Wie stark ist die Mafia in Bayern?

MÜNCHEN - Die Einrichtung des italienischen Restaurants ist nobel. Genauso hochpreisig wie die Pacht. Dabei verkauft der Laden gerade mal 30 Pizzen am Tag. Es sind Fälle wie diese, bei denen die bayerischen Ermittler aufhorchen.
„Deutschland ist eines der Top-Länder, was Geldwäsche angeht”, sagt die Mafia-Expertin Laura Garavini. Insbesondere Bayern sei davon betroffen – gemeinsam mit Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Die italienische Abgeordnete hat am Freitag gemeinsam mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Harald Schneider über Mafia-Aktivitäten in Bayern informiert.
Wie aktiv ist die italienische Mafia im Freistaat? „Das Problem ist da, und das Problem ist ernst”, sagt Garavini, die in Italien Mitglied des Anti-Mafia-Ausschusses ist. Bayern sei eine Hochburg der ’Ndrangheta, der kalabrischen Mafia. Und zwar nicht bloß als Rückzugsgebiet. „Es werden massiv kriminelle Handlungen unternommen.”
SPD-Mann Schneider hatte eine schriftliche Anfrage an die Staatsregierung gerichtet, um Genaueres zu erfahren. In der Antwort von Innenminister Joachim Herrmann heißt es: Bei Bayern handele es sich offenbar „überwiegend um einen Rückzugs- und Ruheraum” der italienischen Mafiosi. Eine Darstellung, der Schneider widerspricht: „Er verkennt schlicht und ergreifend die Tatsachen.”
Wie sehen die Zahlen aus? Seit 2007 gab es laut Innenministerium 25 Verfahren gegen italienische Banden – wegen Organisierter Kriminalität. Bei 15 davon habe ein Bezug zur Mafia hergestellt werden können. Die Dunkelziffer, so mutmaßt Schneider, sei jedoch „mehr als doppelt so hoch”.
Aus der schriftlichen Antwort des Innenministers geht auch hervor: Den bayerischen Sicherheitsbehörden sind namentlich etwa 65 mutmaßliche Mafia-Gangster bekannt – wovon etwa 65 Prozent zur ’Ndrangheta gehören sollen.
Wo hat sich welche Mafia-Gruppierung breit gemacht? Insgesamt haben die Behörden im Freistaat mutmaßliche Mafiosi von vier Gruppierungen ausgemacht. Die ’Ndrangheta hat ihre regionalen Schwerpunkte in Mittelfranken, Niederbayern, Schwaben und der Oberpfalz. Die aus Kalabrien stammende Organisation war 2007 für die sechs Mafiamorde in Duisburg verantwortlich.
Die Camorra aus Neapel sitzt in Mittelfranken und Schwaben. Die sizilianische Cosa Nostra in Mittelfranken. Und die in Apulien beheimatete Sacra Corona Unita ist in Oberbayern, Schwaben und wiederum in Mittelfranken vertreten, das bei den Mafiosi offenbar recht beliebt ist.
Und was ist mit der angeblich nördlichsten Stadt Italiens? „München ist natürlich auch betroffen”, sagt Schneider, der sicherheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. Das zuständige Münchner Kommissariat „hat weiß Gott mehr als genug zu tun”.
Was genau macht die Mafia in Bayern? Laut Minister Herrmann haben die bisherigen Verfahren gezeigt, dass der Freistaat als „Aktionsraum in den Bereichen Rauschgift-, Eigentums- Fälschungs- und Wirtschaftskriminalität genutzt wird”. Wobei der Schwerpunkt beim Drogen-Schmuggel liegt.
Laura Garavini berichtet von immer neuen Methoden der Mafia. Zum Beispiel Investitionen in Windenergie, die bloß der Geldwäsche dienen. „Es wird auch massiv erpresst. Insbesondere italienische Gastronomen sind Opfer.”
Schneider wiederum weiß von Ermittlungen wegen eines so genannten Umsatzsteuer-Karussells. Für diesen Steuerbetrug würde etwa eine Lkw-Ladung Flachbildschirme quer durch Europa geschickt. Wenn es die konkrete Ladung denn überhaupt gebe.
Wie groß ist der Schaden? Nach Angaben des Ministeriums haben italienische Banden 2011 einen wirtschaftlichen Schaden von 2,7 Millionen Euro verursacht. Was aber, so darf vermutet werden, nur die Spitze des Eisbergs ist.
Warum zieht es die Gangster zu uns? Deutschland bietet den Mafiasyndikaten nach Einschätzung der SPD ideale Bedingungen. Für sie sei es quasi das „gelobte Land”, berichtet Schneider über das, was in Expertenkreisen geredet wird. Warum? Laut Laura Garavini ist die Gesetzgebung hierzulande „nicht streng genug”.
Schneider, früher selbst Polizist, nennt ein Beispiel: Um ein aus dem Nichts gekommenes Vermögen beschlagnahmen zu können, müssen deutsche Ermittler beweisen, dass es aus kriminellen Geschäften stammt. In Italien gilt dagegen die „Beweislastumkehr”. Sprich: Wenn ein Verdächtiger nicht darlegen kann, dass er auf legalem Weg an sein Geld gekommen ist, kann es konfisziert werden.
Schneiders Hauptkritik zielt aber noch auf etwas anderes. Deutsche und italienische Ermittler dürften im Kampf gegen organisierte Kriminalität nicht direkt zusammenarbeiten. Alle Ermittlungsersuchen müssten übers Landes- und Bundeskriminalamt sowie die Justiz der jeweiligen Länder laufen – was Monate dauert.
Jetzt stellte die SPD-Fraktion einen Antrag auf eine Expertenanhörung im Landtag. Sie verlangt mehr Personal und eine engere Zusammenarbeit der deutschen und italienischen Ermittler.