Wieder zwei Tage Kita-Streik

Heute und morgen300 Einrichtungen dicht – OB Ude streitet mit der Gewerkschaft Verdi
von  Abendzeitung
Streikende Erzieherinnen in München.
Streikende Erzieherinnen in München. © Gregor Feindt

MÜNCHEN - Heute und morgen300 Einrichtungen dicht – OB Ude streitet mit der Gewerkschaft Verdi

Im Tarifkonflikt um die Erzieher gehen jetzt OB Christian Ude und die Gewerkschaft Verdi aufeinander los.

In einem offenen Brief an die Eltern rechnete Ude gestern vor: Das Angebot der kommunalen Arbeitgeber verspreche Gehaltserhöhungen zwischen 5,15 und 13,75 Prozent. Das wären zwischen 110 und 340 Euro mehr. Normale Erzieher kämen auf ein Bruttogehalt zwischen 2345 und 2920 Euro. Zusätzlich zahle die Stadt freiwillig bis zu 260 Euro monatlich in eine Zusatzrente ein. Die Erzieher hätten außerdem drei Lohnsteigerungen: Voriges Jahr (plus 8,5 Prozent), jetzt und die angekündigte Gehaltsrunde 2010. Münchens Personalchef Thomas Böhle (auch Verhandlungsführer der Arbeitgeber) erklärt: „Wir sind über die Schmerzgrenze hinausgegangen.“

Ude warnt: Die Stadt müsse diese Mehrkosten „in Zeiten rapide sich verschlechternder finanzieller und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen“ zahlen. Werden jetzt Gebühren in Kindertagesstätten erhöht? „Daran wird jetzt nicht gedacht“, so Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) zur AZ.

Drohen jetzt höhere Gebühren bei der Kinderbetreuung?

„Das ist Zahlenschaumschlägerei“ schäumt Münchens Verdi-Chef Heinrich Birner über den OB: Udes Angaben seien „schlichtweg Augenwischerei“. Die Arbeitgeber hätten nur 0,3 Prozent angeboten (die Zahl bekommt man, wenn man das Angebot auf 40 Berufsjahre hochrechnet).

Heute beginnt die siebte Verhandlungsrunde. Die wird am Donnerstag und Freitag wieder von ganztägigen Streiks begleitet. In München haben 300 der rund 450 Kindertagesstätten geschlossen (die Eltern wissen Bescheid). In Absprache mit Verdi gibt es einen Notfallplan: Ein begrenzte Zahl von Kindern kann in geöffneten Einrichtungen Platz finden. Verdi habe sich geweigert, so Ude, einen Notfallplan auch für Kinderkrippen mitzumachen.

Wie es aussieht, können die Streiks bis in den Herbst dauern. Bekommen die Eltern für die Streiktage Geld zurück? Die CSU fordert das. Die Antwort: Nein. Nach dem Gesetz müssen es fünf zusammenhängende Streiktage sein. Die gab es noch nicht.

Willi Bock

Im Wortlaut: Der Brief von OB Ude an die Eltern

„Liebe Eltern, wie Sie den Medien entnehmen können, ruft die Gewerkschaft nach wie vor zu Streiks im Erziehungsdienst auf – und das, obwohl die kommunalen Arbeitgeber ihr Angebot vom März 2009 noch einmal deutlich nachgebessert haben. Dieses Angebot verspricht Gehaltssteigerungen zwischen 110 und 340 Euro monatlich, das sind bezogen auf die jeweiligen Gehälter zwischen 5,15 und 13,75 Prozent mehr. Erzieherinnen ohne Zusatzfunktionen und -qualifikationen könnten damit in München (unter Einbeziehung der so genannten München-Zulage) zwischen 2345 Euro und 2920 Euro im Monat verdienen, wobei in vielen Fällen auch noch Besitzstände bleiben, die über 2920 Euro monatlich liegen. Ergänzend zahlt die Stadt als Arbeitgeberin - ohne jede Selbstbeteiligung der Beschäftigten - monatlich zwischen 210 und 260 Euro für eine spätere Zusatzrente in die Zusatzversorgungskasse der bayerischen Gemeinden ein. Zu bedenken ist überdies, dass es bereits im März 2008 im Rahmen der allgemeinen Lohnrunde eine Gehaltssteigerung von 8,5 Prozent für 2008/ 2009 gegeben hat und die nächste Lohnrunde Anfang 2010 unmittelbar bevorsteht, die erneute Lohnforderungen erwarten lässt.

