"Wir sind hier im Auge des Taifuns!": Wie die Volunteers in München die EM erleben

Ohne sie wäre die EM wohl nicht machbar: Allein in München sind 1600 "Volunteers" im Einsatz. Einer davon: der AZ-Reporter. Er berichtet, wie so eine Volunteer-Schicht abläuft.
Lutz Bäucker |
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Mittendrin statt nur dabei: die brasil-grün-gelb gewandeten Volunteers auf der Esplanade an der Arena in München. Foto: Lutz Bäucker
Mittendrin statt nur dabei: die brasil-grün-gelb gewandeten Volunteers auf der Esplanade an der Arena in München. Foto: Lutz Bäucker

München – Auf der Esplanade vorm Münchner EM-Stadion sehe ich nur Gelb. Links von mir, direkt vor mir, rechts und hinter mir. Gelb. Die Trikots der Fans aus Rumänien. "Romania, Romania!", skandieren sie nach dem Sieg gegen die Ukraine. Lautstark, aber friedlich und freundlich. "Fanzone, wo Fanzone?", schreit einer mit heiserer Stimme, sie wollen feiern. Bevor ich "Left lane! Links zum Bus!" zurückschreien kann, verschwindet er in der Masse aus gelben Leibern.

"Wir sind hier im Auge des Taifuns!"

Volunteerin Elke neben mir ist einen Kopf kleiner als ich: "Wir sind hier im Auge des Taifuns!", ruft sie lachend. Unsere Kette aus brasil-grün (manche sagen senegal-grün) gewandeten Freiwilligen wird schier überrannt. 22.000 Rumänen wollen in die Fanzone im Olympiapark, hat uns die Organisationsleitung Arena gesagt, wir sollten die Menge zu den entsprechenden Shuttlebussen lenken. Wir versuchen es, so gut es geht. Und wissen jetzt, wie sich das anfühlt, als Felsen in der Brandung…

AZ-Reporter Lutz Bäucker zeigt am Stadion den richtigen Weg. Foto: Lutz Bäucker
AZ-Reporter Lutz Bäucker zeigt am Stadion den richtigen Weg. Foto: Lutz Bäucker

Die Volunteers sind das "Gesicht des Turniers"

Verschwitzt und heiser tauchen wir nach knapp zwei Stunden wieder auf aus der gelben Masse. Sind glücklich, Zehntausende auf den rechten Weg gebracht zu haben. "Als Volunteers seid ihr das Gesicht dieses Turniers", so hat man uns motiviert, stundenlang ohne Entgelt in der sengenden Sonne zu stehen, den Fans aus Schottland, der Ukraine, aus Deutschland und Rumänien den Zugang zur Arena mal links herum, mal rechts herum schmackhaft zu machen.

Ein Team: Menschen jeden Alters und jeder Herkunft stellen sich in den freiwilligen Dienst der EM. Foto: Lutz Bäucker
Ein Team: Menschen jeden Alters und jeder Herkunft stellen sich in den freiwilligen Dienst der EM. Foto: Lutz Bäucker

Macht ein freundliches Gesicht, spielt nicht mit dem Handy, seid einfach da, so die Anweisungen. Machen wir gern. Dabei sein ist unser Antrieb, Kontakt mit Menschen, die Atmosphäre eines Events zu erleben und aufzusaugen, das viel mehr ist als nur Fußball. Einmal steht Lars neben mir in der Brandung aus gelben Leibern. Abteilungsleiter einer großen Bank in Niederbayern, er schwenkt eine große Info-Tafel und ist einfach glücklich: "Ich war schon bei vier Fußballturnieren als Volo dabei", erzählt er mit leuchtenden Augen, "ich liebe das!".

Rainer kommt aus dem Schwäbischen, frisch pensionierter Polizist: "I hab jetzt Zeit und Luscht", meint er, "also hab i mi beworben - und bin gnomma worda!". Mit Wonne wirft er sich den singenden und tanzenden Fans entgegen, gestikuliert und parliert, dirigiert die einen zur U-Bahn und die anderen zum Shuttlebus Richtung Scheidplatz.

"Das ist was ganz anderes als in meinem Alltag", sagt Sozialpädagogin Mel

"Des macht Spaß!", Mel ist im "normalen Leben" Sozialpädagogin und organisiert Hilfe für Menschen in Not. Jetzt steht sie mittendrin in der Menschenflut und freut sich: "Das ist was ganz anderes als in meinem Alltag, was Besonderes." Peter hat ein kleines Unternehmen in München, er ist bei der EM im Volunteer-Team "Biergärten". Also Besucherlenkung und das zentrale Volo-Management im Münchner Eisstadion über die aktuelle Lage updaten. Er sieht seinen Einsatz als Auszeit vom stressigen Arbeitsalltag.

Und Touristikfachfrau Nina steht am Info-Desk im Hauptbahnhof, sie ist bei ihren ersten Volunteer-Einsätzen bei den European Championships und bei der Handball-EM regelrecht "infiziert" worden: "Den Gästen in unserer Stadt helfen zu können, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, die EM zusammen im Team zu einem Erfolg zu machen - das motiviert mich!" Neulich war Ex-Nationalspieler Gerald Asamoah am Desk, das Gruppenbild mit ihm hat Nina verpasst. Der spontane Auftritt eines tanzenden Schotten war mehr als Ersatz dafür: "Der hat gespielt, bis er zum Zug musste. Mich hat das unvergleichliche Sommererlebnis der European Championships angefixt: mit wildfremden Menschen etwas auf die Beine zu stellen und ganz nah dabei sein zu können - das ist es!"

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Am Marienplatz, am Chinesischen Turm oder am Flughafen: Die 1600 Volunteers sind überall

Die auffällig-chice grün-gelb-graue "Uniform" der aus Zehntausenden von Bewerbern ausgewählten 1600 Helfer ist überall zu sehen: am Busbahnhof, am Marienplatz, am Chinesischen Turm oder am Flughafen. Die Schichten gehen von 8.30 Uhr bis ein Uhr nachts. So wie bei mir draußen an der Arena. Doch wenn gegen Mitternacht die Schotten ihre Dudelsäcke rausholen und zum Tanz auf der Esplanade aufspielen, dann spielt die Zeit keine Rolle mehr.

"Thank you für these memories" , ein karoberockter Mann aus Edinburgh reicht mir die Hand. "Wenn du genug Bier getrunken hast, kannst du auch Dudelsack spielen", macht mir ein anderer Mut. "Which clan your tartan comes from?" - das sei die entscheidende Frage an einen schottischen Fan, hat uns Englischlehrerin Teresa im kostenlosen "Refresherkurs für Volunteers" kurz vor dem ersten Spiel noch eingebläut: "Zu welchem Clan gehörst du?"

Als Volunteer gehöre ich jetzt drei Wochen lang zum "Clan" der fußballliebenden friedlichen Hunderttausend, die in München auf dem Weg zum Sommermärchen 2024 sind. Egal, ob sie zur Arena den linken oder den rechten Weg über die Esplanade nehmen. "Ihr makkt ein gutn Job," sagt ein Mann aus dem ukrainischen Dnipro und klatscht uns ab. Er lächelt.

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