Wochenende in Tracht: Endlich wieder Wiesn(gefühl)!

München - Es ist schon ein bisschen absurd. Die Stadt ist voller Trachtler, Blasmusikanten schleppen ihre Instrumente durch die U-Bahn. Am Viktualienmarkt stehen Pferdegespanne beladen mit Bierfässern, an der Bavaria riecht es nach gebrannten Mandeln und das alles bei schönstem weiß-blauen Himmel. Es ist das erste Wiesnwochenende in München. Nur: Es gibt keine Wiesn.
Die Stadt im Wiesnfieber – ohne Oktoberfest

2020 hatten die Münchner die abgesagte Wiesn ignoriert - heuer ist alles anders
Im vorherigen Jahr - so schien es - hatten die Münchner ihre abgesagte Wiesn noch zum Großteil ignoriert. Von einer mäßig erfolgreiche Wirtshauswiesn und der ein oder anderen, verhaltenen Privatfeier einmal abgesehen, fand das Oktoberfest in München nicht statt. Vielleicht war die Pandemie noch zu präsent, vielleicht hatten sich die Münchner aber auch mal eine Pause von der Wiesn gewünscht. In diesem Jahr jedoch, merkt man beim Rundgang durch die Stadt, ist alles anders.

Trachten, wohin man auch blickt
Wer sich am Samstagvormittag aus der U-Bahnstation Sendlinger Tor auf den Weg in die Stadt macht, könnte meinen, die Wiesn wäre nie abgesagt worden. Trachten, wohin man auch blickt, sogar der Geruch stimmt, denn direkt am U-Bahnaufgang hat sich jemand übergeben. Nur bei genauerem Hinsehen fällt auf: Es fehlt etwas. Es sind keine Plastiklederhosn zu sehen, keine Frauen in zu kurzem Dirndl und nicht einmal ein geschmackloser Bierfasshut wird gesichtet. Die Wiesnstimmung mag zurück sein, die Touristen sind es noch nicht.
Wiesn auf dem Viktualienmarkt

Am Viktualienmarkt geht die Wiesn schon am Morgen los. Hier stehen die aufwendig geschmückten Bierkutschen, es spielt eine Blaskapelle und Bierfässer werden über den Markt gerollt. Sogar Wiesnstadträtin Anja Berger ist gekommen und lässt sich gut gelaunt im Dirndl vor den Fässern der Münchner Brauereien fotografieren.

Um Punkt 12 beginnt dann auch die Wirtshauswiesn
In 51 Wirtshäusern werden mit insgesamt 139 Schlägen die ersten Bierfässer angestochen. Im Augustiner Klosterwirt zapft Justizminister Georg Eisenreich erfolgreich mit nur zwei Schlägen an (wie auch Alt-OB Christian Ude im Schiller Bräu), im Hackerhaus braucht Pfarrer Rainer Maria Schießler drei Schläge, wohingegen das "Wiesn-Playmate" im Hofbräuhaus ganze zwölf braucht (siehe unten). Im Hofbräukeller zapft Michael Möller, der Direktor des Hofbräuhauses, trotz Jetlags, mit zwei Schlägen an. Er war am Morgen erst aus den USA wieder in München angekommen, wo er in der Stadt Buffalo ebenfalls ein Fass angezapft hatte.
Auf Theresienwiese und an der Isar stehen Biertische
Doch auch abseits der Wirtshäuser wird gefeiert. Auf der Theresienwiese und an der Isar bauen Münchner ihre eigenen Biertische auf und stoßen mit Oktoberfestbier (und Weinschorle) an.
"Wir hoffen alle mal sehr, dass die Wiesn nächstes Jahr wieder stattfindet", sagt Leopold, der mit vier Freunden am Rande der Theresienwiese, einen Biertisch aufgestellt hat.
Es gibt Kartoffelsalat, Wiener, Brezn und natürlich Wiesnbier. Angezapft hätten die Freunde aber schon um Punkt 10 Uhr. "Wir dachten, das wäre die richtige Zeit und einer von uns muss später dann auch arbeiten", sagt Leopold und lacht.
Ein bisschen aus der Übung ist man nach zwei Jahren ohne Oktoberfest anscheinend dann doch - die richtige Stimmung haben die Münchner aber nicht verlernt.
Und ozapft is aa! Alt-OB Ude nicht aus der Übung

Acht feuchtfröhliche Schläge (samt Bierpfütze) brauchte Alt-OB Christian Ude bei seiner Wirtshauswiesn- Anzapfpremiere 2020 in seinem Lieblingswirtshaus Schiller Bräu im Bahnhofsviertel. Heuer? Nix da. Es flutschte bestens, am Samstag zapfte er gewohnt professionell mit zwei Schlägen das Fassl an. Aber weil das fad ist, hat er zur allgemeinen Erheiterung nochmal acht Schläge dazugegeben. "In meinem Alter", scherzte er danach, "fragt man nicht mehr, wie viele Schläge braucht er? Sondern wie viele Schläge schafft er noch."
Pfarrer Rainer Maria Schießler: "Immer etwas nervös"
Richtig gut gelaunt ist Pfarrer Rainer Maria Schießler beim Anstich im Alten Hackerhaus und vertreibt sich und den Gästen die Zeit bis zum Anstich mit ein paar Witzen. Dann, Punkt 12 Uhr, braucht Schießler nur drei Schläge um den Hahn sicher ins Fass zu schlagen. "Man ist aber trotzdem immer etwas nervös", gibt er später zu, obwohl er schon unzählige Fässer angezapft habe. Für die Veranstalter der Wirtshauswiesn hat Schießler nur Lob übrig: "Ich finde das wirklich toll, dass sie dieses Wiesngefühl in die Stadt bringen." Jetzt hoffe er, dass die Münchner auch in die Wirtshäuser kämen. Das hofft auch Hackerhaus-Wirt Lorenz Stiftl: "Dieses Jahr sind wir recht gut aufgestellt." Auf eine richtige Wiesn nächstes Jahr hoffe er dennoch sehr. "Irgendwann geht so eine Pandemie auch wieder vorbei", sagt er optimistisch.
Hofbräuhaus: Bierdusche fürs Wiesn-Playmate

Der Höhepunkt wird umso schöner, je länger man ihn herauszögert. Das hatte sich Wiesn-Playmate Vanessa Teske beim Anstich im Hofbräuhaus wohl zu Herzen genommen. Satte zwölf Schläge brauchte sie beim Anzapfen, dafür spritzte das Bier danach umso mehr. Spritzig war auch die Stimmung in der Schwemme dank Kapellmeister Frieder Roßkopf und seiner Tanngrinder Musikanten. Die gehören im Hofbräuhaus mittlerweile schon zum Inventar. Wenn Wiesn wäre, würden sie jetzt in der Schönheitskönigin aufspielen. "Auf den Anstich heute haben wir uns besonders gefreut. Endlich wieder zurück ins Leben kommen!", sagt Roßkopf zur AZ.