Wie stark ist die Mafia in München?

Der neueste Mafia-Thriller der ARD spielt zwar in Berlin, aber die „Ehrenwerten Gesellschaften“ arbeiten auch in der ruhigen und sicheren Landeshauptstadt
Die Stimme des Anrufers klang freundlich, aber bestimmt: „Sagen Sie Ihrem Mann, er soll das Mandat niederlegen. Es ist besser für alle." Der Ehemann , ein sehr bekannter Münchner Wirtschaftsanwalt, konnte sich sofort denken, wer hinter dem Anruf steckte. „Für einen Mandanten klagte ich damals gegen eine Firma, die russischen Kriminellen gehörte, wie uns allerdings erst später klar geworden ist."
Anfangs wollte sich der Anwalt nicht einschüchtern lassen, aber die andere Seite legte nach: „Als sie mir dann ein Photo meines Sohnes auf dem Schulweg geschickt haben, war für mich die Grenze erreicht." Der Anwalt legte das Mandat nieder. Klagen gegen russische Firmen nimmt er seitdem grundsätzlich nicht mehr an.
„Im Angesicht des Verbrechens", die neue Mafia-Serie des Münchner TV-Regisseurs Dominik Graf lenkt die Aufmerksamkeit auf die organisierte Kriminalität. Es geht um Russenmafia, und es geht um Berlin, es geht um eine Polizei, die meist einen Schritt hinter den Ereignissen herläuft - mindestens einen Schritt. So realistisch und detailgenau erzählt die Serie (siehe Kasten), dass sich die Zuschauer fragen: Gibt’s das nur in Berlin, wie ist es in anderen Städten? Wie stark und wer ist die Mafia in München?
Neue Geschäfte
Die organisierte Kriminalität hat ihr Gesicht heute gewandelt: Immer mehr drängt sie in die reguläre Wirtschaft und investiert dort die Gelder, die sie durch illegale Geschäfte erworben hat. Und wer ihr in die Quere kommt wie dieser Rechtsanwalt, der wird gefügig gemacht. Auch ein Münchner Privatsender entschied sich, auf eine Sendung über die russische Mafia zu verzichten, nachdem ernstzunehmende Drohungen eingegangen waren.
Milliardengewinne locken
Aus Bulgarien kommen Lkw mit gefälschten Spirituosen, die von Händlern auch in Bayern verkauft werden. In der Ukraine und in Moldawien fälschen mobile Fabriken Zigaretten für den deutschen Markt (ganz wie im Graf-Thriller „Im Angesicht des Verbrechens“). Und aus der Türkei kommen gefälschte Markenartikel. Das Muster ist so gut wie immer gleich: Produziert wird überwiegend in Osteuropa, auf dem Balkan und in Asien, die Ware wird in Deutschland und West-Europa unter die Leute gebracht. Jeder Lastwagen, der die Grenze passiert, bringt 100000 Euro und mehr Gewinn. Besonders bedrohlich ist, dass seit einigen Jahren auch immer mehr gefälschte Medikamente in Deutschland auftauchen, vor allem im Internethandel.
Und natürlich ist der Rauschgifthandel nach wie vor eines der Standbeine der organisierten Kriminalität. Erst im April sorgte die Razzia in elf Pizzerien in München für Aufsehen. Die kalabrische Ndrangheta verteilte über die Etablissements Kokain. 20 Verdächtige wurden festgenommen. LKA-Cheffahnder Gerald Busch sprach damals in der AZ von einer „einmaligen Chance der Polizei, mafiöse Strukturen aufzudecken“. Er sagte aber auch: „Die osteuropäische Kriminalität befasst uns heute noch mehr.“ Details nannte er nicht.
Wollen Fahnder den kriminellen Profis auf die Spur kommen, brauchen sie einen langen Atem. Doch selbst dann gelingt es nur sehr selten, die Struktur einer kriminellen Bande ernsthaft zu schwächen. Denn die Mafiosi sind vorsichtig. E-Mails werden verschlüsselt, wichtige Botschaften nur von Kundschaftern überbracht. Handys nur mit Prepaid-Karte! Und vor allem: Sie wollen keine Gewalt.
