Wohin weht's die Windkraft in München?

Die zwei Windräder im Norden von München sieht man bereits von aller Weite. Bisher sind es die beiden einzigen Windenergieanlagen der Stadtwerke im Stadtgebiet. Was sie leisten und wie es mit dem Ausbau rund um die Stadt weitergeht.
von  Ralph Hub
Nebelschwaden liegen bei Sonnenaufgang in den frühen Morgenstunden über dem Boden im Norden von München. Darüber erhebt sich eine der beiden Windkraftanlagen der SWM. Foto: Peter Kneffel/dpa
Nebelschwaden liegen bei Sonnenaufgang in den frühen Morgenstunden über dem Boden im Norden von München. Darüber erhebt sich eine der beiden Windkraftanlagen der SWM. Foto: Peter Kneffel/dpa

München - Erdwärme, Sonne und Windkraft sollen wesentlich zur Energieversorgung der Zukunft in Bayern beitragen. Doch Planung und Bau neuer Windkraftanlagen stocken. Oft erfahren die Projekte Gegenwind von Anwohnern und Politik. In München stehen zwei Windräder. Im nächsten Jahrzehnt könnten in der Stadt, oder zumindest nahe der Stadtgrenze, weitere Windräder entstehen. Die Weichen für die Zukunft sind gestellt.

Seit 25 Jahren dreht sich das Windrad in Fröttmaning

Die erste Windkraftanlage in München ging im Mai 1999 in Fröttmaning in Betrieb. Das Windrad ist knapp 100 Meter hoch und erzeugt jährlich rund 1,9 Millionen Kilowattstunden Ökostrom - so viel wie rund 720 Haushalte benötigen. Das spart rund 2,2 Millionen Kilogramm CO2 gegenüber Energie aus konventioneller Erzeugung.

1,5 Megawatt, bei Wind mit 13 Meter pro Sekunde

Auf dem Fröttmaninger Berg weht der Wind im Schnitt mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sechs Metern pro Sekunde. "Die Windkraftanlage kann bereits ab einer Windgeschwindigkeit von 2,5 Metern pro Sekunde elektrische Energie erzeugen", sagt der technische Betriebsleiter Michael Janke. Ab 13 Metern pro Sekunde erzeugt sie mit 1,5 Megawatt ihre maximale Leistung. Das Windrad richtet sich automatisch zur Windrichtung aus, die Flügel lassen sich passend zur Windgeschwindigkeit verstellen und die Drehzahl passt sich variabel an die jeweilige Windgeschwindigkeit an.

Eines der beiden Windräder der Stadtwerke München, im Hintergrund die Allianz Arena.
Eines der beiden Windräder der Stadtwerke München, im Hintergrund die Allianz Arena. © IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON (www.imago-images.de)

Öko-Strom für Tausende Haushalte in der Stadt

Ende 2020 kam eine zweite Anlage in Freimann hinzu, auf dem Betriebsgelände der Deponie Nordwest. Die Anlage ist fast 150 Meter hoch und erzeugt bereits ab einer Windgeschwindigkeit von zwei Metern pro Sekunde elektrische Energie. Ab 15 Metern pro Sekunde erreicht sie mit 3,5 Megawatt ihre maximale Leistung. Jährlich erzeugt das Windrad etwa sieben Millionen Kilowattstunden Ökostrom - genug für über 2800 Haushalte.

So laut sind Windräder wirklich

Die Schallemissionen für Windräder sind laut dem Bundesverband Windenergie genau geregelt. "Tagsüber dürfen maximal 45 Dezibel erreicht werden, nachts 35", erklärt Daniel Ströbele von der Projektentwicklung der SWM. Tatsächlich liegen die Werte der Münchner Windräder meist noch niedriger.

Die Windkraftanlage auf dem Fröttmaninger Berg.
Die Windkraftanlage auf dem Fröttmaninger Berg. © imago images / Lindenthaler

Der Lärm eines 140 Meter hohen Windrades entspricht in einer Entfernung von rund 150 Metern dem Niveau eines rauschenden Waldes. Bei 900 Metern Abstand sinkt der Lärm auf 35 Dezibel, etwa dem Geräuschpegel eines modernen Kühlschranks, sagen Fachleute.

Infraschall, das sagen Fachleute

Auch die Belastung der Anwohner durch Infraschall ist in Diskussionen immer wieder Thema. In wissenschaftlichen Studien, so Fachleute, hätten sich allerdings keine Hinweise auf gesundheitliche Risiken ergeben. In einer Wissenschaftssendung des ZDF hieß es kürzlich: Die Infraschallbelastung einer 3,5-stündigen Autofahrt entspreche ungefähr dem Wert, wenn man 27 Jahre in rund 300 Meter Entfernung einer Windkraftanlage lebt.

