"Wir bekommen hoffentlich ein Stück Sicherheit zurück"

Ingrid Taylor ist eine von immer mehr Britinnen und Briten in München, die jetzt deutsche Staatsbürger werden wollen. Vor dem Brexit-Beschluss stellte sich die Frage für sie gar nicht. Nun gibt es eine Reihe von Problemen.
München - Vierhundertvierundachtzig. Eine Steigerung um 484 Prozent hat es gegeben bei Einbürgerungs-Anträgen, die Briten in München gestellt haben – seit das Brexit-Referendum im Juni 2016 zugunsten des Ausstiegs aus der EU ausgefallen ist.
Viele der Anwärter nennen als Grund: Angst vor der Brexit-Zukunft Seit dem Tag nach der Abstimmung bis heute haben 144 Briten einen Antrag gestellt – im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es 25. "Das ist schon eine sehr deutliche Wirkung", sagt Johannes Mayer vom Kreisverwaltungsreferat (KVR), wo die Anträge gestellt werden müssen.
Angst vor der Zukunft
Seitdem sind 42 Briten eingebürgert worden. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die anderen Antragsteller auch eingebürgert werden, ist sehr hoch", sagt Mayer, "zumal dem Antrag ein Beratungsgespräch vorausgeht, bei dem die Voraussetzungen für die Einbürgerung besprochen werden." Er rechnet "mit einem weiteren Antragseingang im bisherigen Umfang".
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In Relation zu den insgesamt 4300 Einbürgerungs-Anträgen im Jahr ist die Zahl natürlich gering – doch natürlich aufsehenerregend, weil viele der Engländer, Schotten und Waliser, die nun Deutsche werden wollen, als Grund sehr deutlich ihre Angst vor der Brexit-Zukunft nennen.
"Brexit ein Schritt in die Vergangenheit"
So wie Ingrid Taylor (60), die 1988 als Übersetzerin aus Yorkshire im Norden Englands nach München gekommen ist. "Etwa eine Woche nach dem Votum haben mein Freund und ich uns ernsthaft unterhalten und beschlossen: Wir müssen etwas tun. Der Brexit ist ein Schritt in die Vergangenheit – nicht nach vorn."
Sie lebt seit fast 30 Jahren hier, erst in München und jetzt in Ottobrunn mit ihrem Freund – ein Engländer – und hat den Gedanken ans Leben nach dem Arbeitsleben immer aufgeschoben. "Will ich hier leben oder dort oder ganz woanders?", sagt sie, "in der EU war das alles immer möglich".
Sprachtests ausgebucht
Diese und andere Sicherheiten seien ihr durch den angekündigten Brexit weggenommen worden. "Die deutsche Staatsbürgerschaft bringt hoffentlich ein Stück dieser Sicherheit zurück." Doch selbst wenn man schon lange in Deutschland lebt, ist die Einbürgerung nicht einfach: Unter anderem musste Taylor einen Landeskunde-Test und einen Sprachtest ablegen. "Die Sprachtests in München waren völlig ausgebucht, bis in den Oktober hinein."
Deshalb reiste das Paar dafür nach Nürnberg. "Wir haben dann gleich ein ganzes Wochenende dort daraus gemacht – und jede Menge andere Briten getroffen." Den Landeskunde-Test verantwortet die Volkshochschule im Gasteig.
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"Ein Aufseher erzählte, er hätte noch nie so viele Briten bei einem Test gehabt", sagt Taylor. Nun wartet sie auf den Bescheid – bis zu einem Jahr könne das dauern, sagte man dem Paar. Wie lange ein EU-Austritt Großbritanniens dauern würde, ist offen – doch klar ist: Sobald er abgeschlossen ist, wird sie nicht mehr mehrere Pässe haben dürfen.
"Eine Frage der Identität"
Wer dann Deutscher werden will, der muss seine britische Staatsangehörigkeit abgeben. "Die ist mir immer noch wichtig", sagt Taylor. "Wenn meine Einbürgerung nicht vorm Brexit klappt, weiß ich nicht, was ich tue. Dann wäre es mehr als eine Behördenangelegenheit für mich. Dann wäre es eine Frage der Identität."
Wichtig ist ihr die deutsche Staatsbürgerschaft aber auch, vor allem aus einem Grund: "Endlich Wahlrecht!", sagt Taylor. "Bisher kann ich nur kommunal und in Europa wählen. Ich hoffe, dass es schnell geht mit der Einbürgerung. Dann kann ich hoffentlich bei der Bundestagswahl schon mit mitentscheiden."