Wo Männer noch Helden sind

Wiederbelebung eines Genres: In Tegernsee läuft das Internationale Bergfilmfestival.
Es war, als hätten Geister die Jahreszeiten verrückt. Wo eben noch der Himmel lachte, da verdüstern Gewitterwolken den Horizont. Wölfisch heult der Sturm um gezackte Felsen und treibt einen wilden Tanz nadelscharfer Schneeflocken vor sich her.
Schritt für Schritt tasten sich die beiden Kletterer talwärts. Kaum, dass sie noch zwei Meter weit sehen, der Schneesturm lässt die Konturen verschwimmen – die beiden zweifeln, lebend aus dieser Hölle herauszukommen.
So schildert Luis Trenker in seinen Erinnerungen ein Abenteuer, das der damals jüngste Bergführer Südtirols kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit einem Touristen erlebte. Egal, wieviel Bergsteigerlatein der Alpin-Münchhausen in seine Geschichte gedichtet hat – sie enthält, was ein modernes Drama braucht: das Motiv des Eindringens ins Unbekannte, den Einbruch der Gefahr und dann das Happy End. Nach diesem Muster hat Trenker später, als er zum Helden des Bergfilms aufgestiegen war, viele seiner Abenteuer gestrickt. Nur eine Sache hat er hinzugefügt, weil er wusste, dass sie unverzichtbar ist: die Liebesgeschichte.
Eine liebende Frau an der Seite
Auch auf dem Bergfilmfestival in Tegernsee wird sie nicht zu kurz kommen: Philipp Stölzl hat in „Nordwand“, seiner Verfilmung des Eiger-Dramas 1936, dem Berchtesgadener Bergsteiger Toni Kurz (Benno Fürmann) mit Luise (Johanna Wokalek) eine liebende Frau an die Seite gestellt. Der Film hält sich überhaupt an die großen Vorbilder der 20er Jahre, als Arnold Fanck mit „Der Berg des Schicksals“ den Bergfilm zum Kassenschlager erhoben hatte: Auch Stölzl ist bestrebt, authentisch zu wirken.
Damit ist „Nordwand“, der sich in seinem Aufwand von den anderen Filmen in Tegernsee unterscheidet, auch typisch: 70 Filme, die von der Felskletterei bis zur Landschaftsbetrachtung reichen, stecken thematisch das denkbar weiteste Feld ab. Allen gemeinsam aber ist das Bemühen, „authentische“ Aufnahmen zu bieten.
Wenn auch niemand genau sagen kann, was „authentisch“ heißt, so ist doch klar, dass es mit Ursprünglichkeit zu tun hat: Der Fels am Risserkogel beispielsweise ist sicherlich authentischer als es seine Imitation im Studio wäre.
Damit erklärt sich, weshalb der Bergfilm eine Renaissance erlebt: Im Zeitalter der totalen Vermittlung vermittelt er den Eindruck von Unmittelbarkeit. Anders als das Internet regt er dazu an, selbst zur Tat zu schreiten. Damit trifft der Bergfilm auf eine Situation, mit der schon Fanck und Trenker konfrontiert waren: Auch deren Filme leisteten harte Kritik an der modernen Medien-Zivilisation – zurück zur Natur, solange sie noch da ist!
Also ab nach Tegernsee: Für eine echte, gewissermaßen authentische Tour auf die Baumgartenschneid wird sich das Wetter schon noch halten.
Bernhard Viel
Auf einen Blick
Was: 6. Internationales Bergfilm-Festival in Tegernsee. Schirmherr: Heiner Geißler. www.bergfilm-festival-tegernsee.de
Wann: Bis Sonntag. Beginn gegen 13 Uhr, Sonntag ab 9.30 Uhr Matinee mit den Siegerfilmen.
Programm: Vom Bergabenteuer-Film über Landschaftsporträts bis zur Sozialstudie (siehe auch Kasten auf Seite 11). Zudem Workshops, Vorträge und Wanderungen (Start 9 Uhr). Mit „Nordwand“ wurde das Festival gestern eröffnet, der Film startet heute in den Münchner Kinos.
Karten: 6/7 bis 13/16 Euro, Dauerkarte 31/39 Euro