Wiesn: Ist das Hippodrom heute Geschichte?

Im Rathaus fällt am Montag die Entscheidung, wer die Zulassung für das Hippodrom bekommt. Das Wiesnzelt hat eine bewegte Vergangenheit. Sie begann ohne Bier...
von  Michael Graeter
Prächtig war angesagt auf der früheren Wiesn: Das Hippodrom um 1930.
Prächtig war angesagt auf der früheren Wiesn: Das Hippodrom um 1930. © ho

Im Rathaus fällt am Montag die Entscheidung, wer die Zulassung für das Hippodrom bekommt. Das Wiesnzelt hat eine bewegte Vergangenheit. Sie begann ohne Bier...

München Heute entscheidet sich bei der „Zulassungssitzung“ für Wiesn-Bewerber im Kleinen Sitzungssaal, was aus dem Hippodrom wird. Das Oktoberfest-Zelt ist eine über 100 Jahre alte Feinheit der Wiesn – und heute womöglich Geschichte.

Es kommt darauf an, welcher Kandidat den Zuschlag erhält. Bekommt ihn der umstrittene, geschäftstüchtige Siegfried Able, der sogar Gastro-Größen wie Kuffler, Schottenhamel oder Fischer-Vroni in seiner Bewerbung punktemäßig den Rang abgelaufen haben soll, gibt es kein Hippodrom mehr: Es würde ein nagelneues, längst bestelltes Bierzelt geben – mit dem Namen „Marstall“.
Bei der Anschaffung eines zwei Millionen Euro teuren Zeltes muss sich Able bereits im Dezember 2013 schon sehr sicher gewesen sein. Deshalb bewarb sich der Eiszauber- Chef wohl nicht mehr für sein Kalbskuchl-Zelt.

Falls allerdings „Spoeckmeier“-Chef Lorenz Stiftl den Zuschlag bekommt, dann lebt das Hippodrom im alten Sinne wieder weiter. Er würde Zelt und Name des Hippodrom vom bisherigen Besitzer Sepp Krätz übernehmen und den bisherigen 400 Mitarbeitern eine feste Bleibe geben.

Das geheime Vergabe-Verfahren ruft Misstrauen hervor, weil der „kometenhafte Aufstieg von Siegfried Able schon stutzig macht“, wie ein Stadtrat der „SZ“ sagte.
Die Wiesn ohne das Hippodrom“ wäre wie München ohne Dom. 1902 ist das noch ein wesentlicher größerer Palast mit einer Pferde-Manage, und es sorgt für Heiterkeit, welche Figur mancher Mann oder manche Frau auf dem Pferd gibt. Krampfhaft am Ross sich festhaltend, fliegen Hüte und falsche Zöpfe durch die Luft.

Drei Jahre später erhält Wirt Carl Gabriel die ersehnte Genehmigung, alkoholische Getränke wie Wein, Sekt und Champagner ausschenken zu dürfen, jedoch kein Bier.
Das „Hippodrom“ wird wie die „Münchner Neuesten Nachrichten“ berichtet, zum Wiesn-Treff des gehobenen Bürgertums und der eleganten Lebewelt.

1907 gibt es dann keine Einwände zum Bierausschank mehr. Auf der ersten Nachkriegs-Wiesn im Jahre 1921 wird der Zelt-Palast nochmals aufpoliert. Am Glasfenster-Eingang steht auf einem Podest ein schneidiger Recommandeur mit Zylinder und weißer Nelke im schwarzen Gehrock. Ein Gästeanwerber wie auf der Reeperbahn, nur wesentlich feiner.

Bis 1962 agiert Franz Halmanseger, von Beruf Dienstmann und Amateur-Pantomime, auf jedem Oktoberfest. „Treten Sie ein, Herr Baron, die Pferde sind gesattelt. Alles Glück auf der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde. Was wäre Karl May ohne sein edles Arabervollblut? König Richard III. hätte sogar sein Reich für ein Pferd hergegeben. Aufs Pferd, aufs Pferd! Für wenige Mark können Sie eines haben und brauchen nicht durch Nacht und Wind zu reiten“, ruft er in die Menge.

Weit später, aber noch Jahre vor Sepp Krätz, agiert Claus Mayer wie ein Pascha in seiner Pracht-Reitbahn, wo auf der Beletage nachts rund 200 Pferdchen die Bar belagern, deren Tresen sich auf der ganzen Zelt-Breite erstreckt. Der Champagner strömt, die Liebe, wenn auch nur für Stunden, glüht. Damit die Wellnesserinnen immer gesund braun aussehen, lädt Claus die zugänglichen Girls auf sein Motorboot am Starnberger See.

Polit-Bulle Franz Josef Strauß (im dunklen Anzug) und der barocke Playboy James Graser entspannen sich in der Privatbox bei Sekt. Strauß muss ständig Autogramme geben und kann sich der Avancen kaum erwehren. Marianne ist weit.

1979 startet der neue Wirt Anton Weinfurtner mit 22 Pferden, verzichtet aufs bisherige Eintrittsgeld, schenkt die billigste Wiesn-Maß aus und lässt die Fassade durch Oscar-Preisträger Rolf Zehetbauer veredeln. Die Weinfurtners fliegen wegen Schwarzarbeitern von der Wiesn, und Nachfolgerin Evi Brandl („Vinzenz Murr“) erhält im Hippodrom nur einen kurzen Ritt. Sie fällt als Wiesnwirtin aus dem Sattel wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Es erweist sich total falsch, aber das Hippodrom ist futsch. In den Genuss kommt Entertainer-Wirt Sepp Krätz, der das Zelt jünger und moderner zu einem neuen Highlight der Wiesn formt – bis das Steuerverfahren seine Karriere zerstört.

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