Wiesnlegende Manfred Schauer: "Der Schichtl ist mein Leben"

München - AZ-Interview mit Manfred Schauer: 1985 übernimmt er die Variété-Bühne der Familie Schichtl. Seitdem prägt der Quereinsteiger die Wiesn mit seinen berühmten Intros unter dem Motto "Auf geht's beim Schichtl".
Die Corona-Pause geht dem Stimmungsmacher nah
Keine Bierzelte, keine Achterbahn, dafür jede Menge Gras, ein Volleyballfeld, eine Kletterwand - und ein Mini-Biergarten auf der großen Theresienwiese. Dort, wo gerade die Wiesn stattfinden würde, trifft die AZ Manfred Schauer zum Gespräch. Der 68-Jährige kommt ohne Lederhosn und spendiert erst einmal eine Halbe Helles. Die Corona-Pause geht ihm nah, das merkt man ihm deutlich an.
AZ: Herr Schauer, was fühlen Sie, wenn wir jetzt auf der leeren Wiesn sitzen?
Ohne zu jammern: Wehmut. Nach 35 Wiesn mit knapp 14.000 Vorstellungen fehlt mir die Wiesn in diesem Jahr noch mehr als im letzten Jahr. Wir haben quasi eine Kleinstadt geköpft! Und jetzt? 2020 haben wir alle noch gesagt 'bis zum nächsten Jahr!' Das sagt jetzt keiner mehr. Heute sind die Leute zwar zuversichtlich, aber sicher ist sich keiner mehr.
Wofür steht denn eigentlich die Wiesn?
Für bayerische Lebensfreude und Tradition. Die Wiesn ist, genauso wie andere Volks- und Waldfeste, eine Kontaktbörse par excellence. Solche Feste sind allmählich die letzten Möglichkeiten, noch dreidimensionale Bekanntschaften zu machen. Heute vereinsamen die Menschen ja vor ihren Bildschirmen immer mehr.

So hat der Schichtl sein Leben verändert
Wie hat der Schichtl Ihr Leben verändert?
Eine Zeitung hat einmal geschrieben: 1985 hat der Schauer den Schichtl übernommen und 1986 der Schichtl den Schauer. Ich mag Dinge, die einfach anders sind. Und mehr anders als der Schichtl geht ned. Drum ist der Schichtl mein Leben.
Was haben Sie im letzten Jahr ohne den Schichtl gemacht?
Ich habe immer was zu tun. Ich habe mich mehrfach erfolgreich - weil negativ - getestet und habe mich impfen lassen. Außerdem habe ich wiederentdeckt, dass mir das Schreiben großen Spaß macht. Üblicherweise machen wir das ganze Jahr über Veranstaltungen, die jetzt komplett weggefallen sind. Da scheint es jetzt wieder langsam loszugehen.
Kann man diese Veranstaltungen mit der Wiesn vergleichen?
Nein. Auf Veranstaltungen bekommen die einzelnen Künstler mehr Raum. Auf der Wiesn dauert ein Programm 15 Minuten, und wenn die letzten zwei Minuten angebrochen sind, stehen die ersten schon wieder draußen vorm Zelt und fangen mit der Parade an. Und das auch bei schlechtem Wetter und wenn nur fünf Leute draußen stehen. Das ist wie ein Dauerlauf. Wenn du stehenbleibst, verlierst du deine Kondition.
Süchtig nach der Wiesn
Hatte die Wiesn-Pause dann nicht auch etwas Positives?
Nein! Fragen Sie mal einen Rauschgiftler, ob er's positiv findet, wenn er eine Zeit lang nichts kriegt. So ein Süchtling bin ich auch.
Was macht Sie denn genau süchtig?
Das Phänomen Schichtl. Das aus der Zeit Gefallene. Der Schichtl ist der älteste Schausteller auf der Wiesn. Und das bin nicht nur ich. Wir sind elf Talente, elf Kämpfer. Wir leben 80 Stunden pro Woche zusammen auf engstem Raum. Das geht nur, wenn's menschlich passt. Das ist eine Harmonie, die ist sensationell. Da ist jeder für alle da und das ist unser kleiner Erfolg beim Publikum.

