Wie Windrichtung und Fluglärm zusammenhängen
AZ-Leser in Schwabing und Moosach ärgern sich über Fluglärm – auch am späten Abend. Wer fliegt da? Und warum um diese Zeit? Die AZ ist dem nachgegangen – und erklärt, wann und wieso Jets über der Stadt kreisen.
München - Täglich fliegen etwa 1000 Flugzeuge über uns hinweg. Nicht nur über den Münchner Norden, wo AZ-Leser Kurt K. mit seiner Familie lebt – und sich massiv am Fluglärm stört. Auch über Schwabing, wo Rainer Harjes, der eine Filmproduktionsfirma hat, inzwischen ganz genau in den Himmel schaut. Er fragt sich: Wieso müssen Jets mein Haus im Münchner Westen überfliegen? Die AZ hat beim Flughafen und der Flugsicherung nachgefragt.
Ost- und Westwind und die Menge der Flugzeuge am Himmel entscheiden darüber, wie sich einzelne Flugzeuge bewegen: Luftfahrzeuge starten und landen grundsätzlich gegen die vorherrschende Windrichtung. Und der Luftraum ist frei, auch über dicht besiedeltem Gebiet.
Beispiel Ostwind
Ein Flugzeug ist in Zürich mit dem Ziel München gestartet. Es herrscht geringes Verkehrsaufkommen. Ein solches Flugzeug wird man über dem Stadtzentrum nicht sehen. Denn in dieser Situation erhält die Cockpit-Besatzung mit großer Wahrscheinlichkeit eine Freigabe von der Flugsicherung, was dazu führt, dass der Flugweg westlich oder nordöstlich vom Stadtzentrum verlaufen wird.
Eine Freigabe bedeutet: Das Flugzeug fliegt den direkten Weg und nicht den entlang der vorgegebenen Navigationspunkte. So nähert es sich dem Flughafen von Westen.
Beispiel Westwind
In diesem Fall besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der gleiche Flieger aus Zürich das Stadtgebiet überfliegt – weil das Flugzeug zuerst in einen Bereich südöstlich des Flughafens geführt wird, um diesen dann, von Osten her kommend, anzufliegen.
Bei höherem Verkehrsaufkommen zeigt sich, wie komplex der Job der Fluglotsen ist. Die haben es in München mit zwei Hauptströmen zu tun: Flüge aus dem Süd-Westen, etwa Italien, und Flieger aus dem Süd-Osten, etwa aus Österreich.
Sind sehr viele Flieger aus dem Süd-Osten am Himmel, wird der Flug von Zürich nach München trotzdem geführt wie bei geringem Verkehrsaufkommen. Ist jedoch im Hauptstrom Süd-Westen viel los, kann es sein, dass er über München geführt wird.
Denn die Lotsen müssen die Flüge staffeln, das heißt, sie müssen horizontal und vertikal bestimmte Abstände einhalten. Ist auf dem Süd-Ost-Strom viel los, kann dieser Abstand nur eingehalten werden, wenn manche Flieger Routen über die Stadt nehmen.
Ein AZ-Leser aus Moosach hat mit seiner Familie gezählt, was ihnen am Abend so über die Köpfe rauscht. Am Donnerstag, 16. Februar, zählen sie zwischen 20.04 Uhr und 23.08 Uhr zehn Flugzeuge. „Für uns war das ein ganz normaler Abend“, sagt Martin Köppel von der Deutschen Flugsicherung (DFS).
Insgesamt sind in dieser Zeit 94 Flieger am Münchner Flughafen gestartet: 91 Passagiermaschinen und drei Frachtmaschinen. Drei – das ist vergleichsweise viel, im Schnitt sind nur ein Prozent der Maschinen ausschließlich mit Gütern beladen, denn meistens geht die Fracht in die Bäuche der Passagiermaschinen. Dort gibt es einzelne „Compartments“, also Lagerräume, die man separat kühlen oder heizen kann. Und Tiere bekommen extra Licht und Wärme.
