„Wir kämpfen weiter“ - OB Reiter besucht Flüchtlinge

München - Er ist schnell zur Stelle gewesen, das muss man Dieter Reiter lassen: Am dritten Tag des Hungerstreiks, dem ersten Werktag nach Beginn der Versammlung, hat Münchens Oberbürgermeister das Gespräch mit den protestierenden Flüchtlingen am Sendlinger Tor gesucht. Sein Vorgänger Christian Ude hatte sich im Sommer 2013 doppelt so lange Zeit genommen, bevor er das Camp auf dem Rindermarkt besuchte.
Fast eine Stunde lang verhandelt Reiter am Montag mit den Vertretern der Asylbewerber. Ohne Erfolg. „Wir hungern weiter“, erklärt Flüchtlings-Sprecher Adeel hinterher. „Wir kämpfen, bis wir unsere Freiheit bekommen.“
Reiter hatte den mittlerweile 32 Männern einen „Drei-Punkte-Plan“ vorgeschlagen: „Ich habe ihnen gesagt, dass sie mit dem Hungerstreik Sachentscheidungen nicht verändern werden“, sagte Reiter. Wenn sie wieder anfangen, zu essen, werde er aber dafür sorgen, dass sie in der Bayernkaserne unterkommen. Außerdem werde er sich darum bemühen, ein Gespräch zwischen den Demonstranten, Vertretern der Stadt, des Landes und wenn möglich der Bundesregierung zu vermitteln. „Dann werden wir sehen, wie wir diesen Menschen helfen können“, sagt er.
Ihre Maximalforderung – die Anerkennung aller Demonstranten als politisch Verfolgte und damit ein Bleiberecht in Deutschland – könne er nicht erfüllen. Das habe er den Asylbewerbern aus Afrika und verschiedenen arabischen Ländern auch gesagt. „Ich bin schließlich kein Märchenonkel.“ Er werde aber in sich gehen und über „eventuelle Zwischenschritte“ nachdenken, verspricht der OB.
Reiter weiter: „Bei 52 Millionen Menschen, die weltweit ,in Bewegung’ sind, können wir nicht darauf warten, dass sich die Situation von allein entspannt.“ Da sei die Politik gefordert, national und international. Und die Menschen in Deutschland müssten lernen, „das Thema Flüchtlinge“ als Chance zu begreifen. „Das sind junge, arbeitswillige Menschen, wie sie unser Arbeitsmarkt dringend braucht.“
In diesem Punkt stimmt ihm Flüchtlings-Sprecher Adeel sogar zu. „Wir haben viele Talente, und wir wollen arbeiten, am liebsten sofort.“
Trotzdem – Reiters Angebot geht den Streikenden nicht weit genug. „Was sollen wir in der Bayernkaserne? Das ist ein Lager. Wir wollen nicht mehr in Lagern leben“, sagt Adeel. „Die Abschaffung der Lagerpflicht ist doch Teil unseres Protestes.“ Auch auf Gespräche mit Politikern gibt er wenig. „Bei jeder Aktion von uns heißt es, wir werden sehen, was wir tun können und ein bisschen später: Sorry, wir können euch doch nicht helfen. Wie oft sollen wir uns das noch anhören?“ Die Situation der Flüchtlinge in Deutschland werde täglich schlimmer, die Suizidrate unter Asylbewerbern steige.
Zurück in ihre Heimatländer könnten sie nicht – „zurück zu Bomben, Selbstmordattentätern und Diktatoren“, wie Adeel sagt. „Deshalb werden wir weiter darum kämpfen, Teil dieser Gesellschaft zu werden, wenn nötig auch mit einem trockenen Hungerstreik.“
Die Stadt wird sie vorerst gewähren lassen. „Schließlich gibt es das Versammlungsrecht“, sagt KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle. Der Protest sei angemeldet und bis 1. Dezember unter Auflagen genehmigt. Zu den Einschränkungen gehört, dass der olivgüne Pavillon der Flüchtlinge auf zwei Seiten offen sein muss; dass sie keine Paletten unter ihre Isomatten legen, keine Heizstrahler und keine Campingstühle aufstellen dürfen. „Außerdem ist uns wichtig, dass Ärzte Zugang zum Camp haben“, sagt Blume-Beyerle. „Wenn die Mediziner feststellen, dass eine konkrete Gefahr für Leib und Leben besteht, sind wir berechtigt, diese Versammlung aufzulösen.“ Im Extremfall bedeutet das: Dann wird geräumt.
Am Montagabend hat Reiter noch persönlich einen Brief an die Flüchtlinge übergeben. Der Brief im Wortlaut:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
nach unserem soeben persönlich geführten Gespräch ist es mir ein Anliegen, Ihnen meine Angebote auch schriftlich darzulegen. Wie Sie wissen, liegt mir die Situation der zu uns kommenden Menschen sehr am Herzen, weshalb ich mich für eine Verbesserung Ihrer Lebensbedingungen, eine zügige Integration und insbesondere auch bessere Unterbringungsmöglichkeiten einsetze.
Deshalb habe ich Ihnen gerne in Aussicht gestellt, dass ich Ihre Positionen an die Bayerische Staatsregierung und die Bundesregierung weitergeben werde.
Weiterhin habe ich angeboten, einen Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren auf kommunaler, Landesebene und nationaler Ebene, unter Einbeziehung der Verbände, zu initiieren. Im Rahmen dieses Dialogs könnten Sie Ihre Situation und Forderungen direkt den Entscheidungsträgern noch einmal persönlich darlegen.
All dieses biete ich Ihnen gerne an, wenn Sie den Hungerstreik umgehend beenden. Denn ich bin der Auffassung, dass Ihr Hungerstreik nicht das geeignete Mittel ist, um politischen Ziele durchzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Reiter"
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