Wie neutral müssen Lehrer sein? Das sagt ein neuer Leitfaden

München - Sogar schon an Münchner Grundschulen wurden im Klassenchat die hetzerischen AfD-Flyer herumgereicht, die als sogenanntes "Abschiebeticket" Schlagzeilen gemacht haben. Das sind nachgebildete Flugtickets, die von der Partei absichtlich in Briefkästen von Menschen gesteckt wurden, die vermeintlich einen Migrationshintergrund haben.
Im Umgang mit solchen und ähnlichen Inhalten sind Lehrkräfte oft und auch vermehrt verunsichert und unter Druck: Wie klar darf man als Lehrkraft Stellung beziehen, wie neutral muss man sein, wann muss man einschreiten und wie?
Noch obendrauf komme vielerorts Druck über Meldeportale, wo unzufriedene Eltern vermeintliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot der Lehrkräfte melden sollen. Solche Portale, die die AfD schon vor Jahren eingerichtet hatte, wurden zwar nach juristischen Auseinandersetzungen oft auch wieder verboten, tauchten aber in modifizierter Form deutschlandweit wieder auf.
Und nicht zuletzt über Anfragen in den Parlamenten üben rechte Politiker Druck auf die Schulsysteme aus, mit dem Ziel, ihre hetzerischen Inhalte dort einfacher und unwidersprochener verbreiten zu können.
Lehrkräfte werden unter Druck gesetzt und verunsichert
So werden viele Lehrkräfte unter Druck gesetzt und verunsichert. "Das Problem an all diesen Sachverhalten, sowohl die Anträge im bayerischen Landtag, als auch die einzelnen Fälle an Schulen: Es spricht sich herum", sagt Miriam Heigl, Leiterin der städtischen Fachstelle für Demokratie. "Das führt zu Verunsicherung und eventuell zu Selbstzensur. Dass sich Lehrkräfte denken 'Ich mache lieber nichts, bevor ich etwas falsch mache‘.'
Ein neuer Leitfaden der städtischen Fachstelle für Demokratie soll nun Lehrkräfte und Schulen im Umgang mit solchen Themen unterstützen und Klarheit geben. "Grundlagen und Grenzen des Neutralitätsgebots an Schulen" werden darin ganz konkret beschrieben.

Das heißt: Lehrkräfte sind grundsätzlich im Unterricht zu Neutralität verpflichtet. Sie dürfen zum Beispiel nicht zur Wahl einer bestimmten Partei aufrufen. Politische Werbung ist im Rahmen von Schulveranstaltungen oder auf dem Schulgelände nicht erlaubt.
Neutralität heißt aber nicht Wertneutralität. Lehrkräfte sind nämlich sogar verpflichtet, für Menschenrechte und demokratische Werte einzutreten – und diese auch den Schülern zu vermitteln. "Die zentrale Message ist: Es kann und soll thematisiert werden, wenn es um Rassismus oder Antisemitismus geht", sagt Heigl.
Konkret messbare Zahlen zu diesen Versuchen, den Diskurs auch innerhalb der Schule nach rechts zu verschieben, gibt es zwar laut Heigl nicht. "Es gibt keine messbaren Daten, da es sehr viele sehr verschieden gelagerte Fälle sind", sagt Heigl zur AZ. "Es ist aber ein Gesamtpanorama, das an den Schulen aufschlägt und das spürbar ist." Offenbar so spürbar, dass die Stadt es als nötig erachtet, einen solchen Leitfaden zu drucken und zu verteilen. Der stößt mittlerweile auch schon außerhalb der Stadt auf reges Interesse und auf Nachahmer.
Auch die Eltern sollen sich einbringen
Auch die Eltern spielen in dem Zusammenhang eine Rolle und sollen sich einbringen, auch wenn der Leitfaden nicht für sie gedacht ist. "Eltern sollten mit ihren Kindern im Gespräch bleiben, um mitzubekommen, was passiert, zum Beispiel im Klassenchat", erklärt Heigl. Und: "Eltern können auch aktiv Lehrkräfte oder Schulleitungen stärken und natürlich auch positives Feedback geben, wenn die sich für die Grundwerte der Verfassung einsetzen."
"Verunsicherung, Selbstzensur sowie die widerspruchslose Hinnahme" von Rassismus, Antisemitismus und anderen gruppenbezogenen menschenfeindlichen oder demokratiefeindlichen Aussagen: Das ist laut dem Leitfaden das Ziel, das rechte Akteure mit ihrem Vorgehen an und gegen Schulen als Ziel haben. Der neue Leitfaden gibt nun in Zeiten, in denen das offenbar nötiger ist denn je, Lehrkräften eine klare Hilfestellung im Umgang mit diesen Versuchen.