Wiesn-Attentat: "Mein Vater hat die Bombe gebaut"
München - Muss die Geschichte über die Hintergründe des Bombenanschlags auf dem Oktoberfest (13 Tote, 211 Verletzte) vom 26. September 1980 neu geschrieben werden? In einem Prozess in Luxemburg, bei dem sich zwei ehemalige Elite-Polizisten für eine 30 Jahre zurückliegende Anschlagserie juristisch verantworten müssen, machte der Duisburger Historiker Andreas Kramer (49) als Zeuge eine sensationelle Aussage: Sein Ende letzten Jahres verstorbener Vater, ein Bundeswehr-Offizier und Mitarbeiter des BND, habe die Bombe für den Anschlag auf der Wiesn gebaut – im Auftrag der NATO.
Die offiziellen, seit jeher umstrittenen Ermittlungsergebnisse der Behörden zeichnen ein anderes Bild. Danach war der Geologie-Student Gundolf Köhler, der enge Kontakte zur rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ unterhielt und selbst zu den Todesopfern zählt, als Alleintäter für das Massaker verantwortlich.
Nicht nur der Münchner Anwalt Werner Dietrich, der zahlreiche Opfer des Wiesn-Anschlags vertritt und sich seit vielen Jahren um die Aufklärung der Hintergründe des Attentats bemüht, hat an dieser Darstellung seine Zweifel. Nun liefert ihm die Aussage Kramers, mit dem er sich in den nächsten Tagen treffen will, neue Nahrung. Zur AZ sagte Dietrich: „Eine ähnliche Aussage habe ich auch schon in einem anderen Zusammenhang gehört.“
Kramers Aussagen vor Gericht, die er unter Eid machte, stellen Verbindungen zur Stay-behind-Organisation „Gladio“ her, eine paramilitärische Geheimorganisation der NATO, der CIA und des britischen Geheimdiensts MI6. Die geheime Truppe, die mit Terrorakten und Morden in Verbindung gebracht wird, war dazu ausersehen, nach einer möglichen Invasion sowjetischer Truppen Guerillaaktionen und Sabotage im Feindgebiet durchzuführen.
Auch sein Vater, so Kramer in einer eidesstattlichen Erklärung vor Gericht, habe für die Organisation gearbeitet.
Kramer schilderte explizit und detailliert die Rolle seines Vaters beim Oktoberfest-Anschlag: „Er hat die Bombe mitgebaut. Zusammen mit anderen NATO-Offizieren hat er Komponenten aus verschiedenen Einrichtungen besorgt.“
Die Zünder, sagte er, stammten aus einem Waffenlager in Uelzen, das nach dem Münchner Terroranschlag von Fahndern entdeckt worden war. Aus England sei nach Darstellung Kramers ein ausrangierter Feuerlöscher beschafft worden, der mit Sprengstoff und Nägeln gefüllt worden sei. Kramer wörtlich: „Um keinen Verdacht zu erregen, sollte alles irgendwie selbstgebastelt aussehen.“ Sein Vater sei es auch gewesen, der den eigentlichen Attentäter, Gundolf Köhler, für die Geheimorganisation angeworben habe.
Kramer erklärte im Prozess, dass sein Vater, der in der Geheimorganisation eine führende Rolle gespielt habe, nicht nur am Attentat in München, sondern zuvor auch an dem Terroranschlag im Bahnhof von Bologna beteiligt gewesen sei, bei dem 85 Menschen starben.
Die luxemburgische Richterin fand die Aussagen Kramers „abenteuerlich“. Prozessbeobachter, wie der Chefredakteur des luxemburgischen „Journal“, Claude Karger, sind jedoch davon überzeugt, dass Andreas Kramers Aussagen ernst zu nehmen seien. Karger zur AZ: „Er nennt viel zu viele Details, die sich in den Gerichtsakten wiederfinden und die er vorher nicht gekannt haben kann.“
Kommende Woche will sich das Gericht intensiv mit der Geheimorganisation befassen. Unter anderem sind Ministerpräsident Jean-Claude Junker, sein Vorgänger im Amt, sowie der jetzige Finanzminister als Zeugen vorgeladen.