Wirtschafts-Boss Bertram Brossardt: "Wir brauchen die dritte Startbahn sofort!"
Der Vater (57) zweier Kinder ist seit 2005 Hauptgeschäftsführer der Verbände bayme, vbm, vbw.
AZ: Herr Brossardt, wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen der Sondierungsgespräche von Union und SPD?
Bertram Brossardt: Zunächst mal brauchen wir dringend eine stabile Regierung, gerade aus europäischer Perspektive. Da muss Deutschland ein wesentlicher Mitgestalter sein. Im Sondierungspapier finden sich Licht und Schatten. Gut ist die realistische Einschätzung und Herangehensweise bei der Erreichung der Klimaziele. Zu Recht wird dem Thema keine alles überlagernde Bedeutung gegeben, sondern betont, dass die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen berücksichtigt werden muss. Was uns fehlt, ist ein energiewirtschaftliches Gesamtkonzept. Erfreulich ist, dass die Themen Bürgerversicherung und sachgrundlose Befristung nicht enthalten sind.
Belastet es Sie nicht, dass die sogenannte "Parität" bei der Krankenversicherung wiederhergestellt wird?
Es wird hier übersehen, dass der Arbeitgeber ja schon die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall alleine trägt. Daher halten wir die Rückkehr zur sogenannten "Parität" für falsch. Auch mit dem Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit tun wir uns sehr schwer. Die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung ist richtig, weil das Geld bei den Beitragszahlern am besten aufgehoben ist.
Was müssten mögliche Koalitionsgespräche noch bringen?
Ein Koalitionsvertrag ist ein Gesamtkunstwerk aus Geben und Nehmen. Aber es darf nicht zu noch mehr Umverteilung kommen. Stattdessen stellt sich unter anderem die Frage einer Entlastung mittlerer Einkommen. Denn nach wie vor frisst die kalte Progression Lohnerhöhungen zu einem Gutteil wieder auf. In Zeiten sprudelnder Staatseinnahmen muss die Politik über Steuersenkungen statt -erhöhungen sprechen. Es muss auch ein klares Bekenntnis zur Mobilität her, samt Erhalt des Verbrennungsmotors.
"Die IG Metall war noch nie bescheiden"
Seit nunmehr acht Jahren befindet sich Deutschland im Aufschwung. Ist jetzt bei Tarifverhandlungen das Ende der Bescheidenheit gekommen?
Die IG Metall war noch nie bescheiden. In der Metall- und Elektroindustrie haben wir ein tarifliches Durchschnittsentgelt in Bayern von 58.200 Euro. Setzen Sie das mal in Vergleich zu anderen Branchen! In den vergangenen drei Tarifrunden sind die Einkommen um 20 Prozent gestiegen, die Arbeitnehmer konnten damit ein deutliches Reallohnplus verzeichnen. Die Frage ist: Wo liegt die Grenze dessen, was man von diesem hohen Niveau aus noch machen kann? Man schafft mit Tariferhöhungen ja Ewigkeitskosten. Und was, wenn die Konjunktur mal nicht mehr so läuft? Wenn die IG Metall bei dieser Tarifrunde überdreht, drohen Verlagerungen ins Ausland und Tarifflucht.
Ein Ende des Booms ist nicht absehbar. Wo liegt dann das Problem?
Irgendwann ist die Hochkonjunktur zu Ende. Die klassische Zyklenrechnung ist durch die Politik der Europäischen Zentralbank außer Kraft gesetzt. Es gab lange praktisch keine Inflation - das ändert sich gerade. Und auch die Energie- und Rohstoffpreise haben ziemlich angezogen.
Aber Sie warnen doch schon seit Jahren. Das Ergebnis ist immer mehr Wachstum und steigende Umsätze.
