Wirtshäuser sterben in Bayern: Die Lage in und um München

Immer mehr bayerische Gasthäuser müssen schließen. Interessierte protestieren und versuchen jetzt, den Verlust an Wirtshauskultur - auch in München - aufzuhalten. Ein baldiger Erfolg ist fraglich – und ein paar Schuldige gibt’s freilich auch.
von  Karl Stankiewitz
Er ist Geschichte: der Weyprechthof im Münchner Norden.
Er ist Geschichte: der Weyprechthof im Münchner Norden. © AZ-Archiv

München - Das seit langem beklagte Wirtshaus-Sterben beschränkt sich keineswegs auf ländliche Gemeinden. Auch in Randbezirken Münchens schwinden immer mehr gastro-gesellige Traditionen. "Auf Dauer geschlossen" hat, so zu lesen, seit 2017 der legendäre Weyprechthof am Hasenbergl (in dessen Toilette 1959 die Übergabe eines Sparbüchls an einen Bayernpartei-Minister der einzigen Nicht-CSU-Regierung Bayerns den Garaus machte).

Im Juni 2018 schloss das Wirtshaus am Hart (wo die Biermösl-blosn und andere große Kleinkünstler gastierten; glücklicherweise fand sich soeben ein neuer, hoffentlich ebenso kreativer Pächter). In Aubing befürchten die Bürger den Abriss oder die "Umnutzung" des Burenwirts. In Moosach ist das unter Denkmalschutz stehende Gasthaus Spiegel verwaist. In Gröbenzell verfällt der hundertjährige Grüne Baum.

Er ist Geschichte: der Weyprechthof im Münchner Norden.
Er ist Geschichte: der Weyprechthof im Münchner Norden. © AZ-Archiv

Traditionsgaststätten am Stadtrand sind bedroht

Während Münchens Innenstadt auch beim Verschwinden von Traditionshäusern rundum immer noch genügend Gastronomie aufweist, droht Dorfkernen und Stadtrandgebieten, wo es oft nur eine zentrale Gastwirtschaft gab, eine allmähliche Verödung. Schlimmer noch: Kulturverfall.

Zukunft noch ungewiss: Was passiert mit dem Wirtshaus am Hart?
Zukunft noch ungewiss: Was passiert mit dem Wirtshaus am Hart? © AZ-Archiv

Kürzlich hat eine vom Wirtschaftsministerium geförderte Studie des Instituts für Kulturgeografie der Universität Eichstätt das Wirtshaus nicht nur als "Knotenpunkt im dörflichen Geschehen" qualifiziert, sondern auch als "veritable kulturelle Institution", vergleichbar mit der – oft benachbarten – Pfarrkirche. Unbestritten sind im Übrigen dessen sozialer, urbaner und folkloristischer Stellenwert.

Was sind die Ursachen für das Wirtshaussterben?

Vielfältig, oft ineinander verwoben, sind die Ursachen für den anhaltenden Verfall dieses Stücks Heimatkultur. Die Uni-Studie macht, recht allgemein, eine "radikale Marktbereinigung" verantwortlich. Die wiederum hat ein ganzes Bündel von Gründen: 90 Prozent unserer Wirtschaften sind Familienbetriebe. Viele Wirte aber wollen im Alter ihren Beruf nicht mehr ausüben, zumal sie sich von ständig neuen Auflagen, allzu viel Papierkram und einer hohen Steuerklasse bedrängt fühlen. Auch ihre Söhne und Töchter lassen sich kaum durch die manchmal unmenschlichen Betriebsabläufe locken.

Einen neuen Pächter zu finden, ist für die Wirte meistens schwer Neue Pächter sind dann schwer zu finden. Sie sind womöglich radikale Modernisierer oder kaum an bayerische Lebensart angepasste Zuwanderer. Daher bleiben Stammgäste aus. "Ich gehe gerne zum Italiener oder Vietnamesen, aber doch lieber in ein Wirtshaus mit guter bayerischer Küche und dem manchmal etwas direkteren Umgangston", sagt Anselm Bilgri, der frühere Kloster- und Gastro-Manager und Unternehmensberater, in einem Kurzkommentar für die Abendzeitung.

