„Wir sind uns sicher, dass wir den Täter gefunden haben“
Die spektakuläre Wende im Mordfall Ursula Herrmann: Der ehemalige TV-Techniker Werner M. stand von Anfang an auf der Liste der Verdächtigen ganz oben. Bis zu seiner Festnahme lebte er mit seiner Frau an der Ostsee und betrieb einen Seglershop.
Er stand 27 Jahre ganz oben auf der Liste der Ermittler: Schon zwei Tage, nachdem 1981 die Leiche der kleinen Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee gefunden wurde, gab es einen anonymen Hinweis „Schaut Euch mal den Nachbarn an“. Die Polizei nahm den Mann fest, musste ihn aber wieder laufen lassen. Erst jetzt gelang es, Werner M. (58), der heute in Schleswig-Holstein lebt, zu überführen – weil er ein Tonband, auf dem er den Eltern des entführten Mädchens immer wieder eine Melodie am Telefon vorgespielt hatte, bis heute behielt. „Wir sind uns sicher, dass wir den Täter gefunden haben“, sagt der Augsburger Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz.
„Für mich bricht eine Welt zusammen“, sagte seine Tochter der AZ nach der Verhaftung. Für die junge Frau doppelt schlimm: Auch ihre Ziehmutter, M.s zweite Frau, wird von den Fahndern beschuldigt und verhört. Sie und M. waren bereits zusammen, als Ursula Herrmann verschwand. Nun mussten beide Speichelproben abgeben. „Wir gehen von Mittäterschaft aus“, sagt Reinhard Nemetz.
Das Paar lebte seit dem Jahr 2000 in einem 10
000-Seelen-Nest in Schleswig-Holstein und betrieb dort ein Geschäft für Yacht- und Bootsbedarf. Flucht vor der Vergangenheit? Nein, sagt M.s Tochter. Ihr Vater, ein begeisterter Segler, habe sich mit dem Umzug an die Ostsee einen Lebenstraum erfüllt. „Wir sind schon als Kinder im Urlaub immer ans Meer gefahren.“ sie. Seine Liebe zu Wasser und Schiffen hatte Werner M. schon in den 80ern ins Visier der Ermittler gerückt. Der ungelernte Fernsehtechniker (er brach die Lehre ab) verbrachte seine Freizeit damals damit, alte Schiffe aufzumöbeln und weiterzuverkaufen. Da passte ins Bild, dass die Kiste, in der Ursula Herrmann qualvoll erstickte, aus Sperrholzplatten gezimmert wurde, wie sie beim Bootsbau verwendet werden. Hinzukam, dass M. bei Ursulas Verschwinden 150 |
000 Mark Schulden hatte. Ebenfalls belastend: Das Radio, das im Verlies gefunden wurde, war fachmännisch manipuliert worden. Schließlich meldete sich sogar ein Zeuge bei der Polizei und behauptete, er selbst sei mit Mofa und Spaten in den Wald gefahren und habe für Werner M. die Grube ausgehoben. Die Fahnder glaubten sich am Ziel – doch dann verweigerte ihr Mann plötzlich die Aussage. Die Indizien allein reichten für eine Verhaftung nicht aus. Werner M. und seine Familie zogen wenig später aus Eching weg – zuerst nach Niederbayern, dann in die Oberpfalz, wo er eine Geschäftsführungsgesellschaft für Autotransportzubehör betrieb, dann nach Schleswig-Holstein. Dort ist der gebürtige Oberhausener bekannt wie ein bunter Hund. Nicht zuletzt deshalb, weil er und seine Frau auf dem Markt einen Stand mit bayerischen Delikatessen – Bier, Leberkäs – betrieben. „Er ist ein merkwürdiger Mensch“, sagen viele. „ich hätte ihm das trotzdem nicht zugetraut“, sagt eine Kellnerin. „Mein Vater ist ein Mann wie ein Schrank. Nach außen wirkt er dominant, aber drinnen hat er eine gute Seele. Harte Schale, weicher Kern, eben“, sagt seine Tochter. Auf jeden Fall ein Mann, den die bayerischen Fahnder nicht vergaßen. Seit 2004 wertete eine Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamtes sämtliche Akten und Spuren im Fall Ursula Herrmann neu aus. Vor wenigen Monaten standen die Fahnder dann vor M.s Tür in Schleswig-Holstein – Hausdurchsuchung. Sie wollten von dem Langzeit-Verdächtigen eine DNA-Probe. Das Ergebnis war negativ, doch was sie diesmal fanden, war für M. verhängnisvoll: Sie entdeckten ein jahrzehntealtes Tonband, das wahrscheinlich bei der Entführung verwendet worden war. Der Kidnapper hatte damals immer wieder bei den Eltern des Mädchens angerufen und ihnen ein Band vorgespielt auf dem nichts zu hören war außer der BR-Verkehrsfunk-Erkennungsmelodie – insgesamt neun Mal. Phonetik-Experten der Kriminaltechnik kamen jetzt zu dem Schluss: Das beschlagnahmte Band ist „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ das des Erpressers. Chefermittler Nemetz: „Das I-Tüpfelchen ist für die Staatsanwaltschaft dieses Gutachten.“ Außerdem verstrickte sich Werner M. bei der Vernehmung in Widersprüche. Er behauptete, Ursula Herrmann nicht gekannt zu haben, obwohl er nur 250 Meter entfernt wohnte. Und das ist immer noch nicht alles. „Wir haben hier nicht alle Indizien mitgeteilt“, sagte Nemetz und erklärte zur Begründung: „Weil wir nicht doof sind.“ Neben Werner M. und seiner Frau werden noch zwei weitere Personen beschuldigt, etwas mit dem Tod der kleinen Ursula zu tun zu haben. Sie hatten Werner M. mehrere Alibis verschafft. „Nach unserer Einschätzung waren die Alibis falsch und abgesprochen“, sagt Nemetz jetzt. Die Ermittler glauben, dass M. die Zehnjährige am 15. September 1981 entführte, als sie auf dem Heimweg nach Eching war. Sie sind überzeugt davon, dass er derjenige war, der zwei Millionen Mark von den Eltern forderte – während Ursula in einer Holzkiste, die M. im Wald vergraben hatte, erstickte. Als seine Leute am Mittwochmorgen um sieben Uhr bei M. klingelten sei der auch nicht überrascht gewesen, sagt LKA-Chefermittler Josef Geißdörfer. „Er kannte uns ja schon.“ Nina Job, Natalie Kettinger |
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