Wirecard-Imperium: Beginn des Millionenprozesses

München - Der größte deutsche Wirtschaftsskandal der Nachkriegszeit, der größte Betrug, ein Dax-Unternehmen als Milliardengrab – die 4. Strafkammer des Landgerichts München I muss sich ab Donnerstag an mit einem Fall der Superlative befassen.
Ganz nüchtern geht es laut Pressemitteilung um das "Strafverfahren gegen Dr. Markus B. u.a. wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs u.a.". Markus B. ist Markus Braun, einst Vorstandschef des Zahlungsdienstleisters Wirecard. Das Münchner Start-up, gegründet 1999, wurde zum Aktienstar und Dax-Konzern, der die Deutsche Bank übernehmen wollte. Jahrelange Recherchen des britischen Journalisten Dan McCrum deckten aber Luftbuchungen, Bilanzfälschung und Betrug auf. Das Unternehmen ging 2020 pleite, Braun wanderte in U-Haft, Vorstand und COO Jan Marsalek tauchte unter.

Braun und Co. sollen Banken und Kreditgeber um 3,1 Milliarden Euro geprellt haben
Die Anklage wirft dem österreichischen Manager und zwei mitangeklagten ehemaligen Wirecard-Führungskräften vor, mit Hilfe gefälschter Bilanzen Banken und Kreditgeber um insgesamt 3,1 Milliarden Euro geprellt zu haben. Die "Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger" (SdK) hatte im Vorfeld die Erwartungen von Anlegern gedämpft. Von dem Prozess sei "keine umfassende Aufklärung" zu erwarten, sagte SdK-Vorstand Marc Liebscher am Dienstag. Gleichzeitig äußerte er scharfe Kritik an der Arbeit von Justiz und Behörden. Der Staat mache bei der Aufarbeitung "keine gute Figur", nachdem er schon bei der Verhinderung des Skandals versagt habe.
Ende 2023 droht Verjährung bei Schadensersatzansprüchen
Im Visier des SdK-Juristen: das Landgericht München, das mit "Schikanen" gegen klagende Wirecard-Anleger arbeite, die aus seiner Sicht viel zu langsam agierende Staatsanwaltschaft München und die beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelte Aufsichtsbehörde "APAS". Die Stelle führt die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer und untersucht laut Liebscher seit drei Jahren, ob Sanktionen gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) verhängt werden, die Wirecard-Abschlüsse testiert hatte. Den Aktionären, die Zivilklagen gegen EY anhängig gemacht haben, laufe die Zeit davon, warnte Liebscher. Ende 2023 drohe die Verjährung der Schadenersatzansprüche.

McCrum sagte der AZ im Mai zu EY: "Ein Fazit aus meinem Buch ist, dass eine Art Gruppendenken um sich gegriffen hat. Wenn sich die Leute mit einem komplizierten Thema wie etwa Kryptowährungen beschäftigen und sich die Zeit nehmen, dieses neue Thema zu durchdringen, dann glauben sie, sie haben das Geheimnis dieser komplizierten Finanz-Sache gelüftet. Vielleicht ist das auch Ernst&Young mit Wirecard passiert. Vermutlich war es schwer, sich dieses Unternehmen anzusehen und festzustellen, ja, vielleicht ist das hier ein völliger Betrug."