Wohnungen in München durchsucht: Wenn der Staatsschutz klingelt
Moosach - Zwei Beamte vom Staatsschutz, dem Kommissariat K 44, stoppen vor einem Mehrfamilienhaus in Moosach. Zu ihrer Sicherheit sind zwei Kollegen in Uniform dabei. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn niemand weiß, wie die Person reagiert, deren Wohnung am Dienstagmorgen durchsucht werden soll.
Punkt 6 Uhr klingeln die Polizisten bei einer Büroangestellten. Die Jalousien an dem Mehrfamilienhaus sind heruntergelassen. Die Nachbarn schlafen noch. Die Frau öffnet zaghaft die Wohnungstür, sie wirkt überrascht, aber sie lässt die Polizisten ohne Gezeter herein. Die Staatsschützer erklären ihr, weshalb sie hier sind, zeigen einen Durchsuchungsbeschluss vom Amtsgericht und beginnen mit ihrer Arbeit.

Hatespeech: Insgesamt drei Wohnungen in München durchsucht
Zeitgleich laufen Durchsuchungsaktionen in zwei weiteren Wohnungen im Stadtgebiet: bei einem 33-Jährigen aus der Maxvorstadt und einem 68-Jährigen aus Bogenhausen. Keiner von ihnen ist in jüngster Zeit mit dem Gesetz in Konflikt geraten. "Wir haben zu diesen Personen keine politisch motivierten Vorkenntnisse", sagt Thomas Schedel, Chef bei K 44.
Dazu kommen außerhalb des eigentlichen Ermittlungskomplexes weitere sechs Verdächtige in München im Alter von 17 und 18 Jahren. Sie hatten in Whatsapp-Gruppen gechattet. Laut Staatsschutz waren rassistische, sexistische, antiziganistische und volksverhetzende Inhalte darunter. Auch sie bekommen am frühen Morgen Besuch vom Staatsschutz.
17 der 100 Verdächtigen leben in Bayern
Bundesweit sind es nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden 100 Personen, die ins Visier der Fahnder geraten sind. 17 davon leben in Bayern. "Es handelt sich um dreizehn Männer und vier Frauen im Alter von 33 bis 69 Jahren", sagt LKA-Sprecher Ludwig Waldinger. Im Fokus der Ermittlungen stehen Beleidigungen, Drohungen und Fake News im Zusammenhang mit der Bundestagswahl im September 2021.
Der Hass im Netz richtet sich inzwischen nicht nur gegen die Bundesregierung. Längst sind auch Ministerpräsidenten, Landesminister und lokale Politiker bis runter auf kommunale Ebene betroffen – darunter oft auch Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte. "Viele Engagierte in den Kommunen werden beschimpft und bedroht", sagte LKA-Präsident Harald Pickert. "Die Hassdelikte gegen Politiker haben gerade in Zusammenhang mit der Bundestagswahl zugenommen."
Im vergangenen Jahr wurden nach LKA-Angaben in Bayern 1.741 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger angezeigt, in den Jahren zuvor 835 (2020), 272 (2019), 232 (2018) und 194 (2017).
Etwa zwei Drittel der Opfer sind Frauen
Das BKA hat 2021 eine Projektgruppe eingerichtet, die soziale Medien nach strafrechtlich relevanten Posts durchsucht. Etwa zwei Drittel der Opfer solcher Posts sind Frauen. Die Ermittlungen werden zusammen mit der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) in Frankfurt geführt. Über 600 Internetposts auf verschiedenen Plattformen wurden analysiert und auf strafbare Inhalte geprüft, so das BKA. "Im Rahmen dieses Ermittlungskomplexes konnten die mutmaßlichen Verfasser von Hasspostings identifiziert und Ermittlungsverfahren eingeleitet werden", so das BKA.
Doch von all dem ahnt die 69-Jährige aus Moosach nichts. Sie muss erst einmal verdauen, dass frühmorgens vier Polizisten in ihrer Wohnung stehen. Die Angestellte ist ruhig und freundlich, ganz anders als man erwarten möchte, wenn man ihre hasserfüllten und beleidigenden Texte kennt, die sie auf Facebook gepostet hat.
Die mutmaßliche Täterin ist Durchschnittsbürgerin
Ihre Wut richtete sich im Bundestagswahlkampf 2021 gegen Politiker, aber auch gegen Coronamaßnahmen und vor allem gegen Impfungen. Besonders die Sorge um die Gesundheit von Kindern treibt die Münchnerin an. Nach monatelangem Lockdown und Beschränkungen im Alltag liegen ihre Nerven offensichtlich blank. Das geht vielen Menschen so. Zum Glück entlädt sich nicht bei allen der aufgestaute Frust so drastisch.

Die Angestellte aus Moosach hat trotz ihrer 69 Jahre bisher nie Ärger mit der Polizei gehabt – bis Dienstagfrüh. Sie ist eine Durchschnittsbürgerin. Sie lebt alleine mit ihren Katzen in einer Erdgeschosswohnung. An den Fenstern hängen helle Gardinen und bunter Glasschmuck.
Handy und Laptop werden sichergestellt
Die beiden uniformierten Beamten verlassen die Wohnung. Sie werden nicht mehr gebraucht. "Die Verdächtige ist kooperativ", sagt einer der Beamten. Die Kollegen vom Staatsschutz sehen sich in der Wohnung um. Sie interessieren sich vor allem für den Laptop und das Handy der Frau. Beides wird sichergestellt. Die Frau bekommt eine Quittung. Daten, Nachrichten und Chatverläufe werden später in Ruhe ausgewertet. Ihre Geräte wird sie wohl zurückbekommen, wann ist unklar.
Die Staatsschützer beginnen mit der Befragung. Die Frau gibt sich immer wieder ahnungslos, der Computer werde von mehreren Personen benützt, behauptet sie. Nach außen tut sie so, als sei sie sich keiner Schuld bewusst. Die Beamten nehmen ihre Angaben zu Protokoll. Nach gut einer Stunde verlassen sie die Wohnung, zurück bleibt eine verunsicherte Frau, die jetzt damit rechnen muss, dass ihre wütenden Hasskommentare im Netz sie eine Stange Geld kosten werden.

Innenminister Herrmann: "Potenzielle Hetzer abschrecken"
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, dass es bei diesen Ermittlungen nicht bleibt: "Durch die akribische Auswertung der Beweismittel erhoffen wir uns auch neue Ermittlungsansätze zu weiteren Taten und Tätern." Hassbotschaften könnten die Vorstufe für weitere Eskalation bis hin zu Handgreiflichkeiten oder Tötungsdelikten sein, so der Minister. "Mit unseren verstärkten Durchsuchungsaktionen wollen wir auch potenzielle Hetzer abschrecken."
Moosach: Razzia wegen Beleidigungen im Internet
Die vier Polizisten, zwei davon vom Staatsschutz, standen am Dienstagmorgen gegen 6 Uhr vor ihrer Haustür. Sie beschlagnahmten den Laptop und das Handy der Verdächtigen. Sie verhielt sich kooperativ und wurde in ihrer Wohnung befragt.