Wolfgang Niedecken: "Jetzt biste alt - na und!"

Es stand schlecht um den BAP-Sänger nach seinem Zusammenbruch, er konnte nicht mehr sprechen, ein Arm war gelähmt. Nun ist er mit 61 zurück auf der Bühne und sagt: „Ich will die Zugabe nutzen“
Es ist das Comeback des Jahres. Am 2. November 2011 brach Wolfgang Niedecken daheim mit einem Schlaganfall zusammen, der BAP-Sänger lag mehrere Tage auf der Intensivstation, es stand schlimm um den Boss der Kölschrocker. Seit Anfang Mai touren BAP wieder, und Niedecken (61) hat nichts von seiner Spielfreude verloren.
Am Dienstag spielt BAP im Musikzelt auf dem Tollwood (19 Uhr, Restkarten an der Abendkasse, 39,90 EUR). Im AZ-Interview spricht er über sein Leben nach dem Schlaganfall.
AZ: Wolfgang Niedecken, in Ihrem speziellen Fall ist die Frage legitim: Wie isset?
WOLFGANG NIEDECKEN: Alles joot, alles im Lot. Ich hatte ja auch ein halbes Jahr Urlaub.
Sie sind dem Tod von der Schippe gesprungen vor acht Monaten, nun sind Sie schon wieder auf Tour. Muten Sie sich da nicht viel zu?
Nein. Es läuft fantastisch. Weil ich mich in einer fantastischen Verfassung befinde. Ich bin fit, habe den Blutdruck eines Sportlers.
Was haben Sie geändert nach dem Schlaganfall?
Die Ärzte haben haben mich auf den Kopf gestellt und mir gesagt, wie ich mich ernähren soll. Ich hab’ viel abgenommen, über zehn Kilo. Ich habe auch vor meinem Schlaganfall kein Fleisch gegessen, nicht geraucht, keinen Alkohol getrunken – jetzt trinke ich nicht mal mehr alkoholfreies Bier. Ich lebe noch gesünder. Aber mir fehlt überhaupt nichts. Und ich mache wieder jeden Morgen meinen Sport. Dass ich das vernachlässigt hatte, war Grund, wieso ich diesen Schlaganfall gekriegt hab.
Weil Sie keinen Sport gemacht haben?
Ja. Früher bin ich jeden Morgen, bei Wind und Wetter, Rad gefahren, den Rhein entlang. 30 Kilometer. Aber als wir das letzte Album aufgenommen haben, hab ich das geschlabbert. Und als ich wieder gekonnt hätte, war ich faul. Ich habe meine Abwehrkräfte vernachlässigt. Hätte ich das nicht gemacht, wäre es nicht zu dieser Erkältung gekommen im Amerika-Urlaub, und ich hätte wegen der Klimaanlage im Wohnmobil mir nicht diesen Husten geholt. Ich hab’ eine Woche nur gebellt. Durch den Druck hat sich in der Halsschlagader eine Schleife gebildet, es entstand ein kleiner Riss, eine Wunde, das Gerinnsel ging dann ins Gehirn. Und dann lag ich da und war weg. Aber mein Glück war: Die Ärzte konnten genau rekonstruieren, woran es lag.
Hatten Sie Angst vor dem Wiedereinstieg?
Überhaupt nicht. Ich hatte viel mehr Zuversicht als Angst. Fast könnte ich sagen: Mein Gottvertrauen ist gewachsen. Von dem Moment an, als ich aus der Narkose aufwachte, wusste ich: Es wird alles gut. Und ich hab mit dieser Überzeugung auch alle anderen überzeugt. Ich habe die Ärzte trösten müssen und das Pflegepersonal, nicht umgekehrt.
Das müssen Sie erklären.
Es war so: Ich lag auf dieser Intensivstation, mein rechter Arm war gelähmt, ich konnte nicht mehr reden. Ich hab’ versucht, meiner Frau immer wieder zu sagen, wie es zu dieser Situation kam. Sie hatte mich ja auf dem Boden liegend gefunden. Ich wollte ihr also sagen: „Als ich da saß“ - und es kam nur „Amich“. Dann sah ich die Schläuche aus mir rauskommen, die Kanülen. Und das erste, was ich sage, ist: „Du leeven Jott.“ Und dieses „Amich“, das keiner verstand. Aber ich wusste, da ist der Arm, den muss ich heben. Ich habe nicht den Funken Muffe gehabt. Ich wusste, es wird wieder. Ich hab’ eher gelacht und fand es komisch, dass ich nicht mehr reden konnte. Manch einer wäre verzweifelt gewesen - ich hab’ gelacht. Ich konnte ja noch gut denken. Ich hab alles mitgekriegt. Ich konnte nur nicht reden.
