„Wir wollen nicht als tolle Hechte dastehen“

Zum kommenden Todestag des mutigen Mannes von Solln spricht FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß über den Prozess, sein Engagement für Zivilcourage und seinen Ärger über den S-Bahn-Fahrer.
AZ: Ein Jahr nach dem Tod von Dominik Brunner ist der Prozess vorbei. Die Täter müssen lange ins Gefängnis. Haben Sie auf ein solches Urteil gehofft?
ULI HOENESS: Zunächst bin ich bin froh, dass sich der Richter nicht vom öffentlichen Diskurs hat beeinflussen lassen. Der Prozess wurde von so viel öffentlicher Hektik begleitet. Die Medien versuchten permanent vorzuschreiben, wie ein Urteil lauten muss. Nicht jeder Richter kann sich davon frei machen.
Ist mit den Urteilen Dominik Brunner Gerechtigkeit widerfahren?
Er hat ja nichts davon. Ob die Täter nun freigesprochen werden oder lebenslang bekommen, das macht für ihn keinen Unterschied. Tatsache ist: Er lebt nicht mehr.
Im Prozess wurde bekannt, dass Brunner zuerst zugeschlagen hatte. Es wurde diskutiert, inwieweit ihn eine Mitschuld trifft. Sie sagten, es würde versucht, Opfer mit Tätern zu verwechseln.
Ja, den Versuch gab es. Das hat mich sehr gestört und ich finde diese Diskussion ungeheuerlich. Die Täter hatten gute Verteidiger. Aber Fakt ist doch: Wäre der Mann unbehelligt nach Hause gefahren, wäre nie etwas passiert. Ginge es nach mir, hätte ich auch den S-Bahn-Fahrer vor Gericht gestellt, wegen unterlassener Hilfeleistung. Teilweise wurde versucht, Gerechtigkeit zu verdrängen.
Wie haben Sie damals vom Tod Brunners erfahren?
Das weiß ich noch ganz genau. Wir hatten ein Auswärtsspiel in Dortmund, lagen 0:1 zurück und haben am Ende noch 5:1 gewonnen. Wir waren total euphorisiert. Später im Mannschaftsbus hörten wie die Nachricht im Radio. Zunächst dachte ich: Kann so etwas wirklich in München passieren?
Wie haben die Spieler reagiert?
Sie waren sehr betroffen. Anschließend hat jeder einzelne sofort gesagt: Ich will mich auch engagieren, dass so etwas nicht wieder passiert. Egal, was wir machen, ich bin dabei. Da hat keiner vorher noch seinen Berater gefragt.
Sie haben dann in der Allianz Arena vor dem Derby gegen Nürnberg eine Rede gehalten, in der Sie Brunner als Vorbild bezeichneten.
Ich habe mir damals sehr viel Mühe mit der Rede gegeben. In der Nacht vorher habe ich lange Stichworte gesammelt. Erst wollte ich die Rede von einem Zettel ablesen, habe mich dann aber entschieden, sie doch frei zu halten. Ich finde bis heute erstaunlich, dass im Stadion kein Laut zu hören war. Meistens grölt bei Schweigeminuten irgendjemand dazwischen. Aber da hätte man eine Stecknadel fallen hören. Offenbar hat es viele Menschen berührt, dass ein Fußballverein auch beim Thema Zivilcourage klar Stellung bezieht.
Heute sind Sie Mitglied im Kuratorium der Dominik-Brunner-Stiftung. Dort haben Sie Oskar Brunner kennen gelernt. Er ist nach dem Tod seines Sohnes schwer erkrankt.
Ein Wunder ist das nicht, wenn einem als Vater etwas so Furchtbares passiert.
Die Stiftung will Zivilcourage fördern – hat sie etwas bewirken können?
Ich höre von der Polizei, dass sich in einzelnen Fällen immer wieder Menschen einmischen statt wegzuschauen. Uns geht es bei der Stiftung nicht darum, als tolle Hechte und Helden dazustehen. Dass ein Mensch sterben muss, weil er anderen hilft – so etwas das darf nie wieder passieren. Allein darum geht es.
Sie werben auf vielen Veranstaltungen für Zivilcourage. Kommt Ihre Botschaft an?
Ich denke schon, dass sich heute mehr Menschen mit Zivilcourage beschäftigen. Niemand muss einen Kurs im Boxen belegen. Jeder kann eingreifen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten. Man kann andere auffordern zu helfen, oder einfach laut um Hilfe schreien.
Haben Sie persönlich Situationen erlebt, in denen Sie Zivilcourage beweisen mussten?
Ja, das kam vor. Für mich besteht überhaupt kein Zweifel, dass ich eingreife. Auch wenn sich das aus der Distanz immer einfacher sagen lässt.
Was plant die Brunner-Stiftung für die Zukunft?
Wir wollen in München ein Dominik-Brunner-Haus gründen. Wir suchen nach einem passenden Gebäude. Wir wissen noch nicht wo und auch nicht wie wir das finanziell realisieren können. Sicher ist, es soll eine Einrichtung für sozial benachteiligte Jugendliche werden. Wir können nicht tausende Jugendliche von der Straße wegholen, aber einige vielleicht schon. Wir hoffen in den nächsten 12 Monaten die Planungen abzuschließen.
Interview: Reinhard Keck