Wie Italien nach München kam – und wo man es bis heute spürt

Vor 350 Jahren zog eine Turinerin nach München – und arbeitete sich an dessen Muffigkeit ab. Zum Glück!
von  ape
Kurfürstin Henrietta Adelaide ließ sich ab 1664 die "Borgo delle ninfe" gegen ihr Heimweh erbauen – heute ist Schloss Nymphenburg eines der größten Barock-Ensembles in ganz Europa.
Kurfürstin Henrietta Adelaide ließ sich ab 1664 die "Borgo delle ninfe" gegen ihr Heimweh erbauen – heute ist Schloss Nymphenburg eines der größten Barock-Ensembles in ganz Europa. © dpa

Das war wahrscheinlich nicht mal ansatzweise das, was sich Henrietta Adelaide als ihren Lebensmittelpunkt vorgestellt hat: dieses München.

Piefig und provinziell war es damals, im Sommer 1652 – von entspannten Straßencafés, Ristorantes, flaniermeiligen Straßen oder mediterraner Architektur träumte zu dieser Zeit wahrscheinlicht nicht einmal der kühnste Münchner Träumer. Aber eben Henrietta Adelaide: Sie kam aus Turin her, um den bayerischen Kurfürsten Ferdinand Maria zu heiraten.

Glücklicherweise ging sie das Problem sehr aktiv an: Die Italienerin aus dem Haus Savoyen brachte eine riesige Gefolgschaft aus ihrer Heimat mit – Musiker, Sänger, Köche, Schneider und Architekten.

Darunter auch Stararchitekt Agostino Barelli, der aus Bologna berufen wurde: Er sollte gegen ihr Heimweh einen im Barockstil gestalteten Landsitz bauen – die "Borgo delle ninfe", heute besser bekannt als Schloss Nymphenburg.

Im Sommer fühlen sich 1,5 Millionen Münchner wie Italiener

Ähnlich Italien-fixiert war Ludwig I.: Er reiste im 19. Jahrhundert 22 Mal über den Brenner, um sich Anregungen zu holen dafür, wie man seiner Residenzstadt dieses gewisse Flair verleihen könnte – dieser Besessenheit verdanken wir unter anderem das Ensemble um den Odeonsplatz herum.

Es sind aber nicht nur prägende architektonische Entscheidungen (siehe Seite 5), die München vielerorts grün-weiß-rot einfärben. Sondern natürlich auch die knapp 28 000 Italiener (Stand Mai), die hier leben – viele von ihnen in den 50er und 60ern als Gastarbeiter gekommen. Die knapp 1,5 Millionen gefühlten Italiener. Und die unzählbaren, die jedes Jahr zum Italiener-Wochenende auf die Wiesn strömen und immer Sonnenschein bekommen.

Und nicht zuallerletzt sind es auch diese zauberhaften Kleinigkeiten, die wir Ihnen in den Texten unten beschreiben.

Wo und wann wir dieses besondere Flair spüren können:

Kurzurlaub im H'ugo's

In der Altstadt, zwischen Bayerischem Hof und Lodenfrey, befindet sich das H'ugo's. Allen, die sich hier noch nicht hingetraut haben, sei endgültig versichert: Nein, das ist nicht nur das Wohnzimmer der Promis. Auch als Nicht-Bayern-Star ist man hier willkommen. Ich liebe es besonders am Freitagabend, hier eine arbeitsreiche Woche ausklingen zu lassen. Wirt Ugo Crocamo, seine Mitarbeiter und das Essen (es lohnt sich, mal was Anderes als Trüffel-Pizza zu bestellen) versetzen den Gast subito nach Italien. Mit einem Glas Vino beobachte ich die laute, fröhlich-überdrehte Atmosphäre und bin im Kurzurlaub.
Kimberly Hoppe

Auf der Holzbank

Italien findet man in München oft auch genau dort, wo man es nicht erwartet: etwa im Herzen von Sendling. Nur ein paar Fußminuten vom Harras entfernt liegt der Stemmerhof, auf dem man ja eher guad Boarisches als verspielt Italienisches vermutet.

Was für eine Fehleinschätzung! Schließlich hat hier das "Sapori Originali" seine Heimat gefunden. Der Gast sitzt in einem holzvertäfelten Raum mit liebevoll ausgewählter Deko und einem wunderbaren Weinsortiment. Die Speisekarte verzichtet auf Chichi, stattdessen werden gute, einfache Gerichte serviert, die dadurch dem Gaumen schmeicheln, dass die Qualität der Zutaten stimmt. Egal, ob bei Caciotta-Käse oder Salsiccia.

Und wenn das Wetter auch noch italienisch-mild ist, nimmt man den Wein oder Espresso vor die Tür, setzt sich auf eine der gemütlichen Holzbänke und blinzelt in die Sonne. Wenn das keine dolce vita ist, was dann?
Sophie Anfang

Dolce, Frutta, Caffè!

Meine italienischen Momente in München sind zahlreich. Nicht zuletzt weil der beste Freund, der eigentlich schon zum Fratello auserkoren ist, aus Bella Italia kommt. So tönt mir nach dem Hauptgang eines gemütlichen (jaja, meist italienischen) Abendessens immer eine Stimme im Ohr, die die einzig akzeptable weitere Menüfolge verkündet: "Dolce, Frutta, Caffé!" Zu Befehl, so sei es.

In dieser Stadt mit in Wirklichkeit 52 Italienerwochenenden im Jahr genieße ich Tiramisu und Espresso nur zu gern. Und füge dem Menü noch einen Digestivo hinzu. Sambuca mit Fliege, bitte.
Linda Jessen

Ein Tritt zum Wasser

Das Herrliche an der Bar Riva im Tal ist ja nicht die Pizza – sondern die vielkehlige Begrüßung. Sobald der Gast eintritt, rufen, nein, brüllen sämtliche Barista ein lautes Ciao. Dieses "TSCHAUUUU!" versetzt einen direkt nach Neapel, also gefühlt.

Schade bloß, dass an den Toiletten-Waschbecken inzwischen ganz ordinäre Wasserhähne angebracht sind. Sie ersetzen die (zugegeben: dauertröpfelnden) Pedale am Boden, mit denen der Gast ganz wie im Bagno in Viareggio das Wasser mit dem Fuß fließen lässt. Immerhin, in der größeren Riva-Filiale in der Feilitzschstraße gibt es die Wasserpedale noch. Nur brüllen einen dort die Kellner beim Reinkommen nicht so schön an.
Michael Schilling

Pizza vorm Balkon

Manchmal, am Abend, riecht Italien zu mir herauf. Nicht so sehr Sonnencreme, Rotwein, Meer und Vespa, sondern Pizza. Von meinem Balkon aus kann ich nämlich auf den Freisitz der Pizzeria "Pizzesco" im Innenhof blicken.

Und wenn mich die Sehnsucht nach Italien packt (was nicht allzu oft vorkommt), setze ich mich auf den Balkon und träume mich hinunter. Und wenn mich die Sehnsucht nach Pizza packt (was nahezu täglich vorkommt), sause ich hinunter und kehre bald mit einem Karton feinster Überbackware heim.

Kleines Wunder am Rande: Die Betreiber sind spargeldürr – ich wölbe mich allmählich. Balkon, wie lang wirst du mich noch halten?
Philipp Seidel

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