Hier wird noch gehofft und gebangt: Was wird aus dem Burenwirt in Aubing?
Hier wird noch gehofft und gebangt: Was wird aus dem Burenwirt in Aubing? © AZ-Archiv

Es gilt: Rendite statt Tradition

Warum trifft es nun auch und vor allem Traditions-Gasthäuser? Bei dieser Frage kommen Investoren und Brauereien ins Spiel. Und die Gesetze des kapitalistischen Marktes. Man setzt vorrangig auf Rendite und weniger oder gar nicht auf Tradition. "Maximum ist aber nicht das Optimum", mahnt Bilgri. Mitverantwortlich macht der an Ethik gewohnte Experte unsere veränderte Kommunikations- und Gesprächskultur: "Der gepflegte Ratsch der Stammgäste, denen die Wirtsstube das eigentliche Wohnzimmer war, ist dem bequemen Fernsehsessel, dem Laptop und dem Smartphone gewichen. Eine gewisse Schuld trägt auf dem Land sicher das Rauchverbot. "Der Landwirt hat daheim gegessen – zum Trinken, Reden und Rauchen ging er ins Wirtshaus."

Die altehrwürdige Hundskugel – im März 2012 ist das Inventar versteigert worden, Münchens älteste Wirtschaft ist damit Geschichte.
Die altehrwürdige Hundskugel – im März 2012 ist das Inventar versteigert worden, Münchens älteste Wirtschaft ist damit Geschichte. © AZ-Archiv

Kürzlich gingen sie auf die Straße, die geplagten Wirtshäusler. "Es ist an der Zeit ein Zeichen zu setzen," plakatierten Frauen aus der Branche im März bei einem "Trauermarsch" durch die Innenstadt. Vor Markus Söder demonstrierten 3.000 Gastronomen; der Gründer eines Heimatministeriums stieß denn auch sofort ein "Programm Heimatwirtschaften" an und versprach 20 Millionen Euro für Modernisierungszwecke. Zusammen mit dem Wirtschaftsministerium bietet der Gaststättenverband eine kostenlose "Blitzlichtberatung" an. Hier bekommen Dorfwirte betriebswirtschaftliche Nachhilfe und praktische Tipps, wie sie ihre Gaststuben beleben könnten, beispielsweise durch einen Mittagstisch für Senioren.

Bayerns Wirte demonstrieren: "Wir wollen Steuer-Gerechtigkeit!"

In München haben die zwei ÖDP-Stadträte im Stadtrat eine Anfrage laufen, die dem Erhalt von Gastwirtschaften als "Zentren des sozialen und kulturellen Lebens" gilt. Denn diese trügen erheblich zur Wahrung und Weiterentwicklung der Identität der Münchner Stadtteile bei. Insbesondere geht es um "Traditionsgaststätten, deren Räumlichkeiten von einer Nutzungsänderung bedroht sind". Leo Meyer-Giesow (ÖDP) vom Bezirksausschuss Milbertshofen erwartet bis zum 14. Dezember eine grundsätzlich positive Antwort von der Stadtverwaltung. Denn im April hat das Referat für Stadtplanung und Bauordnung zum Fall Weyprechthof bestätigt, "dass die Festsetzung der Schank- und Speisewirtschaft im Erdgeschoss zwingenden Charakter hat". Geplant ist hier ein Hotel.

Hoffnung auf eine neue Generation von Gastleuten

Dass mit einer solchen "Festsetzung" in der Bauplanung die eigentliche Tradition, das Besondere, das Bayerische eines ehemaligen Gasthauses noch längst nicht gewährt ist, weiß auch ein ökologischer Demokrat wie Meyer-Giesow. Letztlich sind doch wieder die Wirte gefragt. "Tradition bedeutet nicht, die Asche bewahren, sondern das Feuer weiterzugeben," meint der ehemalige Pater und Wirt Anselm Bilgri. Er hofft auf eine neue Generation von Wirtsleuten, "die im Blut das Feuer haben, das man braucht, um mit Hingabe Gäste zu bewirten".

Ex-Pater Anselm Bilgri: Wirte sollen das "Feuer weitergeben".
Ex-Pater Anselm Bilgri: Wirte sollen das "Feuer weitergeben". © dpa

Rettung winkt dem bayerischen Wirtshaus vielleicht erst dann, wenn sich überall in der Gesellschaft das Bewusstsein verbreitet, dass dieser Traditionsträger ebenso zur Geschichte und Kultur unseres Landes gehören wie der Bauer auf dem Bauernhof, das Kruzifix in Amtsstuben und das Amen in der Kirche.

Lesen Sie hier den ersten Teil unserer Serie zum Wirtshaussterben: Tradition adé

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.