Gleichwohl meine ich, dass eine Erhöhung der Gehälter der Erzieherinnen und Erzieher gerade im Hinblick auf den hohen Stellenwert der frühkindlichen Bildung und ein ansteigendes Qualifikationsniveau gerechtfertigt werden kann. Auf der anderen Seite bitte ich Sie aber auch zu berücksichtigen, dass entsprechende Kostenmehrungen in Zeiten sich rapide verschlechternder finanzieller und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen fallen - und die Situation wird sich bis Jahresende voraussichtlich noch deutlich verschärfen. Eine besondere Rolle in der öffentlichen Auseinandersetzung spielt der betriebliche Gesundheitsschutz. Die Gewerkschaften begründen ihre Streiks über die Forderung nach einem entsprechenden Tarifvertrag (wegen der Bezahlung dürften sie im Hinblick auf die so genannte Friedenspflicht gar nicht streiken). Bemerkenswert ist nun, dass ausgerechnet die Gewerkschaft selbst die Stadt München in Sachen Gesundheitsschutz als ,bundesweiten Vorreiter’ bezeichnet: ,Nirgends wird so viel für die Gesundheit der Beschäftigten getan’, so ver.di-Sprecher Stefan Sass im Münchner Merkur am 7. Mai 2009. Leider verfügt die Stadt selbst nur über höchst eingeschränkte Möglichkeiten, wenn es darum geht, die Streikfolgen für Sie zu lindern. Sie ist dabei auf die Kooperationsbereitschaft der Gewerkschaft ver.di angewiesen. Einvernehmen konnte darin erzielt werden, für den Bereich der Kindergärten, Tagesheime und Horte eine Grundversorgung im Sinne einer so genannte Härtefallregelung zu ermöglichen. Näheres dazu erfahren Sie in Ihrer Betreuungseinrichtung. Leider war die Gewerkschaft bei den Bereichen, die die unter Dreijährigen betreffen, wie in Krippen, Kooperationseinrichtungen, Kindertageszentren und Kindertagestreffs, zu keiner Regelung bereit, die den dortigen Besonderheiten - Bindung an die jeweilige Einrichtung und Vertrautheit mit der jeweiligen Bezugsperson – Rechnung getragen hätte. So wurde insbesondere der städtische Vorschlag, in jeder dieser Einrichtungen eine Mindestversorgung zu ermöglichen, nicht aufgegriffen. Es tut mir außerordentlich leid, dass sich momentan keine Lösung des Tarifkonfliktes abzeichnet. Ich kann Ihnen nur versichern, dass die Stadt alles in ihrer Macht stehende tun wird, um Ihre Belastungen im Rahmen der angesprochenen Härtefallregelung in möglichst erträglichen Grenzen zu halten.“

