Workshop in München: So geben Sie bei rechter Hetze Kontra

Oft bleiben Menschen stumm, wenn sie Stammtischparolen und Hetze hören. Doch das Schweigen fühlt sich schlecht an. Workshops zeigen, wie man besser reagieren kann.
Eva von Steinburg |
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Hannah Schieferle (36) ist Kommunikatiostrainerin undhält das kompakte Schlagfertigkeits-Training für die Friedrich-Ebert-Stiftung, das in deren Räumlichkeiten in Stachus-Nähe stattfindet.
privat 2 Hannah Schieferle (36) ist Kommunikatiostrainerin undhält das kompakte Schlagfertigkeits-Training für die Friedrich-Ebert-Stiftung, das in deren Räumlichkeiten in Stachus-Nähe stattfindet.

München - Eine Mutter ist schockiert: Ihr 13-jähriger Sohn bekommt rassistische Whatsapps geschickt. Einer der menschenverachtenden Sprüche: "Braunes Wasser für braune Menschen" – dazu das Bild eines Jungen in Afrika, der verschmutztes Wasser aus einer Pfütze trinkt. Jetzt sitzt die Mutter im Seminar "Stellung beziehen gegen Stammtischparolen". Denn sie will konkret wissen: Wie reagiert sie richtig? Und wie drückt ihr Sohn, der Schüler ist, angemessen seine klare Ablehnung so eines üblen Whatsapp-Stickers (Bildchen mit kleinem Text) aus?

So reagieren Sie gegen rechte Stammtischparolen

In dem Seminar sitzen acht weitere Münchner, die sich gegen Stammtischparolen wappnen wollen. Mit dabei: eine Frau von der Initiative "Omas gegen rechts", zwei Flüchtlingshelferinnen, ein Rentner, der Kindern mit Migrationshintergrund bei den Hausaufgaben hilft und ein Sozialkundelehrer vom Gymnasium.

"Lehrer fühlen sich als Multiplikatoren und Vorbild", sagt Moderatorin Hannah Schieferle. Die blonde Frau mit dem Pagenkopf, die am Goethe-Institut arbeitet, hält das kompakte Schlagfertigkeits-Training für die Friedrich-Ebert-Stiftung, das in deren Räumlichkeiten in Stachus-Nähe stattfindet.

Seminar gegen rechtsextreme Sprüche

"Ungerechtigkeiten zu hören oder zu sehen und nichts zu erwidern, hinterlässt ein ungutes Gefühl", erklärt die 36 Jahre alte Moderatorin – sie sieht viel Nicken an den Tischen.

Denn: Etliche Münchner haben sie schon erlebt, diese typischen Schock-Situationen mit Stammtischparolen: Der etwas schrullige Onkel, den man nur bei großen Familientreffen sieht, provoziert in den Weihnachtstagen mit der Parole, "Flüchtlinge sind doch Schmarotzer". In der U-Bahn unterhalten sich zwei Männer über die "unerträgliche Lügenpresse" – man sitzt erstarrt dabei, bleibt stumm und macht sich unsichtbar. "Erst hinterher fallen einem die besten Antworten ein, aber da ist es schon zu spät", weiß Schieferle.

So kommt sie schnell zu ihrer Kernaussage: "Schweigen ist Zustimmung. Diese Erkenntnis. der Kommunikationstheorie müssen wir uns klar machen", kommentiert die Moderatorin. Denn fast jeder Mensch fühlt, dass Schweigen bei Ungerechtigkeiten falsch ist.

Klare Aussage: "Schweigen ist Zustimmung"

Deshalb zeigt die Münchnerin in ihrem 2,5-Stunden-Seminar Reaktions-Optionen, um bei Anfeindungen, Hetze, Vorurteilen und Stammtischparolen besser Stellung beziehen zu können.

Einer ihrer wichtigsten Tipps: "Nachfragen funktioniert sehr gut als Puffer". Bei der Provokation – Geflüchtete seien doch Schmarotzer - könnte man sofort nachhaken "Was meinst du genau?" "Woher hast du diese Info?" Oder wenn jemand ein negatives Erlebnis schildert, fragen: "Schließt du von diesem Einzelfall auf alle?"

"Nachfragen funktioniert sehr gut als Puffer"

Wer Fakten und Zahlen parat hat, fühlt sich bei der Argumentation als Experte, bleibt oft ruhig und vermeidet Ausraster. Ganz klar distanziert sich von einer extremen Meinung, wer entgegnet: "Diese Aussage halte ich für falsch." Dieser eine Satz reiche aus für ein eindeutiges Kontra.

Auch das Thema zu wechseln hält Schieferle für völlig legitim – mit den Worten: "Hierzu werden wir uns nicht einigen. Lass uns über etwas anderes sprechen." Auch eine gute Reaktion: Man verlässt, bevor man vor Empörung ausflippt, den Raum mit den Worten: "Was ihr hier besprecht, kann ich nicht so stehen lassen."

Es gibt außerdem die Möglichkeit, eine Brücke zu bauen, und nach Lösungen zu fragen: "Ja, die Welt verändert sich. Auch ich bin nicht mit allem einverstanden. Aber was wäre die Alternative?", schlägt die Trainerin als Reaktion vor.