Gefahren für Wildtiere und Vögel

Gegner von Windkraftanlagen führen zudem häufig Gefahren für Tiere, insbesondere für Insekten, Vögel und Fledermäuse an. An der neuen Münchner Anlage wurde ein zweijähriges Fledermaus-Monitoring durchgeführt, erklärt Michael Janke. Mit dem Ergebnis, dass die Anlage zeitweise abgeschaltet wird, wenn Fledermäuse fliegen. Das kann von März bis Oktober gelegentlich der Fall sein, von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang. Der Naturschutzbund (NABU) schätzt, dass deutschlandweit pro Jahr 100.000 Vögel durch Windkraftanlagen getötet werden. Allerdings sterben deutlich mehr Vögel durch Zug- und Autoverkehr, durch den Aufprall auf Scheiben an Gebäuden. Hauskatzen fangen zudem jedes Jahr Millionen Vögel.

Katzen und Scheiben, die größeren Gefahren

"Die Vögel, die jährlich in Deutschland sterben, können nicht systematisch gezählt werden", heißt es beim Bundesamt für Naturschutz. Was manche Windkraftgegner außer acht lassen: Die Folgen des Klimawandels könnten für die Tierwelt weitaus dramatischere Auswirkungen haben als Windkraftanlagen, warnen Experten.

Darum gibt's nicht mehr Windkraftanlagen in München

Dass es nicht deutlich mehr Windräder in München und an der Grenze zur Landeshauptstadt gibt, hat mehrere Gründe. Größtes Problem: Weil München und die Region dicht besiedelt sind, fehlt vor allem der nötige Platz zum Bau neuer Anlagen. Trotz der inzwischen abgeschwächten 10-H-Abstandsregelung stockt der Ausbau.

Planung und Bau neuer Anlagen werden bis in die 30er Jahre dauern

"Für die Planung einer neuen Anlage muss man fünf Jahre einkalkulieren, ein bis zwei weitere Jahre für den Bau", rechnet Projektentwickler Ströbele vor. Die Stadtwerke nutzen daher auch Standorte in anderen Bundesländern. Es sind mehr als 100 Windkraftanlagen auf dem Festland (Onshore) in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Dazu kommen Standorte vor Küsten, sogenannte Offshore-Anlagen, in der Nordsee und in Europa; in Irland, Wales, Frankreich, Schweden, Norwegen, Finnland, Kroatien, Polen und Belgien.

Rückblende April 1999: Auf dem windtechnisch günstigen Hügel, 70 Meter über dem umgebenden Gelände, entsteht unmittelbar am Autobahnkreuz Nord Münchens erste Windkraftanlage.
Rückblende April 1999: Auf dem windtechnisch günstigen Hügel, 70 Meter über dem umgebenden Gelände, entsteht unmittelbar am Autobahnkreuz Nord Münchens erste Windkraftanlage. © Frank Maechler/dpa

Vier neue Standorte rund um München

Im Großraum München sollen neue Anlagen entstehen, aber vermutlich nicht mehr in diesem Jahrzehnt. Nach einem Beschluss des Stadtrats vom Sommer hat das Planungsreferat vier potenzielle Standorte im Umland im Auge: Eines im Westen in Freiham, ein zweites im Norden am Würmkanal, ein drittes im Nordosten an der Grenze zu Aschheim und ein viertes im Süden im Forst Kasten, der der Münchner Heiliggeistspital-Stiftung gehört. Geprüft werden soll auch, ob sich die städtischen Güter im Münchner Umland als Standorte für neue Windkraftanlagen eignen.

Es tut sich auch was im Umland

Der Regionale Planungsverband (RPV), in dem München und acht umliegende Landkreise zusammengefasst sind, hat Vorschläge für Standorte gesammelt und vorläufig 22 Vorranggebiete benannt. In diesen Gebieten soll das Bauen von Windrädern erleichtert werden. Bisher sind allerdings keine Flächen auf Münchner Stadtgebiet vorgesehen. Lediglich in einem Gebiet bei Grafrath im Kreis Fürstenfeldbruck ist München involviert, weil der Stadt dort Grundstücke gehören.

