„Wir wollen endlich auch ein Stück von dem Kuchen!"
MÜNCHEN - Zwei Trambahn-Fahrer erklären, warum sie streiken. Wenn es im Tarifstreit zu keiner Einigung kommt, droht ab dem 10. März ein unbefristeter Arbeitskampf.
„Ich komme mir vor wie eine Salami – ich kriege jedes Jahr ein Stückchen weniger.“ So beschreibt Heidi Ruprecht (40) den Grund, warum sie am Dienstag streikt. Seit 14 Jahren arbeitet sie als Trambahn-Fahrerin in München. Im Monat bekommt sie dafür durchschnittlich 1650 Euro netto – schon inklusive aller Zulagen.
Was viele Beschäftigte ärgerte: Das "Oberfahrer-Fünferl" wurde abgeschafft
Es gab viele Entscheidungen in den letzten Jahren, die sie geärgert haben. Zum Beispiel dass das Wegegeld für die Strecke von Einsatzort zu Einsatzort nicht mehr bezahlt werde, erzählt. Oder dass eine Vergünstigung für altgediente Mitarbeiter abgeschafft worden sei: „Wer früher mehr als 10 Jahre dabei war, bekam drei Cent in der Stunde mehr.“ Vorbei – die kleine Anerkennung, die intern „Oberfahrer-Fünferl“ hieß, wurde gestrichen. Nur der Arbeitsdruck, der sei immer größer geworden. „Seit 2003 ist der Personalstamm stark reduziert worden.“ Allein Heidi Ruprecht hat 274 Überstunden und 25 Urlaubstage mit ins neue Jahr genommen. Sie ist enttäuscht: „Der Betrieb hat kein soziales Verständnis mehr.“
Besonders hart traf die Beschäftigten in den 15 öffentlichen Nahverkehrsunternehmen – zu denen auch die MVG gehört – der neue Tarifvertrag im Jahr 2007. Bis dahin wurden sie nach dem bundesweiten Tarifsystem des öffentlichen Dienstes bezahlt. Dann bekamen sie eine eigenständige Lohnvereinbarung. „Das war teils mit finanziellen Einbußen von 200 bis 450 Euro verbunden“, sagt Martin Marcinek von Verdi München.
Die Positionen von Gewerkschaft und Arbeitgebern liegen weit auseinander
Jetzt fordert die Gewerkschaft 9,5 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten – mindestens aber 250 Euro monatlich mehr. Außerdem: Eine Erhöhung der Schichtzuschläge. „Seit 2004 gab es keine tabellenwirksame Lohnerhöhung mehr für die Nahverkehrsbeschäftigten – nur Einmalzahlungen“, betont Verdi-Verhandlungsführer Frank Riegler. Doch die Arbeitgeber hätten bislang nur einen Inflationsausgleich angeboten – und eine Arbeitszeitverlängerung ohne Bezahlung gefordert.
Für die Arbeitgeber-Seite sitzt übrigens der Stadtwerke-Geschäftsführer Reinhard Büttner am Verhandlungstisch. Selbst Gewerkschafts-Mitglied. Aber freilich nicht nach Tarif bezahlt. 2008 erhielten die SWM-Bosse auf einen Schlag über 50 Prozent mehr Grundgehalt...
1400 Euro im Monat - davon lebt Trambahnfahrer Timo Voigt
Auch Timo Voigt (30) will streiken. Seit 5 Jahren ist er Fahrer – erst bei der U-Bahn, jetzt bei der Tram. Sein Nettoverdienst inklusive Zulagen: 1400 Euro. „Es ist jeden Monat wieder ein Wunder, wie man gerade so über die Runden kommt“, sagt er. Letztes Jahr habe er sogar sein Auto abschaffen müssen – zu teuer.
600 000 Menschen werden nach MVG-Angaben heute von dem Warnstreik betroffen sein. Und vielleicht nicht nur heute. Am Donnerstag steht die nächste Verhandlungsrunde an. Der dritte Termin ist für den 2. März angesetzt. Wenn es dann wieder zu keiner Einigung kommt, droht ab dem 10. März ein unbefristeter Arbeitskampf.
Den letzten Streik hatte es im September 2005 gegeben. Dreieinhalb Jahre später ist der Stillstand wieder programmiert. 2840 MVG-Beschäftigte sind dazu aufgefordert, ihre Arbeit niederzulegen. Nur das Kundenzentrum am Marienplatz soll geöffnet haben. Damit die Fahrgäste ihre Monatskarten kaufen können – für gerade stillstehende Fahrzeuge.
Höhere Löhne = teurere Tickets?
MVG-Chef Herbert König hatte im Tarifstreit bereits indirekt mit teureren Tickets gedroht: „Es besteht ein unmittelbarer und zwingender Zusammenhang zwischen der Lohntarifentwicklung und den künftigen Fahrpreisen.“ Verdi-Verhandlungsführer Riegler widerspricht: Die Tickets seien auch ohne deutliche Lohnerhöhungen in den letzten Jahren immer teurer geworden. Die Gewerkschaft verweist auf Rekordzahlen, die die MVG in punkto Fahrgäste oder zurückgelegte Kilometer schreibt. Tram-Fahrerin Heidi Ruprecht: „Wir wollen endlich auch ein Stück von dem Kuchen!“
Julia Lenders
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