Wiesn-Attentat: Mittäter, Mitwisser, Hintermänner
München - Genau 34 Jahre nach dem Bombenanschlag auf das Oktoberfest mit 13 Toten und mehr als 200 Verletzten werden die Ermittlungen neu aufgenommen. Generalbundesanwalt Harald Runge erteilte eine entsprechende Anordnung. Mit den Ermittlungen wurde das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) betraut. Der Münchner Anwalt Werner Dietrich, der mit seinem dritten Wiederaufnahmeverfahren nun Erfolg hatte, quittierte die Nachricht aus Karlsruhe mit Genugtuung: „Diese Entscheidung ist gut, diese Entscheidung war aber auch längst überfällig. Aber all der Einsatz für die Opfer in mehr als 30 Jahren hat sich gelohnt. Ich hoffe, dass endlich die Hintergründe des Anschlags restlos aufgeklärt werden können.“
Im offiziellen Sprachgebrauch der Behörden galt bisher der Geologiestudent Gundolf Köhler, der bei dem Bombenanschlag selbst ums Leben kam, als so genannter Alleintäter. Den immer wieder vorgetragenen Zweifeln an dieser These scheint nun auch die Bundesanwaltschaft Rechnung zu tragen.
Runge sprach vom „schwersten rechtsextremistischen Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik“ und kündigte an, allen Ansatzpunkten „erneut und umfassend“ nachzugehen.
Opfer-Anwalt: Wiesn-Attentat neu aufgerollt - "Freude und Genugtuung"
Einer der wesentlichen neuen Ansatzpunkte ist die Aussage einer Zeugin, die sich bei Rechtsanwalt Werner Dietrich gemeldet hat und im Wiederaufnahmeantrag eine zentrale Rolle spielt. Sie war zum Zeitpunkt des Attentats Dolmetscherin und erteilte in einer Münchner Asylunterkunft Deutschunterricht. Durch die Verwechslung eines Schranks, in dem sie ihren Mantel hängen wollte, sei sie auf Flugblätter gestoßen – ein verherrlichender Nachruf auf Gundolf Köhler, den Bombenleger.
Werner Dietrich: „Das war am frühen Vormittag, nur wenige Stunden nach dem Anschlag. Zu diesem Zeitpunkt war der Name des Attentäters noch nicht mal bekannt. Nur Mittwisser oder direkt am Anschlag beteiligte Personen konnten das wissen.“ Wie ernst die Bundesanwaltschaft die Aussage der Frau bewertet, geht aus der Tatsache hervor, dass sie bereits vernommen worden ist. „An ihrer Glaubwürdigkeit“, sagt Dietrich, „gibt es keinen Zweifel“.
Der Münchner Anwalt übt deutliche Kritik an der Vorgehensweise der ermittelnden Behörden, auch wenn Bundesanwalt Runge in seiner Erklärung wert darauf legt, dass man auch in der Vergangenheit stets allen Hinweisen nachgegangen sei. „An Ermittlungen in Richtung rechtsextremistischer Kreise“, so Dietrich, „war man nach dem Bombenanschlag nicht wirklich interessiert.“
Allein die Intensität der Verbindungen Köhlers in das neonazistische Netzwerk sei auffallend gewesen, gleichzeitig aber heruntergespielt worden, charakterisiert der Opfer-Anwalt die Vorgehensweise der Ermittler.
Gundolf Köhler, der immer wieder als „verwirrter Einzeltäter“ dargestellt wurde, unterhielt enge Kontakte zu Rechtsextremisten-Organisationen, unter anderem zur in Ermreuth (Oberfranken) angesiedelten „Wehrpsortgruppe Hoffmann“, benannt nach Karl-Heinz Hoffmann, bis zum Verbot seiner paramilitärischen Truppe im Jahr 1980 eine der führenden Figuren des rechtsextremen Milieus. Ermittlungen gegen ihn wegen einer Verwicklung in das Wiesn-Attentat waren allerdings eingestellt worden.