Die Reaktion der Gewerkschaft Verdi: Zahlenspielerei löst Tarifkonflikt nicht

"In der heutigen Rathausumschau hat Münchens Oberbürgermeister Christian Ude einen offenen Brief an die Eltern veröffentlicht. Darin hat er die Zahlenspielerei der Vereinigung des Kommunalen Arbeitgeberverbands (VKA) übernommen. Die Behauptung, die Arbeitgeber hätten ein Angebot vorgelegt, dass eine Einkommenssteigerung zwischen 5,15 % und 13,75 % ist schlichtweg Augenwischerei. Im Vergleich zum früheren Bundes-angestelltentarifvertrag (BAT) haben die Arbeitgeber bezogen auf einen 40jährigen Berufsverlauf lediglich eine Erhöhung um 0,3 % angeboten. „Zahlenspielereien lösen den Tarifkonflikt im Sozial- und Erziehungsdienst nicht“, erklärte Heinrich Birner, ver.di-Geschäftsführer in München. „Ganz im Gegenteil, der Konflikt wird unnötig in die Länge gezogen. Wenn weitere Streiks vermieden werden sollen, dann müssen die Arbeitgeber ihre bisherigen Angebote zum Gesundheitsschutz und zur Eingruppierung qualitativ verbessern.“ ver.di wundert sich, dass der Oberbürgermeister die Tarifeinigung für den gesamten Öffentlichen Dienst für die Jahre 2008 und 2009 in die Diskussion bringt. „Der Oberbürgermeister wirft ja anderen Arbeitnehmern auch nicht vor, dass es 2008 und 2009 Lohnerhöhungen gegeben hat“, so Birner. „Der Verweis auf die Lohntarifrunde 2010 ist völlig absurd. Bislang sind die Entgelttarifverträge noch gar nicht gekündigt, dementsprechend gibt es auch noch gar keine Forderung zu einer Einkommenserhöhung 2010 für die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst.“ Im Frühjahr 2009 wurde eine Studie veröffentlicht die belegt, dass Frauen immer noch schlechter entlohnt werden als Männer. ver.di fordert eine materielle Aufwertung der Berufe im Sozial- und Erziehungsdienst. Damit soll die strukturelle Schlechterstellung typischer Frauenberufe wie Kinderpflegerin oder Erzieherin korrigiert werden. In dem aktuellen Tarifkonflikt liegen die Voraussetzungen für eine Notdienstregelung nicht vor. Notdienstvereinbarungen werden abgeschlossen um Gefahren für Leib und Leben abzuwenden. Das betrifft beispielsweise Notoperationen in Krankenhäusern. Dennoch hat ver.di eine Härtefallregelung mit der Landeshauptstadt München vereinbart. Darin sind Verfahrensregelungen für besondere Härtefälle geregelt."

Die Reaktion der Initiative „Eltern für gute Kinderbetreuung“

"Offener Brief von OB Ude an Eltern ist typisches Politikergeschwätz: Die Initiative „Eltern für gute Kinderbetreuung“ hat gestern ihre über 350 Unterstützer aufgerufen mit Protestbriefen an Oberbürgermeister Christian Ude und den Präsidenten des kommunalen Arbeitgeberverbands und Personalreferenten der Landeshauptstadt München, Thomas Böhle, ihre Solidarität für die streikenden Erzieherinnen und Erzieher auszudrücken. „Wir brauchen ein Umdenken der Politiker in Sachen Kindererziehung“, so die Vorsitzende der Initiative Nina Landhofer. Wer Milliarden Euro für eine Abwrackprämie aufbringen könne, müsse auch Millionen für die Kinderbetreuung zur Verfügung haben. Empört zeigt sich die Elterninitiative über die Reaktion von Ude auf die Protestbriefe in der Rathaus Umschau vom 15.07.09. „Das ist wieder nichts anderes als typisches Politikergeschwätz und geht an einer ernsthaften Beschäftigung mit dem Thema gute Kinderbetreuung vorbei“, sagt Nina Landhofer. „Die Streiks der Erzieherinnen und Erzieher sind für alle Eltern eine unangenehme und äußerst ärgerliche Angelegenheit“ betont die Vorsitzende der neugegründete Initiative „Eltern für gute Kinderbetreuung“. Aber alle Eltern wüssten, dass es nur Veränderungen bei der Kinderbetreuung gibt, wenn der Druck auf die Politik aus allen Bereichen der Gesellschaft massiv verstärkt werde. Den offenen Brief von Oberbürgermeister Christian Ude in der heutigen Rathaus Umschau sei schlicht und ergreifend nur der Versuch des Oberbürgermeisters die Eltern einzulullen. „Der gleiche Oberbürgermeister, der heute Verständnis für die Eltern ausdrückt und vorgibt eine hohe frühkindliche Qualität zu fordern, plant schon längst Personaleinsparungen in den Städtischen Kinderkrippen und die Umstellung von Frischküche auf Tiefkühlkost“, empört sich Nina Landhofer. Dieses Verhalten sei nicht geeignet, um das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Die Elterninitiative kündigt an, ihren Protest bis zur Bundestagswahl weiter zu verschärfen. „Wir rechnen nicht damit, dass wir in wenigen Monaten etwas erreichen“, sagt die Vorsitzende Landhofer. „Aber wir haben Ausdauer und werden bayernweit den Druck auf die Politik erhöhen.“ Alle Eltern fordert Landhofer auf, sich auf der Internetseite der Initiative in die Unterstützerliste einzutragen, um zu demonstrieren, dass die Eltern für eine gute Kinderbetreuung kämpfen werden.

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