Im Workshop wird Umgang mit Hetze und Parolen geübt

Im praktischen Übungsteil sucht sich jeder im Kurs eine Parole, gegen die er sich wappnen will. Der Sozialkunde-Lehrer wählt: "Die Presse lügt doch sowieso". Beim gespielten Wort-Duell poltert sein Partner kräftig los: "Es gibt ja nur noch eine Meinung in der Presse!" Der Lehrer hat beim Training gut zugehört, darum fragt er als erstes höflich: "Aus welchen Quellen informieren Sie sich denn?"

Eine kurzhaarige Flüchtlingshelferin wählt die Parole: "Geflüchtete sind alle Schmarotzer". Dazu wird sie zu Übungszwecken von ihrer Sitznachbarin mit der extremen Haltung konfrontiert: "Ich will nicht mit Flüchtlingen reden. Man weiß ja, dass sie alles kriegen und nichts geben."

Die Flüchtlingshelferin ist kurz fassungslos: Sie rollt mit den Augen, und signalisiert Ablehnung. Dann fragt sie nach: "Woher genau hast du deine Informationen?" Nach drei Minuten Diskussion hält sie inne und überlegt: "Will ich überhaupt weitergehen in diesem Gespräch?" Sie beschließt für sich: "Hier kommen wir nicht zusammen" – und bricht den Dialog ab.

Alles ist besser als emotionslos dazusitzen

"Eine legitime Entscheidung", sagt Hannah Schieferle: "Man muss nicht auf jede Haltung intensiv eingehen. Solange man sich deutlich distanziert hat. Es gibt verschieden Optionen. Alle sind besser als emotionslos dazusitzen und sich klein zu machen."

Zurück zu dem Fall der schockierten Mutter vom Textanfang: Ihr Sohn hatte eine rassistische Whatsapp erhalten. Der 13-Jährige hat sich aber sich nicht getraut dem Absender zu schreiben, dass ihm der Inhalt nicht gefällt, obwohl ihn seine Mutter stark dazu drängte. Lieber trat der Junge aus der sonst netten Whatsapp-Gruppe aus – ohne Kommentar.

Für so einen Notfall, keine Stammtischparole mehr, sondern die Verachtung von schwarzen Menschen, hat die Expertin folgenden Rat: "Der Absender ist Schüler. Da muss man die Lust am Tabubruch bedenken." Hannah Schieferle rät dem Absender zu schreiben: "Der Inhalt ist nicht witzig. Ich verstehe nicht, warum du das geschickt hast."

Nach dem Training resümiert die Mutter: "Ich war wegen dieser Whatsapp wütend und hilflos. Die Sache ging mir tagelang nicht aus dem Kopf. Jetzt geht es mir besser. Die Ideen, wie ich Haltung zeigen kann, geben mir Sicherheit."

AZ-Interview mit Workshop-Leiterin Hannah Schieferle

AZ: Aktiv werden gegen Stammtischparolen – wieso interessiert das immer mehr Münchner?
HANNAH SCHIEFERLE: Das Thema liegt in der Luft. Immer mehr Menschen haben den Eindruck, dass die vielfältige Gesellschaft in der sie leben wollen, keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Viele treibt um, dass sie etwas tun müssen für eine demokratische, bunte und tolerante Gesellschaft.

Sind Sie mit Stammtischparolen konfrontiert?
Selten. Aber das ist nicht ungewöhnlich. Wir leben in "bubbles" also Blasen. Das ist zum Beispiel der Freundeskreis, in dem wir alle eine übereinstimmende Meinung haben. Wenn man dann plötzlich auf eine andere Blase trifft, in der eine ganz andere Meinung vertreten wird, ist man platt.

Hannah Schieferle (36) ist Kommunikatiostrainerin undhält das kompakte Schlagfertigkeits-Training für die Friedrich-Ebert-Stiftung, das in deren Räumlichkeiten in Stachus-Nähe stattfindet.
Hannah Schieferle (36) ist Kommunikatiostrainerin undhält das kompakte Schlagfertigkeits-Training für die Friedrich-Ebert-Stiftung, das in deren Räumlichkeiten in Stachus-Nähe stattfindet. © privat

Warum ist es so wichtig, zu seinen Werten zu stehen?
Ich will verstehen, warum die sympathische Oma von nebenan plötzlich menschenverachtende Parolen äußert. Hier frage ich nach. Denn vielleicht kann ich sie zum Umdenken anregen. Aber mindestens möchte ich zeigen, dass es auch andere Meinungen gibt. Das funktioniert, indem man sich klar von einer Meinung distanziert, ohne die andere Person anzugreifen.

Was für wirkungsvollen Reaktionen gibt es denn?
Viele. Vom Kopfschütteln bis zu Gegenfragen stellen. Es braucht keine langwierige Diskussion. Ziel ist nicht, mit einer Argumentationskette zu überzeugen – und zu gewinnen. Es ist viel getan, wenn man den Mut aufbringt, sichtbar zu machen, dass man sich von der krassen Meinung des anderen distanziert. Ein Satz, der oft passt, lautet: "Das schockiert mich, was Sie gerade sagen." Heißt: Ich unterschreibe Ihre Äußerung nicht. Wenn man sich dann abwendet, lässt man dem anderen keine Bühne.

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