In seinem Wiederaufnahmeantrag, Grundlage der nun wieder aufgenommenen Ermittlungen, benennt Dietrich ein knappes halbes Dutzend weiterer neuer Zeugen, die Köhler unmittelbar vor dem Attentat unabhängig von einander in Begleitung mehrerer bis heute nicht identifizierter junger Männer gesehen haben wollen. Für den Anwalt ein eindeutiges Indiz: „Es gab Mittäter, Mitwisser, Hintermänner. Das steht für mich außer Zweifel.“
Einer der neuen Zeugen könnte mit einem auf den ersten Blick skurrilen Angebot ebenfalls einen neuen Ansatzpunkt liefern. Dietrich: „Er hat sich bereit erklärt, sich im Bedarfsfall die noch immer in seinem Körper befindlichen Bombensplitter heraus operieren zu lassen.“ Mit modernen Untersuchungsmethoden könnten nach Ansicht Dietrichs möglicherweise Erkenntnisse über die Herkunft der Bombe gewonnen werden.
Er spricht damit den Umstand an, dass alle Beweismittel bereits 1997 vernichtet worden sind. Unter den beseitigten Asservaten befanden sich nicht nur die Überreste der Bombe, sondern auch eine zerfetzte Hand, die keinem der Opfer oder dem Attentäter selbst zugeschrieben werden konnten. Fingerabdrücke, die zu der zerfetzten Hand passten, sollen aber in der Wohnung Köhlers sichergestellt worden sein.
Ein möglicherweise „schweres Versäumnis“ bei der Ermittlung möglicher Hintermänner könnte nach Ansicht Dietrichs dadurch entstanden sein, dass man Hinweisen aus der militanten rechten Neonaziszene unmittelbar nach dem Anschlag nur unzureichend und oberflächlich nachgegangen sei. Der Anwalt spricht damit die Rolle des Oberförsters Heinz Lembke aus der Lüneburger Heide an, der namentlich als möglicher Sprengstoff-Lieferant für die Oktoberfest-Bombe genannt worden war. Auch dieser Vorgang nimmt im Wiederaufnahmeantrag breiten Raum ein.
Terror auf Oktoberfest: Wiesn-Attentat - Ermittlungen neu aufgenommen!
Wie den Ermittlungsakten zu entnehmen ist, wurde Köhlers Haus aufgrund der Szene-Hinweise nach dem Anschlag zwar durchsucht, weitergehende Ermittlungen sind aber nicht geschehen, nachdem lediglich eine Zündschnur und eine zerlegte, unbrauchbare Waffe bei ihm gefunden wurde. Ein Jahr später stieß ein Spaziergänger in einem Waldstück zufällig auf eines von unzähligen Waffen- und Sprengstoffdepots, das Lembke angelegt hatte. Ein Teil der unzähligen Waffen und Sprengsätzen, vor allem aber der Sprengstoff (insgesamt mehr als drei Zentner) sollen späteren Ermittlungen zufolge aus Bundeswehrbeständen gestammt haben.
Für Anwalt Werner Dietrich ist Oberförster Lembke, der nur Stunden vor einer angekündigten umfassenden Aussage gegenüber der Staatsanwaltschaft tot in seiner Haftzellen aufgefunden wurde, ein weiteres Indiz für die tiefe Vernetzung rechtsextremistischer Personen in das Oktoberfestattentat. Einen Teil der bestehenden Akten über Lembke konnte Anwalt Dietrich nicht einsehen. Lembke, der eng in der Neonazi-Szene vernetzt war und unter anderem auch zur „Wehrpsortgruppe Hoffmann“ Verbindungen unterhalten haben soll, war nach Überzeugung Dietrichs auch ein V-Mann für den Geheimdienst.
Eine Beteiligung von Geheimdiensten an dem Wiesn-Attentat hatte auch der Duisburger Andreas Kramer bei so genannten „Bombenleger-Prozess“ in Luxemburg als Zeuge ins Spiel gebracht. Er sagte unter Eid aus, dass sein Vater, ein Bundeswehrsoldat im Geheimdienst-Einsatz, am Bau der Bombe beteiligt gewesen sei. Seine Aussagen, sagte Behördensprecher Markus Köhler hinter, seien jedoch nicht belastbar gewesen.
Möglicherweise kommt jetzt durch die erneuten Ermittlungen mehr Licht in das undurchsichtige Gestrüpp.