Das 80 Meter hohe Windrad steht in Freimann.
Das 80 Meter hohe Windrad steht in Freimann. © Peter Rintisch

Mehr Zustimmung bei Gewinnbeteiligung

Windkraft ja, aber nicht in der Nachbarschaft. So denken manche Menschen, wenn sie hören, dass neue Windkraftanlagen in ihrer Umgebung geplant sind. Manche fürchten Lärm, andere sehen darin eine Verschandelung der Landschaft, manche fürchten schlicht einen Wertverlust ihrer Immobilie, wenn in Sichtweite ein Windrad steht. Bereits vor rund zwei Jahren hat die Staatsregierung nach langem Hin und Her die umstrittene 10-H-Abstandsregel für Windräder reformiert.

1000 neue Windräder geplant

Die Lockerung der 10-H-Regel bedeutet, dass beispielsweise in Wäldern, nahe Gewerbegebieten, an Autobahnen, Bahntrassen und Wind-Vorrang- sowie Vorbehaltsgebieten der Abstand der Windräder zur Wohnbebauung auf 1000 Meter reduziert wird. Eine neue Studie zeigt allerdings: Auch die Novelle hemmt den Ausbau der Erneuerbaren sowohl beim Neubau als auch bei den neuen Genehmigungen.

Manche Gemeinden gehen dazu über, Bürgerenergiegenossenschaften zu gründen. Dabei wird die Bevölkerung am Profit der Anlagen beteiligt, was die Akzeptanz spürbar erhöht. Was dringend nötig wäre. Laut Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern ist der Bau von 1000 neuen Windrädern bis 2030 geplant.

Probleme bereiten die Rotorblätter

Nach 20 bis 30 Jahren haben Windkraftanlagen das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Mehr als 90 Prozent der Masse einer Windenergieanlage hat eine hohe Recyclingfähigkeit, schreibt das Umweltbundesamt (UBA) auf seiner Webseite. Auch die Demontage von Maschinenhäusern, Schaltschränken und Transformatoren seien kein Problem für die Recyclingwirtschaft.

Noch keine eindeutigen Vorgaben

Die verbleibenden 10 Prozent haben es jedoch in sich. Die Rotorblätter bestehen aus Faserverbundstoffen, die bislang sehr unterschiedlich entsorgt werden. In der aktuellen Praxis, so das UBA, werden Abfälle glasfaserverstärkter Kunststoffe einer Mitverwertung in Zementwerken oder der Hausmüllverwertung zugeführt - also verbrannt. Laut UBA werden in den nächsten beiden Jahrzehnten viele Faserverbundwerkstoffe anfallen, für deren Verwertung es noch keine eindeutigen Vorgaben gibt.

In diesem Jahrzehnt ist mit einem Abfallaufkommen von jährlich bis zu 20.000 Tonnen Rotorblattmaterial zu rechnen, für die 2030er-Jahre werden bis zu 50.000 Tonnen pro Jahr vorhergesagt. Allerdings sind die Rotorblätter keine Verschleißteile wie Bremsbeläge beim Auto und müssen daher nicht alle paar Jahre ausgetauscht werden.

Fast schon ein Wahrzeichen der Stadt: das Windrad auf dem ehemaligen Müllberg.
Fast schon ein Wahrzeichen der Stadt: das Windrad auf dem ehemaligen Müllberg. © Sigi Müller

Mehr Windenergie ist machbar

Die aktuelle Regelung gestatte nach Ansicht von Experten im Idealfall bei einem weiteren Ausbau der Windkraft eine Verdoppelung der installierten Leistung von aktuell 2,6 auf 5,2 Gigawatt. Minimale Änderungen beim Abstandsgebot könnten die mögliche Leistung sogar versechsfachen, haben Fachleute in einer Analyse der Initiative Klimaneutrales Deutschland (IKND) und dem Think Tank Ember errechnet. "Mit einer geringfügigen Anpassung der bestehenden Rahmenbedingungen für Windkraftanlagen könnte der Freistaat seine Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien erheblich steigern und so seine Abhängigkeit von fossilen Gasimporten verringern", sagt Sarah Brown von Ember.

Die Abstandregel muss abgeschafft werden

Bernd Wust vom Verband Wind-Energie in Bayern fordert mehr Tempo und appellierte an die Landespolitik, bis 2025 die Windflächen auszuweisen. Überall dort, wo schon jetzt klar sei, dass die Flächen für Windkraft genutzt werden sollten, müsse die Ausweisung sofort erfolgen. Zudem müsse, so Wust, die 10-H-Abstandsregel gänzlich abgeschafft werden. Laut dem Windflächenbedarfsgesetz des Bundes muss bis Ende 2027 1,1 Prozent der Landesfläche für Windräder bereitgestellt werden.

 

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