Wie sich Rechtsextreme tarnen

Miriam Heigl von der städtischen Fachstelle gegen Rechtsextremismus setzt im Kampf gegen rechts vor allem auf eins: Aufklärung.
Julia Lenders |
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Rechtsextremismus-Expertin Miriam Heigl ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Soziologin.
Rechtsextremismus-Expertin Miriam Heigl ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Soziologin.

AZ: Frau Heigl, im Münchner Stadtrat sitzt derzeit ein einziger Neonazi von der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“. Wie schätzen Sie das Potenzial rechtsextremer Gruppierungen bei der Kommunalwahl 2014 ein?

MIRIAM HEIGL: Die Stadt hat ja seit dem Einzug dieses einen Neonazis verschiedenste Maßnahmen ergriffen, um gegenzusteuern. Es wurde ein Netzwerk gegen Rechtsextremismus aufgebaut. Es gibt jetzt schon in vielen Bezirksausschüssen Beauftragte gegen Rechtsextremismus. Wir versuchen also aktiv, den Neonazis das Wasser abzugraben. Insofern ist die Hoffnung, dass diese Strategie einen positiven Effekt zeitigt.

Also befürchten Sie nicht, dass es bei der nächsten Wahl mehr Rechtsextremisten ins Rathaus schaffen?

Doch, wir sehen im Bereich Rechtsextremismus und islamfeindlichem Extremismus eine hohe Dynamik in München. Und natürlich versuchen diese Kreise, Wähler für sich zu mobilisieren.

Welche Strategie verfolgen die Rechten in München? Wie gehen sie auf Stimmenfang?

Rechtsextreme und islamfeindliche Extremisten haben die Tendenz, sich zu tarnen. Sie geben sich gerne als Bürgerinitiative oder als Bürgerrechtspartei aus. Sie nutzen demokratische Mittel wie beispielsweise ein Bürgerbegehren, um ihre Propaganda zu verbreiten. Umso wichtiger ist es, dass wir der Bevölkerung sagen, wo Verfassungsfeinde am Werk sind, damit sie sich abwenden kann.

Mit welchen Themen versuchen diese Kreise, bei den Münchnern zu punkten?

Die NPD gibt sich als sozialer Kümmerer. Die spielt eine Vielzahl von Themen wie Mieten, Ausländer und Kindesmissbrauch. Die islamfeindlichen Extremisten konzentrieren sich dagegen nur auf ein einziges Thema: Sie schüren pauschal Ängste vor Muslimen und behaupten, es gäbe eine Islamisierung der Stadt. Insofern sind das zwei unterschiedliche Strategien.

Und fällt das in München auf fruchtbaren Boden?

So richtig werden wir das erst nach der Kommunalwahl 2014 sehen. Momentan geht es vor allem darum, die Münchner aufzuklären, mit wem sie es da zu tun haben.

Der jetzige Neonazi im Stadtrat widmet sich in Anträgen manchmal auch Themen wie der S-Bahn oder der Tierrettung. In anderen zeigt er dafür umso unverhohlener seine wahre Gesinnung – wie erklärt sich das?

Karl Richter praktiziert hier eine rechtsextreme Strategie, die im ganzen Bundesgebiet Anwendung findet. Die meisten der bundesweit etwa 350 NPD-Abgeordneten, zu denen er de facto gehört, sind in einer kommunalpolitischen Vereinigung organisiert, in der auch das Vorgehen festgelegt wird. Die Strategie ist einerseits, sich beim eigenen Spektrum anzubiedern, indem man ganz klar ausländerfeindliche oder NS-verherrlichende Anträge oder Anfragen stellt. Und auf der anderen Seite versucht man, sich bürgernah zu geben, und etwa das Problem aufzugreifen, dass es ein Leck im Bushäuschen gibt. Damit wollen sie verschleiern, wer sie wirklich sind: stramme Rechtsextremisten und Anhänger des Nationalsozialismus. Und sie versuchen, es den Demokraten schwerer zu machen, sich abzugrenzen.

 

Lesen Sie hier: Wo München braun ist

 

Welche Wählergruppen sollen darauf reinfallen?

Über diese bürgernahen Themen sollen Leute angesprochen werden, die im Kern keine Rechtsextremisten sind – aber frustriert. Und die sich dann denken: Jetzt wähle ich die mal, die haben einen Antrag zu einem Thema gestellt, das mir persönlich wirklich wichtig ist.

Zu einer anderen Gruppierung: „Die Freiheit“ agitiert derzeit mehrmals die Woche an Infoständen in der Stadt. Was ist von dieser Partei zu halten?

Die Freiheit ist eine islamfeindliche Partei. Sie reduziert Menschen auf eine einzige Eigenschaft – ihren Glauben – und wertet sie dann ab. Wir begrüßen daher, dass das bayerische Innenministerium gerade angeordnet hat, die „Freiheit Bayern“ vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Denn sie verletzt Grundrechte wie die Religionsfreiheit, die Menschenwürde und den Gleichheitssatz.

Dabei klingt „Freiheit“ doch so positiv.

Das ist eine rechtspopulistische Strategie, die in anderen Ländern auch schon angewendet wurde – teils mit Erfolg. Schweizerische Volkspartei klingt ja auch erst mal harmlos. Hinter freundlich klingenden Namen verbergen sich teils sehr extreme und menschenverachtende Inhalte.

Die Freiheit sammelt Stimmen gegen das Zentrum für Islam in Europa – München. Befürchten Sie, dass es da wirklich zu einem Bürgerentscheid kommt?

Wir werden erst wissen, ob die genug Stimmen zusammen bekommen haben, wenn sie ihre Listen beim Kreisverwaltungsreferat einreichen. Nach Eigenangabe haben sie aber bereits zwei Drittel der nötigen Unterschriften zusammen. Ob es zu einem Bürgerentscheid kommen kann, muss dann formal entschieden werden. Ganz unabhängig davon dient das Bürgerbegehren dazu, im Kommunalwahlkampf zu mobilisieren. Wir kennen das aus anderen Großstädten.

Zum Beispiel aus Köln. Da hat die rechtsextremistische Vereinigung „Pro Köln“ auch Stimmen gegen den Bau einer Moschee gesammelt.

Genau. Dort ist es zwar nicht zum Bürgerentscheid gekommen, weil viele der Unterschriften ungültig waren. Aber das Bürgerbegehren hat den Boden für den Einzug der Rechtsextremen in den Stadtrat bereitet. Heute sind dort fünf „Pro Köln“-Vertreter im Rathaus vertreten. Es wäre schlimm, wenn das in München auch passieren würde.

Wie stark ist die rechtsextreme Szene bei uns?

Bayern hat eine ausgeprägte Naziszene – und wir haben auch ein Problem mit Rechtsterrorismus. Stichwort: Oktoberfestattentat oder der geplante Anschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge. Die Münchner Szene war lange zerstritten. Aber seit Martin Wiese, der Drahtzieher dieses geplanten Anschlags, aus dem Gefängnis entlassen wurde, gab’s eine Restrukturierung. Seither sind die aktiver. Und die NSU-Morde haben der Szene zusätzlichen Auftrieb gegeben.

 

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