Gewalt ist schlecht fürs Geschäft
Wenn „Im Angesicht des Verbrechens" der Mercedes eines Clan-Chefs durch eine Handgranate in die Luft fliegt, dann gibt das natürlich gute Bilder. Im realen Leben gilt so etwas aber bei den Ganoven als Betriebsunfall, der tunlichst vermieden werden muss. „Keine offene Gewalt" lautet das Motto in der organisierten Kriminalität. Blut auf der Straße bedeutet Polizei und öffentliche Aufmerksamkeit, beides ist schlecht fürs Geschäft.
Wer auspackt, riskiert sein Leben
Dass es in diesem Milieu nicht von aussagewilligen Zeugen wimmelt, kann sich jeder vorstellen. Wer auspackt, riskiert sein Leben, sondern auch das seiner Familie. In Deutschland kann die Polizei einen Zeugen gut schützen, doch was geschieht bei Ausländern mit der oft weitläufigen Verwandtschaft in ihrem Heimatland? Auch wenn inzwischen viele europäische Nachbarländer ein Zeugenschutzprogramm haben, oft mangelt es wegen verbreiteter Korruption am Vertrauen in die Behörden.
Terrorbekämpfung ist wichtiger
Durfte vor einigen Jahren die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in keiner Rede eines Innenpolitikers fehlen, so ist sie zuletzt wegen der Terror-Bekämpfung in den Hintergrund getreten. Auch innerhalb der Polizei haben sich die Schwerpunkte dahin verschoben. Das freut die Szene, denn nichts schätzen diese Herren mehr als Ruhe.
München lockt schmutziges Geld an
München ist so gesehen der ideale Ort, um sich zu treffen, Geld zu investieren und sich auszuruhen. Während in Berlin schon mal der ein oder andere Auftragsmord für Schlagzeilen sorgt, in Hannover die Rocker der Hells Angels und Bandidos schlagzeilenträchtig Versöhnung spielen müssen und im Ruhrgebiet gelegentlich ein Schusswechsel im Milieu für Unruhe sorgt, bleibt es in München meist ruhig.
Hier ist ein guter Platz, um schmutziges Geld zu investieren. So wechselte vor kurzem in Neuhausen ein Bürohaus für 2,8 Millionen Euro den Besitzer, und der Deal war typisch für solche Geschäfte: Der Verkäufer war eine mexikanische Firma, die das Haus von einem Münchner vor einem Jahr für 1,95 Millionen gekauft hat. Nun verkaufte die Firma das Haus an zwei in Dubai lebende Iraner weiter. In nur einem Jahr hatte die Immobilie 950 000 Euro an Wert gewonnen. Dass es Gerüchte gab, die Verkäufer würden mit den Käufern unter einer Decke stecken und beide mit Drogengeschäften ihr Geld verdienen, half den Fahndern nichts. Wie sollten Sie prüfen, woher das Geld stammte? Der Verkauf ging glatt über die Bühne, und wenn die neuen Hausbesitzer eines Tages das Haus weiterverkaufen, haben Sie 2,8 Millionen schmutziges Geld gewaschen. Kein Fahnder kann ihnen nun mehr etwas anhaben. Notfalls findet sich in solchen Fällen auch ein bestechlicher Bankmitarbeiter, der einen verdächtigen Geld-Transfer passieren lässt. Stolze 250000 Euro strich ein Münchner Banker als Dankeschön für so eine Aktion ein.
Und so wird es auch zukünftig sein wie in dem ARD-Film: Immer wieder mal gelingt es der Polizei, mit spektakulären Aktionen ein paar der großen Fische der organisierten Kriminalität aus dem Verkehr zu ziehen, doch es bleibt ein Kampf David gegen Goliath. Protokoll: Torsten Huber
Martin W. Brock