Warum München die letzten Tage im Chaos versank: "Wo ist die deutsche Effizienz?"

Eigentlich sollte man meinen, dass sich München mit Großveranstaltungen und deren Problemen auskennt. Doch was in dieser Woche in der Landeshauptstadt stattfand, ließ zeitweise jegliche Effizienz missen.
von  André Wagner
Fans an der U-Bahn -Haltestelle Fröttmaning. Wer es bisher geschafft hat, konnte sich glücklich schätzen.
Fans an der U-Bahn -Haltestelle Fröttmaning. Wer es bisher geschafft hat, konnte sich glücklich schätzen. © IMAGO

München - Jedes Jahr sechs bis sieben Millionen Gäste auf dem Oktoberfest, fast 30 Spiele des FC Bayern in einer ausverkauften Allianz Arena und dutzende Konzerte im Olympiastadion und der Olympiahalle. Eigentlich sollte man meinen, dass München sich mit solchen Menschenmassen und der entsprechenden Organisation auskennt.

Doch was man in dieser Woche in München erleben musste, war, gelinde gesagt, ein Armutszeugnis. Egal ob Fanfest auf der Theresienwiese, der Fan Zone im Olympiapark, dem AC/DC-Konzert im Olympiastadion oder das Eröffnungsspiel der Euro 2024 in der Allianz Arena. Von der einst weltweit bewunderten deutschen Organisation und Effizienz war in den vergangenen Tagen wenig zu sehen – vielmehr schlitterte man von einem Chaos ins nächste.

EM-Fanfest auf der Theresienwiese: Die Tageskasse war auf einen Container reduziert, der Eingang ein Nadelöhr. Die Anstellschlange ging bis zur U-Bahn Poccistraße.
EM-Fanfest auf der Theresienwiese: Die Tageskasse war auf einen Container reduziert, der Eingang ein Nadelöhr. Die Anstellschlange ging bis zur U-Bahn Poccistraße. © Moses Wolff

Fanfest, Fan Zone, U-Bahn: Überall herrschte die Tage Chaos in München

Angefangen hat es mit ewig langen Warteschlangen beim Fanfest am Mittwoch, weil der Veranstalter, FKP Scorpio, für die Abendkasse nur einen einzigen Container hinstellte. Hatte man dann irgendwann doch seine Eintrittskarte in der Hand, ging das Chaos weiter. Denn offenbar wurden für den Sektor A (Front of Stage) viel zu viele Karten verkauft, sodass der Bereich gar nicht alle Fans aufnehmen konnte. Kurzerhand wurde dann aus den Sektoren A, B und C (deren Kartenpreise alle unterschiedlich hoch waren), die Sektoren A1, A2 und A3 gemacht. Diejenigen, die sich C-Tickets zum  Preis von 69 Euro kauften, durften sich über diese Entscheidung freuen, aber die ursprünglichen A-Ticket-Besitzer, die immerhin 111 Euro dafür hingeblättert haben, waren sicherlich nicht erfreut darüber, dass sie – immerhin Front of Stage - dann vielleicht doch nicht mehr so nah an Nelly Furtado und Ed Sheeran herankamen, wie sie sich es sicher gewünscht hätten.

Opfer dieses Chaos waren nicht nur die wartenden Fans, die teilweise die ersten beiden Acts schon verpasst hatten, sondern auch die Mitarbeiter der Security, welche die Unzufriedenheit und den Frust lautstark zu spüren bekamen, obwohl sie nur die ständig wechselnden Anweisungen des Organisators erfüllten und im Grunde genommen an diesem Tag die ärmsten Säue waren.

Aber immerhin haben die Ed-Sheeran-Fans es überhaupt bis zur Theresienwiese geschafft, was am Mittwoch auch nicht ganz so einfach war. Denn einige Kilometer Luftlinie entfernt, lauschten Abertausende im ausverkauften Olympiastadion und am Olympiaberg den australischen Hardrockern von AC/DC. Sprich am Mittwochnachmittag, einem normalen Werktag wohlgemerkt, wollten über 150.000 Musikfans im normalen Berufsverkehr die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Das Ergebnis: übervolle Bahnsteige, U-Bahn-Waggons in denen Menschen wie die Sardinien in der Büchse eingepfercht waren und zu allem Überfluss kam es dann auch noch zu einer Stellwerksstörung, was einige Verspätungen nach sich zog. Der Unmut der Wartenden wurde vor allem an der Haltestelle Scheidplatz von Minute zu Minute hörbarer.

