Wo München rockt

Münchner Bands können endlich losrocken - das Ende des Übungsraum-Elends.
von  Claudia Fischer
Band Schöngeist mit Timur Karakus am Mikro in Übungsraum im Übungsraum-Komplex maX-es an der Landsberger Straße.
Band Schöngeist mit Timur Karakus am Mikro in Übungsraum im Übungsraum-Komplex maX-es an der Landsberger Straße. © Loeper

Der Rundgang durch die Kellergewölbe eines Arbeiterwohnheims im Münchner Norden ist eine Zeitreise durch 30 Jahre Rockmusik. In einem langen Gang reiht sich Tür an Tür, die Bands dahinter sind deutlich zu vernehmen. Wenn viel los ist, durchläuft der Besucher erst die Jazz-Rock-Epoche der 70er, biegt rechts um die Ecke in den Metal-Trakt, kommt mittig durch den gemäßigten Pop der 80er, um am Ende des Ganges in der Disco-Ära zu landen.

Manchmal verlassen die Musiker ihren Proberaum und stehen im Gang herum, eine rauchen. Eine gute Gelegenheit, Werkschau bei den anderen zu betreiben, deren Exerzitien ja nicht zu überhören sind. Die Gang-Kommunikation dreht sich darum, dass es dem Bassisten nebenan ja wohl nur ums Lärmmachen gehe. Oder darum, ob es sich wirklich empfehle, das Gitarrensolo von Eddie van Halen originalgetreu nachzuspielen, so wie es ein eifriger Mensch zwei Türen weiter versucht.

Dass so geballte geräuschintensive Kreativität aussagekräftiger ist als das mühsame Sichten vieler Band-Websites, haben die Veranstalter längst gemerkt. Bands wurden schon vom Proberaum weg für ein Event engagiert, weil den Verantwortlichen beim Horchen an der Tür der Stil gefiel.

Nirgendwo kann man die Münchner Musikerszene besser kennen lernen als in den riesigen Proberaum-Arealen, die es inzwischen in der Stadt gibt. In Allach, Unterföhring, an der Schleißheimer Straße, an der Landsberger Straße, in der Alpenstraße, in der Meglingerstraße: Hier reihen sich Übungsraum an Übungsraum, mal als bauklotzähnlich aufeinander geschichtetes Containerlager, in Kellergewölben mitten in der Wohnsiedlung oder in alten Fabrikhallen.

Da Rockbands wesensgemäß nicht die erste Wahl sind, wenn Vermieter Ausschau nach Mietern halten, waren sie schon immer eine schwer vermittelbare Klientel. Seit einige Jungunternehmer das Potential darin entdeckt haben und auf Eigeninitiative Musikern Räume zur Verfügung stellen, scheint sich auf dem Markt eine Sättigung einzustellen. Oder, wie es einer ausdrückt, der ein Übungsraumareal im Münchner Norden betreibt: „Es gibt keine wirkliche Übungsraumnot in München mehr, bei uns steht eigentlich immer was leer.“

Das war mal anders. Alexander Mau, Initiator des „Kulturprojektes München“,der unter anderem eine Containersiedlung in Allach mit 200 Proberäumen betreibt, erinnert sich gut an das Räumungsverfahren, das die Stadt 2002 gegen ihn anstrengte. Hals über Kopf musste er mit 120 Containern vom Ackermannbogen wegziehen. 400 Musiker standen auf der Straße, bis das Kulturprojekt in Allach eine neue Bleibe fand. Auch die Schließung der Künstlerkolonie Domagk-Ateliers 2005 war ein schwerer Schlag für die Szene: 300 Künstler wurden heimatlos.
Doch vorbei die Zeiten, da sich acht Musiker in einem feuchten, überteuerten und dazu winzigen Kellerraum zusammenpferchen und nach der Probe ihr gesamtes Instrumentarium wieder abbauen mussten, da nach ihnen noch weitere Bands kamen.

Inzwischen kann auch Alexander Mau sagen: „Wer etwas sucht, bekommt bei uns über kurz oder lang immer etwas.“ Er ist trotzdem ständig auf der Suche nach weiteren Freiflächen für seine Container, nach Möglichkeit innerhalb des Mittleren Rings. „Es ist schade, wenn Kultur an die Stadtgrenze verbannt wird“, sagt er. Dazu Jennifer Kozarevic vom Kulturreferat: „Zentral liegende ,Filetgrundstücke’ werden normalerweise gleich für Wohnraum verwendet, der ja auch geschaffen werden muss. München boomt – und die Kehrseite davon ist halt, dass die Kultur da manchmal hinten anstehen muss.“ Aber bei bis zu 3000 Musikschaffenden und 80 Musiklabels in München sehe man durchaus den Stellenwert Münchens als Musikstadt und begrüße es deshalb, wenn Leute wie Mau in Eigenregie aktiv würden.

Auch Maximilian Gradl ist so einer. Der 29-Jährige herrscht in einer ehemaligen Großküche des „Kaufhof“ über 52 Übungsräume, in denen 600 Musiker proben. Schon vom Parkplatz aus sieht man hier, im Niemandsland zwischen Landsberger- und Westendstraße, hinter trüben Industriefenstern, wie Gitarristen sich in ekstatischen Zuckungen winden.
Drinnen durchquert man zunächst eine Bar und dringt dann zum Proberaumtrakt vor. Manche dieser schachtelartigen Musikzimmer wurden von den Bands gemütlich eingerichtet mit Sofa und Bildern an der Wand. In einem Raum hat sich ein DJ eingemietet, hier steht lediglich eine Plattenspielerpult. Ein anderer Raum hat Saalgröße: Hier probt wohl ein Orchester.
Vor sieben Jahren hat Gradl mit einem Freund dieses Reich aufgebaut. „Wir haben alleine die ganzen Trennwände in die riesige Halle eingezogen, Rohre und Elektrik verlegt“, erzählt er. „Insgesamt haben wir 260 Paletten Kalksandstein verbaut.“

Damals war noch kein Geld für Handwerker da, und nur weil Gradl das meiste im Do-it-yourself-Verfahren machte, beliefen sich die Umbauarbeiten der 1850 Quadratmeter großen Halle auf „bloß“ 200 000 Euro Materialkosten.

Die Investition hat sich längst gerechnet, Gradl kann von seiner Firma „Maxtrem GmbH“ leben. Für 12 bis 16 Euro pro Quadratmeter ist ein Proberaum bei ihm zu haben – je nach Größe.
Viele Bands operieren nach dem Mehrfachnutzungsprinzip und vermieten ihren Proberaum wiederum unter. Die reinen Mieteinnahmen der Bands seien für ihn nicht lukrativ, so Gradl. Gewinn mache er allein durch die Gastronomie, also die Vermietung der Bar im Eingangsbereich an Bands für Konzerte.

Ein neues Projekt hat Gradl auch: Er hat ein Heizkraftwerk erworben. 5000 Quadratmeter in der Sollner Drygalskiallee, auf denen 100 neue Übungsräume entstehen werden. Leute wie Gradl spielen eben immer für ein großes Publikum.

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