Wie sucht man sich denn so ein Schichtl-Kabinett zusammen?
Wir haben uns nicht gesucht, wir sind uns Stück für Stück passiert. Der Ringo zum Beispiel war von Anfang an mit dabei. Die Künstlergruppe Lux ist seit 2003 dabei, die Sängerin Melina Schmoll seit 2005.
Haben Sie die Kollegen im letzten Jahr überhaupt gesehen?
Ja, wir haben uns ab und zu getroffen. Wir sind zwar nicht alle in München, aber wir halten Kontakt. Denn mein geliebtes Kabinett macht's mir möglich, der Schichtl zu sein, der ich bin.
Vom eigentlichen Oktoberfest bekommt Schauer nichts mit
Alle anderen sitzen im Bierzelt, nur Sie nicht. Was bekommen Sie überhaupt von der Wiesn mit?
Ich war 1984 zuletzt auf der Wiesn. Weil ich seit 1985, seit ich den Schichtl übernommen habe, von der restlichen Wiesn nichts mitkriege. Aber ich möchte mit keinem tauschen.
Immerhin strömen die Menschenmassen am Schichtl vorbei. Wie fanden Sie denn die Trachten-Trends der letzten Jahre?
Eine Tracht ist was Schönes. Aber man kann sie auch verhunzen. Manchmal laufen die Leute rum, da sagst nicht "Grüß Gott", sondern "Helau". Meine Einstellung zum Dirndl ist ein bisserl macho-mäßig: a guads Dirndl ghört mindestens über die Wadln oder über mei Bett g'hängt (lacht).
Waren Sie in all den Jahren eigentlich einmal krank?
2011 hatte ich einmal zweieinhalb Tage lang eine Grippe. Da bin ich auf meinem Stuhl hinter der Bühne immer eingeschlafen. Zur Parade bin ich dann immer aufgestanden und habe sie durchgezogen. Danach bin ich wieder zurück auf meinen Stuhl und habe weitergeschlafen bis zur nächsten Vorstellung. Unser Henker Ringo war noch nie krank. Wobei ich mich frage, ob der jemals gesund war (lacht).
Vor dem Theater war die Großmarkthalle
Wer war Manfred Schauer eigentlich einst - vor dem Schichtl?
Ich bin geboren im Frühling 1953 als Sohn meiner Eltern. Sie hatten einen Fruchthandel und so bin ich sehr früh in die Münchner Großmarkthalle gekommen. Nach der Handelsschule habe ich eine Lehre als Speditionskaufmann und mich mit 23 an der Großmarkthalle mit Blumenhandel selbstständig gemacht.
Das ist ja etwas völlig anderes, wie kommt man da zur Bühne?
Menschen sind meine Leidenschaft. Und nirgends menschelt es mehr als in der Großmarkthalle und im Schlachthof. Eigentlich war ich schon immer ein Obdachloser. Schon in der Schule war ich ein Freund von entspannten Zeiten unter der Sonne an der Isar. Und am meisten Spaß hat mir das Schultheater gemacht. Ende der 70er Jahre habe ich mit einem Freund zusammen nur aus Lust und Laune ein Theaterstück geschrieben, eine Parodie auf das deutsche Fernsehen. Und das haben wir auf der Iberl-Bühne aufgeführt. Später sind wir auch auf der Bühne in der Waldwirtschaft aufgetreten.
"Was wir machen, ist naive Kunst"
Nehmen Sie die Menschen auf der Wiesn bei Ihren Auftritten überhaupt wahr?
Ich nehme Stimmungen wahr. Das kann man nicht beschreiben. Das ist das Wunder der gleichen Frequenz. Und ich glaube, die Leute mögen uns. Was wir machen, ist naive Kunst. Dass da heute noch Leute stehenbleiben und ins Theater reingehen, ist bemerkenswert.
Haben Sie etwas verändert in der Zeit?
Das Schild, auf dem stand "Heute Hinrichtung" habe ich vor ein paar Jahren weggenommen. Das könnte jemand fotografieren und aus dem Zusammenhang reißen. Aber früher wie heute leben wir immer noch davon, dass wir den Leuten sagen, dass wir ihnen den Schädel runterhauen. Wenn man auch dazusagen muss, dass das Ganze ohne die Gastronomie nicht mehr funktionieren würde. Seit 2001 gibt es zusätzlich das Wirtshaus im Schichtl. Wir sind der einzige Betrieb auf der Wiesn, der ausschließlich Fleisch, Wurst und Brot von den Herrmannsdorfer Landwerkstätten hat. Und trotzdem sind wir nicht teurer als die anderen.
Die Blues Brothers locken ins Zelt
Seit wann locken sie die Leute eigentlich mit dem berühmten Blues Brothers Intro ins Zelt?
Das ist mir Anfang der 90er Jahre eingefallen. Wenn mir mal ein Pfarrer die letzte Ölung gibt und da kommt aus einem Kassettenrekorder Blues Brothers, dann kann der Pfarrer wieder gehen. Dann haut's mi naus, des is Leidenschaft! Und wenn ich da jetzt dran denke, werde ich gleich wieder wehmütig.
Damit wir jetzt nicht alle wehmütig werden, erzählen Sie uns doch noch ein lustiges Wiesn-Erlebnis zum Abschluss!
Da gibt's unzählige! Einmal waren wir vorm Zelt mit unserem Intro und ich hab kurz was am Ton geregelt. Die Blues Brothers liefen und plötzlich sind die Leute durchgedreht vor lauter Stimmung. Und während ich mir noch denke "Wow, sind wir heute gut!", zeigt jemand hinter mich. Da war eine Frau, nur noch mit einer Jeans bekleidet und ihrer Bluse über dem Arm, und hat mir die Show gestohlen.