Auch nach Konzertende musste die Haltestelle Olympiazentrum immer wieder für einige Minuten gesperrt werden, weil die Bahnsteige Richtung Innenstadt einfach übervoll waren.

Zu viele Fans: U-Bahn muss am Marienplatz durchfahren

Nun mag man als regelmäßiger Konzertgänger im Olympiastadion mit diesem Szenario schon irgendwie seinen Frieden geschlossen haben, doch keine 48 Stunden später versank die Münchner U-Bahn schon wieder im totalen Chaos, denn das EM-Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland in der ausverkauften Allianz Arena stand an. Für München eigentlich nichts Ungewöhnliches, spielt doch der FC Bayern in seiner Heimstätte jeweils vor ausverkauftem Hause. Doch neben den über 66.000 Fans, die sich eines der begehrten Tickets sichern konnten, zog es auch abertausende von Fußball-Fans zum Public Viewing in die extra zur EM errichteten Fan Zone im Olympiapark.

Nachdem gefühlt halb Schottland schon seit Tagen die Münchner Innenstadt zur Partyzone erklärt hatte, mit dem Marienplatz als Epizentrum, trat das ein, was alle befürchtet hatten – ein U-Bahn-Chaos.

Zwar brüstet sich die MVG in einer Pressemitteilung damit, am Freitagabend 100.000 zusätzliche Fahrgäste Richtung Fröttmaning oder Olympiazentrum gebracht zu haben und dafür mehr als 100 zusätzliche Mitarbeiter im Einsatz gehabt zu haben (was bei dem heutigen Personalmangel durchaus eine zu lobende Leistung darstellt), doch trotz dieser aufgestockten Manpower blieb das Chaos auf Schienen nicht aus.

Türstörung: U6 bleibt vier Stationen vor der Allianz Arena stehen

Weil sich am Marienplatz so viele Fans versammelt hatten, mussten die Züge, auf Anweisung der Polizei, zeitweise an dieser Station durchfahren. Doch selbst wer es dann irgendwann in einen Waggon der Linien U3 oder U6 geschafft hatte, konnte sich noch nicht am Ziel seiner Reise wähnen.

So sorgte an der U-Bahnstation Studentenstadt eine Türstörung für größere Verzögerungen. "Wir dachten, wir tun das Richtige, wenn wir die U-Bahn früher nehmen, aber sie ist vier Haltestellen vor dem Stadion zusammengebrochen“, so Peter Aitchison, ein schottischer Fan gegenüber der britischen Sun. "Es war total überfüllt, die Fans trieften vor Schweiß und wurden richtig aufgeregt“, so der „Bravehearts“-Supporter weiter.

Zwar leitete die MVG, nach eigenen Angaben, leere Züge von der U8 auf die U6 um und setzte zusätzlich noch Busse ein, dennoch entschieden sich zahlreiche Fußball-Fans, die U-Bahn zu verlassen und die restliche Strecke zur Allianz Arena zu Fuß zurückzulegen.

Fußballfans vor der Allianz Arena. Am Einlass sollte es zu chaotischen Situationen gekommen sein.
Fußballfans vor der Allianz Arena. Am Einlass sollte es zu chaotischen Situationen gekommen sein. © IMAGO/H. Langer (www.imago-images.de)

Doch auch dort sollte es mit dem Chaos noch nicht vorbei sein. Da es am Stadion offenbar keine eindeutigen Warteschlangen gab, sorgte dies bei den Fans für Verwirrung, da sie nicht wussten, welche Eingänge sie benutzen sollten und ihnen auch die Ordner vor Ort nicht wirklich weiterhelfen konnten. "Entschuldigen Sie die Unordnung, es ist unser erstes Spiel", wird einer der Security-Leute von der Sun zitiert.