Welche Flieger genau über das Haus in Moosach geflogen sind, ist für die Flugsicherung schwer nachzuvollziehen. Einen Monat dauert es in der Regel, eine derartige Anfrage zu bearbeiten.
Für einen dieser Flieger hat es die Flugsicherung auf Anfrage der AZ gemacht: Um 22.20 Uhr überflog ein Airbus 340, ein vierstrahliges Großraumflugzeug, das Haus in Richtung Emirate. Die Moosacher Familie hat es als sehr laut wahrgenommen. Der Flieger war 12600 Fuß über Grund, das sind in etwa 3300 Meter.
Der AZ-Leser fragt sich: Warum darf dieses Flugzeug so spät noch fliegen?
Die Nachtflugregelung
Sie besagt, dass zwischen 22 und 6 Uhr Flugbetrieb nur beschränkt und mit lärmarmen Flugzeugen möglich ist.
Dabei gibt es die weitgehend bewegungsfreie Kernzeit von Mitternacht bis 5 Uhr. Um diese Zeit dürfen nur Not- und Hilfleistungsflüge, die Nachtluftpost und Flüge in begründeten Einzelfällen, die erst vom Bayerischen Staatsministerium bewilligt werden müssen, starten und landen.
„Bei der Bewilligung ist der Beamte meist stur, Anfragen in der bewegungsfreien Kernzeit werden fast immer abgelehnt“, sagt Robert Wilhelm vom Flughafen München. Dann müssen sie am Flughafen Nürnberg landen, dort dürfen sie das auch nachts.
Stur bleibt der Flughafen auch, wenn beispielsweise eine Maschine aus Singapur mit viel Rückenwind etwas verfrüht, etwa um 4.50 Uhr landen will.
„Die müssen dann in Warteschleife fliegen“, sagt Wilhelm, „in der Regel wird ihnen aber schon beim Start gesagt, dass sie langsamer fliegen sollen, um nicht zu früh zu kommen.“ Nach Mitternacht darf auch niemand mehr abheben und landen, egal wie gut die Gründe sind und egal, ob es eine Minute oder fünfzehn Minuten nach Mitternacht ist.
Zwischen 22 und 24 Uhr sowie zwischen 5 und 6 Uhr dürfen nur Flugzeuge fliegen, die in der so genannten Bonusliste geführt sind. Das sind lärmarme Flugzeuge, die die Bundesregierung in einer Liste erfasst hat. Zusätzlich müssen sie eine der folgenden Bedingungen erfüllen:
- Es ist ein Flug einer Fluggesellschaft, die einen Wartungsschwerpunkt mit Technik und Personal in München unterhält. Das haben Lufthansa, Augsburg Airways, Air Berlin, LTU, Thomas Cook und Premium Aviation.
- Der Flug ist in der München-Liste geführt, die noch strengere Vorgaben als die Bonusliste hat. Das heißt, er hat keinen höheren Einzelschallpegel als 75 Dezibel.
- Es ist ein Ausbildungs- oder Übungsflug.
- Oder es ist eine von maximal 28 erlaubten und geplanten Flugbewegungen.
- Außerdem dürfen alle Nachtflüge einen insgesamt erzeugten Fluglärmwert von durchschnittlich 50 Dezibel nicht überschreiten.
Das heißt für Fluggesellschaften: Es ist sinnvoller, leise Jets fliegen zu lassen, weil dann mehr Flugbewegungen in der Nacht zulässig sind.
Die Zukunft
Die Neuplanung der Flugrouten für die zusätzlichen dreißig Flüge, die eine dritte Start- und Landebahn leisten soll, wird für unsere Leser keine Erleichterung bringen. „Diese Flüge werden an das bestehende System angegliedert“, sagt Koeppel von der Flugsicherung.
Das heißt, die erweiterten Routen werden noch mehr Flugverkehr über Schwabing, Moosach und dem Rest Münchens bringen.