Wiesn: So entstehen die Terror-Gerüchte

MÜNCHEN - Die momentan stark angespannte Sicherheitslage auf der Wiesn ist der perfekte Nährboden für zahlreiche Gerüchte um einen geplanten Terroranschlag. Ein Experte erklärt im AZ-interview, wieso diese Gerüchte entstehen.
Haben Sie die Geschichte auch schon gehört? Die Bekannte einer Freundin findet ein prall mit Geld gefülltes Portemonnaie und übergibt den Fund an den Besitzer – einen Araber. Der warnt die Frau davor, in den nächsten Tagen auf die Wiesn zu gehen. Dort würde etwas passieren. Auch Taxifahrer berichten davon, dass sie einen kennen, der einen kennt, der einen arabischen Geschäftsmann gefahren hat und der... Ein klassischer Großstadtmythos. Die AZ spricht darüber mit dem Schriftsteller Bernd Harder ("Lexikon der Großstadtmythen").
AZ: Herr Harder, in München geht eine Geschichte um von einem Geldbeutel und dessen arabischen Besitzer, der über Terror genau bescheid weiß.
BERND HARDER (lacht laut auf): Ach du meine Güte! Nicht schon wieder "Der dankbare Araber". Es ist die gleiche Wandersage wie nach dem 11. September 2001. Da hat sie schon die Polizei in Trab gehalten. In Trier warnte der Araber vor einem Weihnachtsmarkt, in München vor einem Stachus-Besuch. Das wurde in Kettenbriefen weiter gegeben.
Warum verbreitet sich die Geschichte jetzt wieder so rasend?
Es ist ein perfides Spiel mit realen Hintergründen. Jeder kennt die Drohungen gegen Deutschland und das Oktoberfest. Urbane Legenden sind eine Art gefühlte Realität. Alles, was den Menschen Angst macht, was sie bewegt, kommt in eine erzählerische Form – also Urban Legends.
Wieso reagieren wir ängstlich auf Urban Legends?
Wandersagen richten sich nicht an den Verstand, sondern an unser Gefühl. Die Skepsis wird ausgeschaltet, denn man will die Geschichte glauben. Es zählt, was die Menschen als wahr empfinden. Ein ähnliches Beispiel waren die angeblichen Aids-Spritzen in Diskotheken. Das ging so weit, dass die Polizei in Pressekonferenzen Stelllung nahm. Den Verrückten mit HIV-infizierten Spritzen gab es nicht.
Woran erkennt man solche Wandersagen?
Ein Merkmal haben alle. Immer heißt es, dass der Freund eines Freundes eines Freundes etwas erzählt hätte. Die Geschichten kommen also über mehrere Ecken. Der Urheber lässt sich nicht identifizieren.
Interview: Vanessa Assmann