"Wo ist die deutsche Effizienz?"

Einer, der inmitten des Chaos stand, war Dave Cormack, Vorsitzender des Aberdeen Football Club. Er ließ bei X (vormals Twitter) tüchtig Dampf ab: "EURO2024 die schlechteste Organisation, die ich je bei einem Spiel gesehen habe. Ich stehe seit über einer Stunde in der Schlange und immer noch versuchen Zehntausende von Menschen reinzukommen. Wo ist die deutsche Effizienz?"

Die deutsche Effizienz wurde am Freitagabend nicht nur in und um die Allianz Arena herum vermisst, sondern auch in der Fan Zone im Olympiapark. Schon früh musste das Areal am Olympiasee geschlossen werden, weil platzmäßig nichts mehr ging. Wer es aber dennoch geschafft hat, sich einen Platz vor der großen Leinwand zu ergattern, war hauptsächlich mit Schlange stehen beschäftigt.

Abertausende deutsche und schottische Fußballfans verfolgten das EM-Eröffnungsspiel in der Fan Zone im Olympiapark.
Abertausende deutsche und schottische Fußballfans verfolgten das EM-Eröffnungsspiel in der Fan Zone im Olympiapark. © IMAGO

Wer sich Getränke oder was zu Essen kaufen wollte, musste teilweise über eine Stunde in der Warteschlange stehen. "Es war zu erwarten, dass es so voll wird, aber nicht, dass es so wenige Stände gibt" und "Die hätten fünfmal so viele Stände aufstellen sollen!", äußerten sich zwei Fans gegenüber der AZ. Und auch die schottischen Fans hätten in Deutschland wohl eine bessere Organisation erwartet. Eine Stunde mussten sie auf ihr Bier, welches sie als großartig bezeichneten, warten, aber sie waren am Ende einfach nur froh, hier in München zu sein.

Überteuerte Preise, Warteschlangen und zu wenige Toiletten führen zu Unmut in der Fan Zone

Auch die unzureichende Anzahl von Toiletten und die stolzen Preise für Bier und Bratwurst sorgten im Olympiapark für gemischte Gefühle. Wasser fängt bei 4,50 an. Für einen Becher Bier zahlt man zwischen sechs und sieben und dann kommt noch drei Euro Pfand obendrauf.

Spätestens als das Spiel dann aber angepfiffen wurde, verbesserte sich, jedenfalls bei den deutschen Fans, die Stimmung merklich. An das U-Bahn-Chaos, welches später noch kommen sollte, wollte in diesem Moment niemand denken.

München hat sich also in den vergangenen Tagen wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Nicht jedes aufgetauchte Problem kann man der Stadt in die Schuhe schieben, oftmals liegt die Schuld bei den Organisatoren vor Ort, denen scheinbar Profit wichtiger ist als Professionalität. Teile der chaotischen Zustände sind aber hausgemacht und da sollte schleunigst Besserung einkehren. Denn die EM hat gerade erst begonnen, bis zum 14. Juli werden noch fünf Spiele in München ausgetragen und das Wetter soll nun auch besser werden.

Es muss also noch mal tüchtig in die Hände gespuckt werden, will man sich in vielen Jahren an ein weiteres Sommermärchen erinnern und nicht an Tage, in denen München im Chaos versank.


Die Bilanz der Rettungskräfte

Trotz der Menschenmassen in der Arena und in der Fan-Zone beim Olympiapark hatte das Rote Kreuz am Freitag alles unter Kontrolle. Insgesamt 20 Menschen mussten ins Krankenhaus gebracht werden – meist wegen Stürzen und Kreislaufbeschwerden.

Auch für die Polizei München war es größtenteils ein ruhiger Auftakt. Am Parkhaus des Stadions versperrte ein britischer Fan den Ausgang. Und am Olympiapark traten drei 24-jährige Schotten kurz vor Halbzeitbeginn einer Münchnerin (22) in den Rücken und beleidigten sie.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.