Wie war es, die Wörter suchen zu müssen?
Es waren ja nicht nur die Wörter, die fehlten. Ich habe ja richtig Reha betrieben, die Motorik neu geübt, damit ich wieder fühlen konnte: Ist das jetzt Samt oder eher Marmor? Das ist schwierig, wenn du im Kopf ganz klar bist. Aber vielleicht musste das einfach mal sein, dass ich die Hirnzellen neu formatiere.
Ihre Frau hat damals gesagt, sie wisse nicht, welchen Mann sie zurück kriege.
Ja, die Tina hatte Angst. Sie hat zwar versucht, das zu überspielen. Aber wenn du dich so gut und so lange kennst, weißt du genau, was in dem anderem vorgeht. Also musste ich auch sie trösten. Meine Zuversicht ist aber auch zu ihr übergesprungen.
Hat sie denn nun tatsächlich einen anderen Mann bekommen?
Klar, ich hab’ an meinen Stellschrauben gedreht. Ich bin ja, seit ich 1974 Examen gemacht habe, freischaffender Künstler, als solcher denkst du niemals übers Alter nach. Gut, ich hab’ gesehen, dass ich grauer werde, ein paar Falten mehr kriege – aber erst jetzt habe ich die Stellschrauben so gedreht, dass es mir bewusst ist: Jong, jetzt biste alt – na und! Das ist für mich überhaupt kein Problem. Im Gegenteil.
Für die meisten ist das ein großes Problem.
Ich bin jetzt so weit, dass ich sage: Lass uns die Zeit der Zugabe nutzen. Lass uns da keinen Unfug mit treiben mit dieser Zeit, die uns hier noch bleibt. Und das ist toll. Wenn ich Glück hab’, war das jetzt einfach nur eine dunkelgelbe Karte, und den Rest vom Spiel kann ich mich ja ordentlich benehmen. Ich muss ja nicht vom Platz gestellt werden.
Was tun Sie also, um nicht vom Platz zu fliegen?
Ich leiste mir einen großen Luxus: Ich mache nur noch Sachen, die ich gerne tue. Ich habe jetzt wunderbare Ausreden. Wenn ich was nicht will, sag ich: „Das stresst mich, lassen wir das!“ Das ist ein sensationelles Werkzeug.
Beispiele, bitte.
Ich muss morgens keine Termine mehr machen, bevor ich Sport gemacht hab. Die Hotels werden danach ausgesucht, wie gut der Fitnessraum ist. Nach den Lesungen muss ich nicht noch zwei Stunden Bücher lang signieren und diese dämlichen Handyfotos machen. Alles, was nervt, lass ich einfach bleiben.
Trotzdem tun Sie sich schon wieder den Tourstress an.
Auch da haben wir manches geändert. Wir spielen nur noch maximal drei Abende hintereinander, dann ist immer ein Tag Pause.
Und auf der Bühne? Hat sich da etwas geändert?
Eine Sache, aber die hat nichts mit dem Schlaganfall zu tun. Sondern vielleicht mit dem Älterwerden: Wir machen keine Kampf-Zugaben mehr. Es war bei uns doch immer so, als ob’s eine Zeremonie wäre: BAP macht das Publikum fertig! Wir zeigen euch, wer länger kann! Das ist eine Form von sich beweisen müssen, von ewig jugendlich sein – das machen wir nicht mehr. Wir lassen es jetzt in einem schönen Bogen ausklingen. Die Leute gehen beseelt nach Hause, alle sind ganz happy.
Sie haben den „Echo“ für Ihr Lebenswerk bekommen, das Bundesverdienstkreuz, werden durch Talkshows gereicht als einer, der wieder auferstanden ist. Sie stehen wieder auf der Bühne. Es scheint tatsächlich: alles im Lot.
Manchmal habe das Gefühl, ich wohne meiner eigenen Heiligsprechung bei (lacht). Die ganzen Respektbekundungen sind schon ein irres Gefühl. Früher wurde ich ja gern mit Häme bedacht: Der Altrocker, der Gutmensch, der immer noch auf Kölsch singt. Das ist jetzt weg. Ich gelte jetzt als: der Unbeirrbare – nicht der Beratungsresistente.