Wie kam die Kuh in den Brunnenschacht? Hier gibt's Stadtgeschichte im Vorbeigehen

Auch heute noch werden Archäologen in München regelmäßig fündig – ein neues Projekt macht ausgewählte Funde und Fundorte für alle sichtbar. Auf einem Rundgang durch die Altstadt kann die jetzt jeder entdecken. Ein Besuch im ganz alten München.
von  Myriam Siegert
Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung, mit Brigitte Gebhard und Elke Bujok (r.), Expertinnen für Mittelalter und Neuzeit, an einer der Stelen.
Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung, mit Brigitte Gebhard und Elke Bujok (r.), Expertinnen für Mittelalter und Neuzeit, an einer der Stelen. © Daniel von Loeper

München - Wissen Sie, wo die älteste Münchnerin gefunden wurde und wann sie lebte? Was am Marienhof früher war, oder wie das Leben an den Stadtbächen ablief? Das und vieles mehr kann man nun in der Altstadt erfahren – einfach so im Vorbeigehen.

An 13 Orten im Innenstadtbereich stehen seit vergangener Woche leuchtend blaue Aufsteller, die Spannendes über die Stadtgeschichte verraten. Dahinter steckt das Forschungsprojekt "Archäologie München" der Archäologischen Staatssammlung in Zusammenarbeit mit der LMU, dem Landesamt für Denkmalpflege, dem Stadtmuseum, dem Stadtarchiv, der Unteren Denkmalschutzbehörde und einigen mehr. Die Stadt fördert das Projekt, bis 31. Oktober wird es zu sehen sein.

Die Stelen sollen die Passanten auf bedeutende archäologische Fundstellen aufmerksam machen – die Stadt wird so "zum archäologischen Schaufenster", so die Macher. Die Konzentration auf die Altstadt ist dabei Absicht: "Archäologie geht natürlich bis hinaus in die Neubaugebiete", sagt Rupert Gebhard, Direktor der Archäologischen Staatssammlung, "aber ein solches Projekt muss fußläufig verknüpft sein."

Die Stelen sollen für Archäologie "vor der eigenen Haustüre" sensibilisieren und Lust machen, Geschichte in der eigenen Stadt zu entdecken. Ist die Neugierde einmal geweckt, können die angesprochenen Objekte vor Ort im Museum, der Mitte April nach jahrelanger Umbauzeit neu eröffneten Archäologischen Staatssammlung, bestaunt werden.

Der Marienhof ist eine archäologische Fundgrube

Kaum zu glauben, aber selbst in der Münchner Altstadt gebe es noch unberührten Untergrund, erklärt Rupert Gebhard. Bis heute gab es allein in der Altstadt über 250 Ausgrabungen, und es gibt viel zu erfahren und entdecken: Im Fokus stehen Funde von den umfangreichen Ausgrabungen am Marienhof von 2011 bis 2018, der vom Mittelalter bis zu den Luftangriffen 1944 durchgängig besiedelt war und so eine wahre Fundgrube darstellte; aber auch vom Odeonsplatz, St.-Jakobs-Platz, der Neuhauser Straße und anderen Ecken der Altstadt.

So hat's früher am Marienhof ausgesehen: Die Dienerstraße im Jahr 1937 mit dem Café Deistler rechts vorne.
So hat's früher am Marienhof ausgesehen: Die Dienerstraße im Jahr 1937 mit dem Café Deistler rechts vorne. © Zentralinstitut für Kunstgeschichte, ZI-0991-09-00-02869b

Wie etwa Keramikgefäße und Gewandnadeln der "Ältesten Münchnerin", gefunden im Apothekenhof der Residenz, die im 13.-12. Jahrhundert v. Chr. lebte. Oder ein mittelalterlicher Fischkasten vom Ende des 13. Jahrhunderts, der zur Lebendhaltung von Fischen in einem Stadtbach verankert wurde, von denen einer, der Pfisterbach, entlang der Sparkassenstraße floss.

Ein Fischkasten aus Erlenholz, der zur Lebendhälterung von Fischen in einem der Stadtbäche verankert werden konnte. Ende 13. Jahrhundert. Gefunden am Marienhof.
Ein Fischkasten aus Erlenholz, der zur Lebendhälterung von Fischen in einem der Stadtbäche verankert werden konnte. Ende 13. Jahrhundert. Gefunden am Marienhof. © Archäologische Staatssammlung, Stefanie Friedrich.

Spektakulär ist auch ein mit Holz ausgekleideter Brunnenschacht am Eck Theatinerstraße und Marienhof, einer von 15 freigelegten, in dem ein Kuhskelett gefunden wurde. Die verbauten Stämme sind auf das Jahr 1261 zurückzuführen. Wie die Kuh in den Brunnen kam, bleibt unklar. Nachvollziehen lässt sich aber, dass aus dem Brunnen eine Latrine wurde, da der Kadaver wohl das Wasser verunreinigte.

Unkaputtbar: Ein Serviergeschirr aus dem Keller des Cafés Deistler in der Dienerstraße, das bei den Bombenangriffen des Zweiten Weltkrieges verbogen wurde.
Unkaputtbar: Ein Serviergeschirr aus dem Keller des Cafés Deistler in der Dienerstraße, das bei den Bombenangriffen des Zweiten Weltkrieges verbogen wurde. © Archäologische Staatssammlung, Stefanie Friedrich.

Beim Tiefgaragenumbau stieß man auf die Grüfte der Nonnen 

In einer Weinschänke in der Weinstraße 7 wurde, wie Funde zeigen, auch Medizin vertrieben – etwa Quecksilber als zweifelhaftes Mittel gegen Syphilis, gefunden in einer Holzdose aus dem 16. Jahrhundert. Dass am heutigen Marstallplatz einer der frühesten und schönsten Renaissancegärten nördlich der Alpen stand, weiß heute kaum noch jemand. Farbige Keramikfragmente zeugen von einem prächtigen Kachelofen, der dort bis 1600 in einem Pavillon gestanden haben muss und bereits 1994/95 ausgegraben wurde.  Bekannter ist, dass am heutigen Max-Joseph-Platz seit dem 13. Jahrhundert bis 1802 im sogenannten Franziskanerviertel "eines der größten und wichtigsten Franziskanerklöster Europas" sowie zwei Nonnenklöster waren, wie Brigitte Gebhard, Abteilungsleiterin Mittelalter und Neuzeit in der Staatssammlung begeistert erzählt. Die Grüfte der Nonnen wurden 1982 bei der Erweiterung der Tiefgarage entdeckt.

Die Archäologische Staatssammlung bietet Führungen zu den Stelen an, sowie Sonderführungen in der neuen Dauerausstellung zum Thema Archäologie in München. Erster Termin: 29. Mai, 15 Uhr. Treffpunkt: Foyer d. Staatssammlung, Teilnehmerzahl beschränkt, Anmeldung: sekretariat@archaeologie.bayern oder 089-125996910. Teilnahme: 15 Euro inkl. Museumseintritt.

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