"Wir trinken sein Wasser": Wie Max von Pettenkofer die Stadt München geprägt hat

Max von Pettenkofer - die Münchner kennen diesen Namen. Einige kennen auch sein voluminöses Gelehrten-Denkmal auf dem Maximiliansplatz. Die meisten wissen jedoch kaum etwas über das Leben des berühmten "Vaters der Hygiene" aus München.
Das neue Buch "Meine Verehrung Exzellenz!" stellt nicht nur den hochdekorierten Münchner Forscher vor, sondern den wertvollen Menschen Pettenkofer: Sein Leben begann als fünftes von acht Kindern einer armen Bauernfamilie bei Neuburg an der Donau. 2018 wurde sein 200. Geburtstag zelebriert.
Pettenkofers Pionierleistung existiert bis heute
Der Autor, Bauingenieur Ben Tax (68), führt seit über 20 Jahren für die Münchner Stadtentwässerung durch das historische Kanalsystem, das Pettenkofer erbauen ließ - eine Pionierleistung in der damaligen Zeit. Die AZ sprach mit dem Ex-Mitarbeiter der Stadtentwässerung über Pettenkofers Ziel: die Gesundheit der Bevölkerung.
AZ: Herr Tax, Sie sind ein begeisterter Pettenkofer-Fan. Erklären Sie bitte, warum.
BEN TAX: Dafür gibt es mehrere Gründe. Dieser Mann war selbstlos. Er hat stets an das Wohl der anderen gedacht. Er war ein eingefleischter Wissenschaftler, der sein Wissen bevorzugt aus praktischen Versuchen bezog.

Der Münchner bekam alle Ehrungen.
Er wurde dennoch nie arrogant oder abgehoben. Mit jedem hat er vernünftig gesprochen - und im Wirtshaus mit den Arbeitern geplaudert.
Tax: "Mit Besuchern steige ich in die Abwasserkanäle"
Wann haben Sie das erste Mal Fakten zu Max von Pettenkofer erfahren?
In den 80er Jahren. Besuchern und Schulklassen zeige ich seitdem die Münchner Unterwelt. Wir steigen hinab in die Abwasserkanäle. Ständig gibt es Fragen zu Pettenkofer, dem Erbauer. Das Interesse ist riesig. Darum habe ich im Stadtarchiv, der Stabi, der TU und im Pettenkofer-Museum bei Neuburg viele Fotos, Briefe, Ehrungen gesammelt. Ich habe mich regelrecht in einen Rausch geforscht und dabei entstand diese Buch-Idee.
230 Kilometer Kanalnetz in der Innenstadt gehen auf Pettenkofer zurück. Wenn Corona vorbei ist, gibt es dann wieder tägliche Kanal-Führungen?
Ich bin dabei! Die Entwässerung der Stadt ist eine Sache, mit der jeder täglich lebt. Ich kann sie meinem Publikum in einem guten Licht zeigen. Über die hervorragende Trinkwasserversorgung in München spreche ich auch. Denn das Frischwasser, das wir heute in der Stadt haben, ist Pettenkofer-Wasser. Wir haben es von ihm.
In 24 Stunden vom Berg in den Wasserhahn
Das Münchner Wasser hat den besten Ruf.
Pettenkofer hat es aus dem Mangfalltal nahe Miesbach geholt. Zu zwei Dritteln kommt unser Wasser heute noch von dort. Das Quellwasser wird ohne Pumpe über ein natürliches Gefälle im freien Ablauf nach München geleitet. Chemisch wird es nicht behandelt. Das Wasser, das die Münchner trinken, war 24 Stunden vorher noch im Berg.
König Ludwig II. hat nicht nur Schlösser errichtet ...
... sondern auch für die Allgemeinheit Sinnvolles gemacht. Er hatte Pettenkofer den Auftrag erteilt, München eine Wasserversorgung für die nächsten 100 Jahre einzurichten.
München wurde die sauberste Stadt Deutschlands
Im Volksmund heißt es: Pettenkofer kam - und die Cholera ging.
Als Junge war ein Mitschüler von ihm an der Cholera gestorben. Das war die Initialzündung für sein Interesse an der Seuche. 1854 sind über 3000 Münchner an der Cholera gestorben.

