Wirte-Aufstand gegen "Internet-Pranger"

MÜNCHEN - Früher nutzten sie Ketten an Hausecken, Schandesel oder Pfähle. Hauptsache, der Übeltäter war gut zu sehen – und konnte nicht weglaufen, um seiner Strafe zu entgehen. So war der Betrüger oder Dieb der Wut, den Steinwürfen und den Schmähungen der Bürger ausgeliefert.
Den Pranger gibt es längst nicht mehr. Oder doch? Viele Münchner Wirte sehen ihn kommen. Ganz bald, in zwei Wochen schon. Ab September werden Wirte und Betriebe, bei denen Hygienemängel festgestellt wurden, im Internet veröffentlicht (AZ berichtete).
Verbraucherschutz nennt das die Politik. Ein Unding, schimpfen die Gastronomen. Sie halten die Ekel-Liste, die auf der Homepage des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit stehen wird, für gefährlich und unfair – Wirte-Aufstand gegen den „Internet-Pranger“, wie sie ihn nennen.
Die Regelung: Ein Betrieb kommt ins Netz, wenn der Verdacht besteht, dass er Grenzwerte bei Lebensmitteln überschreitet, „nicht nur in unerheblichem Ausmaß" gegen das Lebensmittelrecht verstößt oder die Behörde ein Bußgeld von mindestens 350 Euro prognostiziert.
Frank-Ulrich John, Sprecher des Gaststättenverbands Dehoga, hat da grundsätzliche Bedenken: „In Deutschland gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Geplant ist hier aber, jemanden an den Pranger zu stellen“, sagt er. Gastronomen würden „auf bloßen Verdacht hin“ als Schmutzfinken dargestellt – schon vor dem Verfahren.
Nach sechs Monaten verschwinde der Eintrag zwar, John aber sagt: „Was einmal im Internet steht, kriege ich in 100 Jahren nicht mehr raus.“ Solche Berichte würden sogar den Ruf nachfolgender Pächter ruinieren. John: „Wir stellen uns vor keinem Hygienesünder, aber wir sagen: Wendet lieber das derzeitige Recht viel schärfer an!“
Vor allem die Strafgrenze von 350 Euro entsetzt die Wirte. „So ein Bußgeld gibt es doch schon bei minimalen Verstößen“, sagt Birgit Netzle vom Asam-Schlössl. „Das kriegt man schon, wenn auf dem Mülleimer ein Deckel fehlt, irgendwo Rostflecke sind oder ein Spinnennetz am Fenster“, sagt die Wirtin.
Was konkret festgestellt wurde, stehe aber nicht im Netz, sondern werde mit Bezeichnungen wie „unhygienische Lagerung von Lebensmitteln“ vermerkt. „Die Kunden lesen das dann und denken gleich an verdorbene Ware, was ja wirklich ein schlimmer Verstoß ist“, sagt Birgit Netzle.
„350 Euro sind ganz schnell beinand“, sagt auch Metzgerinnungschef Georg Schlagbauer. „Das ist eine gebrochene Fliese und Flugrost am Fliegengitter. Hier geht’s dann nicht um Lebensmittelsicherheit, sondern um Kleinigkeiten.“
Viel schlimmer: „Wirte haben gar nicht die Möglichkeit, die Mängel in 24 Stunden zu beheben und neu kontrolliert zu werden“, sagt Schlagbauer. „Dafür haben die Behörden gar nicht genug Personal.“ Das alles führe nur „zu mehr Aggressivität und weniger Zusammenarbeit zwischen Behörden und Betrieben.“ Und am Ende zu einem „negativen Image“ für die ganze Branche.
Großer Schaden für alle – das befürchtet auch Manfred Vollmer. Der Internet-Pranger sei „bösartig“, sagt der Wiesn-Wirt. „Da können kleine Verstöße ganze Betriebe kaputt machen.“