Wohnen für Senioren wird zum Massenproblem

München - Noch stehen sie mitten im Berufsleben, viele ziehen noch Kinder groß und schieben den Gedanken ans Altsein möglichst weit weg. Doch es dauert nicht mehr lange, dann werden die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Ab 2035 wird Deutschland deutlich älter sein als heute, also der Anteil der Generation 65 plus enorm wachsen.
Millionen dieser künftigen Senioren werden massive Probleme bekommen, eine altersgerechte und bezahlbare Wohnung zu finden, darin sind sich Wirtschaftsforscher, Sozialexperten und die Bauwirtschaft einig. Deutschland steuert auf eine "graue Wohnungsnot" zu, schlagen Wissenschaftler des Pestel-Instituts Alarm.

In 20 Jahren wird Wohnen für Senioren zum Massenproblem
Gestern legte Matthias Günther, Vorstand des Wissenschaftsinstituts auf der Fachmesse BAU eine neue Studie "Wohnen der Altersgruppe 65 plus" vor. Viele Rentner trifft es heute schon hart, insbesondere in Metropolen wie München. "Wer in München leben will, muss arbeiten. Ein großer Teil verabschiedet sich, weil er sich München nicht mehr leisten kann", sagt Matthias Günther.
In 20 Jahren wird Wohnen für Senioren zum Massenproblem. "Eine ganze Generation mit deutlich niedrigeren Renten trifft dann auf steigende Wohnkosten", so Matthias Günther.
Immer mehr Ältere
Die Zahl der Senioren wird von heute knapp 18 Millionen bundesweit bis zum Jahr 2040 auf etwa 24 Millionen steigen. In Bayern erhöht sich die Zahl um 1,1 Millionen auf insgesamt 3,7 Millionen Menschen. In München werden rund 330.000 Menschen älter als 65 Jahre sein – 73.000 mehr als heute.

Armut steigt
Das Gros der Senioren wird von deutlich weniger Rente leben müssen, so die Ergebnisse der Studie. Der Anteil der Senioren, die ergänzende Grundsicherung zum Lebensunterhalt brauchen, dürfte von 3 Prozent auf 25 bis 35 Prozent steigen. Bittere Prognose: Jedem vierten oder sogar jedem dritten Rentner droht Altersarmut!
Selten altersadäquat
Wer es trotz steigender Mieten finanziell noch schafft, wohnt aber nur selten so, wie es den Bedürfnissen entspricht. Laut Sozialverband VdK wohnen fünf Prozent aller Älteren in altersgerechten Wohnungen.
Wohnungsgrößen
Ein Senior wohnt heute auf durchschnittlich 59 Quadratmetern, der Durchschnitts-Bundesbürger nur auf 46 Quadratmetern. Viele Ältere würden gern in eine kleinere Wohnung ziehen. Einfach ist das nicht.
"In der Regel sind kleinere Wohnungen teurer als ihre große alte, weil sie schon sehr lange dort leben", weiß Günther. "Wer sich seine Mietwohnung nicht mehr leisten kann, wird in Städten wie München gezwungen sein, nicht nur die Wohnung zu wechseln, sondern auch den Wohnort."
In Alten-WGs sieht Pestel nicht die Lösung des Problemes: "Damit tun sich schon Junge schwer. Im Alter wird es nicht einfacher."
Der Bedarf
Die Wissenschaftler des Pestel-Instituts kommen zu dem Schluss, dass allein in München 40.000 Senioren-Wohnungen zusätzlich gebaut werden müssten. Bayernweit müssten 470.000 entstehen. In ganz Deutschland liegt der Bedarf bis 2030 bei etwa drei Millionen Wohnungen, die altersgerecht neu oder umgebaut werden müssten, so Günther. Geschätzte Kosten: etwa 50 Milliarden Euro. Mit staatlichen Zuschüssen von 6 Milliarden Euro ließe sich das stemmen.
Die Devise: Umbauen!
Ein Weg aus dem Dilemma ist laut Stefan Thurn, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der Umbau vorhandener Wohnungen. Der Verband gab die Studie in Auftrag. "Deutschland muss sich umbauen", fordert er. Etwa 16.000 Euro koste es, eine Wohnung barrierearm umzubauen, heißt es in der Studie.
Wenn Senioren dann weniger unfallgefährdet wohnen und länger zuhause leben können, mache sich das rasch auch für die Gesellschaft bezahlt: Ein Platz im Pflegeheim koste pro Jahr 8500 Euro mehr als eine ambulante Pflege.
Zahlt der Vermieter, kann er die Kosten als Modernisierung auf die Miete umlegen. Der Sozialverband Vdk, der Mieterbund und die Bauwirtschaft sind sich alle einig – für altersgerechte Wohnungen müsse mehr öffentliche Förderung lockergemacht werden. "Das ist alternativlos", so Ultrich Ropertz vom Mieterbund. "Das ist auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe."
Die AZ-Umfrage: Ist ihre Wohnung altersgerecht?
Stefanica Fister (67): "Ich lebe mit meinem Lebensgefährten in einer Zwei-Zimmer Wohnung. Sie ist im ersten Stock ohne Aufzug. Zur Zeit geht es noch, aber wenn die Preise steigen und die Gesundheit nachlässt, werden wir umziehen müssen.

Unsere Kinder leben auch in München, aber wenn ich mal nicht mehr kann, kann ich mir auch vorstellen, wieder nach Kroatien, in meine Heimat zurückzukehren."
Durdica Zadravec (60): "Mit meinem Mann und meinen zwei Kindern lebe ich in einer Mietwohnung im ersten Stock. Da wir keinen Aufzug haben, hatte ich gerade nach einer schweren Operation große Probleme.

Wenn mir meine Kinder nicht unter die Arme greifen würden, müssten wir umziehen. Für die Zukunft bereitet uns das Sorgen. Gott sei Dank haben wir ein Haus in Kroatien, in das wir ziehen könnten."
Herrmann Moser (78): "Meine Mietwohnung ist im vierten Stock, seit dem Tod meiner Mutter lebe ich dort alleine. Der Alltag gestaltet sich häufig sehr beschwerlich, da es keinen Aufzug gibt. Ich bin deshalb häufig bei meiner Freundin zu Besuch, die im Erdgeschoss wohnt.

Die Rente reicht zwar für die Miete, aber altersgerecht ist die Wohnung auf keinen Fall. Eine Alternativlösung habe ich keine."