Fieber, Erbrechen und Durchfall sind die Symptome. Die Todesrate betrug 25 Prozent.
Es gab Kranke, die waren am nächsten Tag tot, andere zwei Tage später. Pettenkofer hat herausgefunden, dass die Seuche vor allem dort auftritt, wo Dreck und Fäkalien zu finden sind. München hat er mit seinem Kanalsystem und der Wasserversorgung bis 1900 zur saubersten Stadt in Deutschland gemacht. Dort, wo die Abwässer in Kanäle abgeleitet wurden, ging die Cholera gegen null.
Die Bürger haben lange nicht eingesehen, was Pettenkofer für einen Aufwand beim Bau der Kanäle treibt.
Pettenkofer hat ein unterirdisches München aufgebaut und dafür jede Straße aufgraben lassen. Außerdem sahen viele nicht ein, für Abwasser zu zahlen. Doch der Erfolg war bald spürbar. Die Cholera blieb weg. Pettenkofer hatte sich so die Sympathie der Münchner erworben. Seine Beerdigung haben 22 000 Leute begleitet.
Der Tod seiner Kinder veränderte ihn
Privat hatte er eine sehr glückliche Ehe.
Seine hübsche Cousine Helene, in die er verliebt war, erklärte sich bereit, ihn zu heiraten, wenn er die Schauspielerei, in die er sich zwischendurch geflüchtet hatte, sein lässt und "ein ordentlicher Mensch würde und zu den Studien zurückkehrte".

Seine Karriere und Erfolge sind ohne Beispiel: Der angesehene Forscher hat familiär jedoch schmerzvolle Schicksalsschläge erlitten
Drei von seinen fünf Kindern sind zu seinen Lebzeiten an der Tuberkulose gestorben, im Alter von 24, 28 und 44 Jahren. Im 19. Jahrhundert war das vielleicht nichts Ungewöhnliches, aber das Leid veränderte ihn.
Er vergrub sich in seine Arbeit. War er im Alter verbittert?
Das weiß ich nicht. Er wählte letztendlich einen selbstbestimmten Tod. Sein Bruder war an Demenz erkrankt und Pettenkofer, der sich immer auf seinen Kopf verlassen konnte, wollte nicht zum Trottel werden und jemandem zur Last fallen. Im Alter von 83 Jahren hat er sich in seiner Wohnung in der Residenz erschossen. Ein kirchliches Begräbnis hat er trotzdem erhalten, weil die Kirche befand, dass der große Gelehrte in geistiger Umnachtung gehandelt haben muss.
Tax: "Er fand verschiedenste, praktikable Lösungsansätze"
War Max von Pettenkofer ein Universalgelehrter?
Er war auf alle Fälle ein Genie. Ein schlauer Kopf, der oft nach Lösungen gefragt wurde. Auch wenn es nicht sein Gebiet war, er setzte sich ein. Das hatte für ihn einen besonderen Reiz. Was für ein intensives Wissenschaftsleben! Durch den Anstoß von außen fand er bei verschiedensten Aufgabenstellungen praktikable Lösungsansätze.
Pettenkofer hat den Münchner Schlachthof erbauen lassen.
Er erfand Verfahren zur Trennung von Metall und zur Konservierung von Fleisch als Extrakt. Weitere Bravurstücke sind im Buch zu finden. Er war Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität. Nebenbei führte er sein Leben lang die Hofapotheke in der Residenz.
Robert Koch war für ihn ein Konkurrent
100 Medaillen, neun Ehrendoktorwürden: Hatte der so Gerühmte eigentlich auch schlechte Eigenschaften?
Er war sehr von sich überzeugt. Mit Robert Koch, der den Cholera-Bazillus entdeckt hatte, lieferte er sich einen Konkurrenzkampf. Für seine Theorie war er bereit, sein Leben zu opfern: Von Robert Koch ließ er sich Cholera-Bakterien schicken, die er unter Zeugen schluckte. Als Beweis dafür, dass nicht die Bakterien alleine töten, sondern Dreck und unhygienische Zustände die Hauptverantwortung tragen. Am Schluss hatte Pettenkofer nicht recht.
Seinen Selbstversuch hat er überlebt.
Er hatte glücklicherweise wohl genügend Resistenzen.