Wie OB Reiter am Hauptbahnhof München gegen "Verwahrlosungstendenzen" durchgreifen will

Der Stadtrat verlängert die Verordnung am Hauptbahnhof für vier weitere Jahre, obwohl Wohlfahrtsverbände sie kritisch sehen. Die Polizei hätte sich eine Ausweitung gewünscht. Auch der OB hat Forderungen.
von  Christina Hertel
In und um den Hauptbahnhof bleibt das städtische Alkoholverbot vier weitere Jahre bestehen. Die Polizei wollte es auf weitere Gebiete ausweiten.
In und um den Hauptbahnhof bleibt das städtische Alkoholverbot vier weitere Jahre bestehen. Die Polizei wollte es auf weitere Gebiete ausweiten. © dpa/Tobias Hase

München - Das Alkoholverbot am Hauptbahnhof bleibt für vier weitere Jahre in Kraft. Das hat der Stadtrat am Dienstag im Kreisverwaltungsausschuss beschlossen. Die grüne KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl hatte eine Verlängerung des Verbots vorgeschlagen. Ein Argument dafür: Seit 2016, als sich so viele Anwohner über alkoholbedingte Störungen und Kriminalität beschwerten wie nie zuvor, ist die Anzahl der Straftaten zurückgegangen.

Alkoholverbot am Hauptbahnhof München wird verlängert: Was die Polizei zusätzlich fordert

Die Polizei sieht in dem Verbot einen "wesentlichen Baustein zur Eindämmung von Ordnungsstörungen und in der Folge resultierende Straftaten". Sie hatte deshalb sogar für eine Ausweitung des Verbotes hin zum Karl-Stützel-Platz, dem Alten Botanischen Garten wie auch dem sogenannten "Norkauer Platz" plädiert.

CSU und Freie Wähler beantragten deshalb, das Alkoholverbot auf diese Zonen auszuweiten. Allerdings teilte diese Meinung nur ÖDP-Chef Tobias Ruff. Der forderte außerdem auf den Flächen, wo das Alkoholverbot gilt, ein Cannabisverbot auszusprechen. Das fand allerdings ebenfalls keine Mehrheit.

Werden nicht alle gleich behandelt: Warum Politiker gegen das Alkoholverbot in München sind

Gegen das Alkoholverbot stimmten Marie Burneleit von der Satire-Partei "Die Partei" und Richard Progl von der Bayernpartei. Burneleit kritisierte, dass das KVR für seine Studie nicht mit den Menschen gesprochen hatte, die sich rund um den Hauptbahnhof aufhalten und die das Alkoholverbot betrifft. Außerdem beobachtet Burneleit, dass von Polizei und Sicherheitsleuten nicht alle Personen gleich behandelt werden: Fußballfans und Oktoberfest-Besucher, die trinken, würden nicht aufgehalten – anders als Menschen, die die Polizei dem Äußeren nach der Trinker-Szene zuordnet.

Auch Wohlfahrtsverbände sehen das Alkoholverbot kritisch. Sie befürchten eine Verdrängung und eine Stigmatisierung der Alkoholkonsumierenden, heißt es in der Beschlussvorlage aus dem KVR.

Richard Progl (Bayernpartei) erinnerte daran, dass sich auf dem Oktoberfest an einem Tag jeweils genau so viele Menschen (nämlich rund 450.000) aufhalten wie rund um den Bahnhof. "Auf der Wiesn passieren genauso viele Straftaten, nur an 16 und nicht an 365 Tagen." Er sei grundsätzlich gegen Verbote.

"Sichtbare Verwahrlosungstendenzen": Wie OB Dieter Reiter am Hauptbahnhof München durchgreifen will

Bestürzt über die Situation rund um den Hauptbahnhof zeigt sich auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Er weist darauf hin, dass rund um den Hauptbahnhof die Zahl der Delikte steigt. "Hinzu kommen in diesem Bereich seit kurzem sichtbare Verwahrlosungstendenzen, die insbesondere durch die aktuellen Leerstände ganzer Gebäudekomplexe und Baustellen in der unmittelbaren Umgebung entstehen", sagt er.

Reiter machte sich mit der Polizei am Montag vor Ort selbst ein Bild. "Ich habe angeordnet, diesen Entwicklungen ab sofort deutlich entgegenzuwirken", so Reiter. Er habe eine Taskforce einberufen, die an das KVR angegliedert ist, und die Maßnahmen ergreifen soll, um "hier wieder vernünftige Zustände zu erreichen".

Zu den Maßnahmen, die die Taskforce umsetzen soll, gehören laut SPD-Stadtrat Christian Vorländer zum Beispiel eine bessere Beleuchtung im Alten Botanischen Garten und die Entfernung von Gestrüpp, sodass die Polizei den Park besser einsehen kann. In einem Turnus von zwei Wochen soll die Verwaltung über die umgesetzten Maßnahmen Bericht erstatten, fordert Reiter.

Task Force und Runder Tisch: Wie München mit dem Hauptbahnhof-Problem umgeht

In der Stadtverwaltung gibt es bereits einen Runden Tisch zu Themen rund um den Hauptbahnhof. Bei diesem geht es laut KVR-Chefin Sammüller-Gradl, anders als bei der Taskforce, nicht nur um gestalterische Aspekte. Auch soziale Träger seien beim Runden Tisch eingebunden, er arbeite also gesamtheitlicher.

Ist die Münchner Jugend heute gewalttätiger?

München bleibt die sicherste deutsche Großstadt. Pro 100.000 Einwohner geschahen hier 2023 5934 Straftaten, Hamburg und Berlin kommen etwa auf die doppelte Anzahl. Gleichzeitig liegt die Aufklärungsquote bei rund 62 Prozent. Diese Zahlen stellte Polizei-Chef Thomas Hampel am Dienstag im KVR-Ausschuss vor – und durfte sich über viel Lob aus dem Stadtrat freuen. Tatsächlich ist die wachsende Kriminalität von Minderjährigen in München ein Problem.

Laut Sicherheitsreport liegt die Anzahl der jugendlichen Tatverdächtigen in etwa auf dem Niveau von vor zehn Jahren, allerdings hat die Polizei deutlich mehr Kinder als Tatverdächtige registriert (44,6 Prozent als 2014). Bei der gefährlichen bzw. schweren Körperverletzung befindet sich die Anzahl der tatverdächtigen Jugendlichen auf dem höchsten Niveau der letzten 10 Jahre. Schwerpunkt von Jugendgewalt sind laut Hampel Riem und der Pasinger Bahnhof. Durch "repressive Maßnahmen" habe die Polizei verhindern können, dass sich das verstetige. SPD-Stadträtin Lena Odell sagte, die Gesellschaft habe hier eine Verantwortung.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.