Ja, weil trotzdem Vorsicht geboten ist. Sie sehen ja Umstrukturierungen - auch bei so manchem großen Player. Das sind Folgen der Internationalisierung und Digitalisierung. Das bedeutet nicht, dass es am Ende weniger Beschäftigte gibt, aber die Art zu arbeiten wird sich ändern. Die Digitalisierung ist eine der größten Investitionsherausforderungen und dazu brauchen die Unternehmen finanzielle Spielräume. Und es gibt nach wie vor internationale Unsicherheiten.
Sie wollen in den laufenden Tarifgesprächen auf die Gewerkschaften zugehen und streben eine Lösung am Verhandlungstisch an. Wie kann diese aussehen?
Wir wollen immer eine Lösung am Verhandlungstisch. Das geht nicht auf der Straße! Es wird ohne jeden Zweifel eine Entgelterhöhung geben, deren Höhe nicht feststeht. Eine Flexibilität der Arbeitszeit nach unten, wie es die IG Metall will, ist dann möglich, wenn es gleichzeitig auch Flexibilität nach oben gibt. Eine reine Arbeitszeitverkürzung wäre demografiefeindlich und würde den bereits bestehenden Fachkräftemangel weiter verschärfen. Durch die geforderte Absenkung würden den Unternehmen Kapazitäten in Höhe von 33 000 Vollzeitarbeitsplätzen fehlen. Der von der IG Metall geforderte Teilentgeltausgleich für bestimmte Personengruppen, die bis auf 28 Stunden Wochenarbeitszeit verkürzen, ist für uns nicht verhandelbar. Er führt zu unterschiedlichen Löhnen für gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeiten und ist daher ungerecht und rechtswidrig. Er ist auch gesellschaftspolitisch falsch, weil der Arbeitgeber nicht dazu da ist, persönliche Lebenssituationen abzudecken. Das ist Sache des Gesetzgebers - wie bei Eltern- und Pflegezeit.
"Die Integration von Flüchtlingen ist ein Marathon, kein Sprint"
Wie sind die Erfahrungen Ihrer Mitgliedsbetriebe bei der Integration von Flüchtlingen?
Wir haben mit unseren Flüchtlingsintegrationsprojekten in Bayern bisher rund 48.000 Flüchtlinge in eine Beschäftigung und weitere 7.100 in eine Ausbildung gebracht. Im Jahr 2017 nahmen insgesamt rund 30 Prozent der Teilnehmer an unseren eigenen Integrationsprojekten eine Beschäftigung, eine Einstiegsqualifizierung, eine Ausbildung oder ein Studium auf. Angesichts der besonderen Herausforderungen, wie zum Beispiel den mangelnden Sprachkenntnissen von Flüchtlingen, ist das ein sehr positives Ergebnis. Mit dieser Quote liegen wir deutlich über dem Durchschnitt der Maßnahmen der Bundesagentur. Aber: Klar muss auch sein, dass Flüchtlinge kurzfristig keinen nennenswerten Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten können. Die Flüchtlingsintegration ist ein Marathon, kein Sprint.
In Großstädten wie München drohen womöglich Dieselfahrverbote. Besonders Unternehmen sind davon betroffen. Wie beurteilen Sie das?
Firmen sind mehrfach betroffen: Durch die Pendler, deren Arbeitspflichten unverändert blieben. Wenn sie nicht oder später zur Arbeit kämen, ginge das zulasten der Arbeitgeber. Auch der Lieferverkehr wäre betroffen, vor allem im Konsumbereich. Insoweit lehnen wir Fahrverbote strikt ab - von den Folgen für die Automobilindustrie ganz zu schweigen.
Wann soll die dritte Startbahn kommen?
Sofort! Sie muss ja erst noch gebaut werden. Wenn es jetzt losgeht, ist sie Anfang der 20er-Jahre fertig. München muss seine Drehkreuzfunktion erhalten. Dafür braucht man die dritte Startbahn. Jedes Zögern ist hier falsch. Wenn Verbindungen nur noch durch eine Fluggesellschaft bedient werden, ist das schlecht für die Bürger. Mitbewerber brauchen aber Slots, und zwar zu attraktiven Zeiten. Und es schafft Arbeitsplätze.