge, der nun als Experte die Seminare des BLLV leiten wird.
Im Kampf gegen die Sucht fordert Kriminologe Christian Pfeiffer den Einsatz von Schulen und Eltern: „Man muss bereits Kindern Lebenslust vermitteln und Aktivitäten anbieten, die attraktiver sind als virtuelle Welten.“ Pfeiffer rät Eltern, das Computerverhalten ihrer Kinder zu beobachten. Spiele ein Kind täglich mehr als zwei Stunden, liege bereits eine Abhängigkeit vor.
Reinhard Keck