Wie im Himmel
Der Kantholz-Drachen von einst ist ein Sportgerät geworden – und er fliegt. Welches Modell passt zu wem?
Damals, der Drache, den man geschenkt bekommen hatte vom allerbesten Freund, war doppelstöckig, gefertigt aus vernagelten Kanthölzern, drüber geklebtem Transparentpapier, darauf: ein lachendes Gesicht. Mit das Wichtigste: ein langer Schweif mit Schleifen aus Krepp. Man transportierte das Ding vorsichtig auf die Alkorwiese. Und dann? Rannte einer vor, samt Drachen, der andere hielt die Spule, um im richtigen Moment Schnur zu geben. Es ist klar, was kommt: es klappte nie, und zwei Stunden später war der Drachen eingerissen. Wenn nicht komplett zerfetzt.
Heute lässt man ja überhaupt keine Drachen mehr steigen, man geht Drachen fliegen bzw. geht man kiten. Und der, der mit einer, eher mit zwei Reißleinen unten steht und lässig seinen Stellvertreter im Himmel Purzelbäume schlagen lässt: das ist der Pilot. Bisweilen ist der Pilot ein Extemsportler, etwa, wenn er mit einer dieser vierleinigen Riesenmatten hantiert, die auch einen Elefanten über die Alpen lupfen könnten. Nicht umsonst mahnt Wikipedia: „Anfänger sollten im Gefahrenfall den Drachen loslassen“. Denn runter kommt er von allein. Irgendwann.
Entsprechend geht, wer sich eine Ausrüstung zulegen will, lieber ins Fachgeschäft. Arbeitet sich, das bleibt einem nicht erspart, ein wenig ein in die Materie, lernt das einschlägige Vokabular (Waageschnur, Glasfiber-Vollstab, Splitkappen) und merkt sich, bei wieviel Beaufort Wind man besser nicht mehr rausgeht (ab 5 bis 6). Ab 30 Euro sind solide Modelle mit Kohlefasergestänge und gescheiter Bespannung schon zu haben; der „Sportlenkdrachen“ aus dem Supermarkt für 7,95 Euro dagegen hat mit dem selbstgebauten Kantholz-Teil gemeinsam, dass er eher nicht fliegt.
Was es nun sein soll, ein Ein- oder Zweileiner? Ein Segeldelta oder ein Kastendrachen? Hier nützliche Hinweise von Stephan Haugg, dem Inhaber des einzigen Drachen-Fachgeschäfts in München. (fly over drive, Stephan Haugg, Waldtrudering, Tel. 4391311, www.flyoverdrive.de)
Andrea Kästle
Für Einsteiger
Im Gästebuch auf der Internetseite von flyoverdrive der treuherzig formulierte Eindruck zweier Kunden: „Wir waren erstaunt, was es da alles gibt“. Das kann man sagen bei dem Angebot an Fluggefährten, das vom Bausatz-Drachen für 4,90 Euro bis zur Vierliner-Matratze für 3000 Euro reicht.
Also. Der „absolute Einsteiger-Drache für Kinder, Jugendliche und Erwachsene“ heißt laut Stephan Haugg „Go2Start“. Vorteile: Das Ding ist „praktisch fast unverwüstlich“, fliegt bei leichter Brise und bricht nicht bei stärkerem Wind. Vorhandene Bremstaschen kann, wer nie mehr bremsen will, zunähen. Und dann: geht’s los. Wichtig zu wissen für einen gelungenen Start: Man steht mit dem Rücken zum Wind.
„Go2Start“, Spannweite: 127 Zentimeter, 29,90 Euro.
Für Angeber
Man will ja den Drachen nicht immer nur nach links und rechts fliegen lassen. Man will bunte Purzelbäume sehen im Himmel, man braucht irgendwann einen Trickdrachen. Lernen tut man die Tricks am besten vom Könner, wer Geduld hat und Geschick, blamiert sich nach zwei Jahren fast nicht mehr. Fortgeschrittene Kunstflieger legen sich irgendwann einen Stablenkdrachen zu – müssen aber mit gut 250 Euro rechnen.
Trickdrachen – etwa Topas 2.2 – kosten um die 130 Euro.
Für Genießer
Die Vorstellung hat schon was: Rauf auf den Olympiaberg, dort „Bernds Box“ oder den indonesischen Drachen „Lord Standard“ in den Himmel schicken – und im Mittelpunkt stehen. Kastendrachen sind a) Hingucker und b) einleinig, weshalb es in sportlicher Hinsicht keine Probleme geben dürfte. Man muss ja bloß die Schnur halten. Die Drachen derweil sind kleine Kunstwerke, mit denen man auf jedem Drachenfestival glänzt.
Lord Standard, Spannweite 145 Zentimeter, 39,90 Euro. „Bernds Box“ ist ein Gebilde aus 100 Mini- Segeln, 169 Euro.
Für die Immer-Flieger
Fortgeschrittene Piloten steigen um auf den 180 Grad Lenkdrachen, ein Allround-Ding, das „fliegt wie auf Schienen“, sagt Haugg. Wer tendenziell immer und überall kiten will, nimmt einen Leichtdrachen oder eine Zweiliner-Matte (ab 49,90 Euro), die in sich in jeden Rucksack quetschen lässt.
180 Grad Lenkdrache, 225 Zentimeter, 144,90 Euro.
Für Kinder und Bastler
Ja schon, die ganz simplen, einleinigen Kinderdrachen gibt es noch. Man läuft ein wenig – und los geht’s, wie früher. Nur die Materialien sind leichter, damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Dinger fliegen. Das Sortiment ist groß, Kinderdrachen sind Adler, Schmetterlinge, Frösche und Kraken. Wer unbedingt kleben will, kauft einen Bausatz für 4,90 Euro – und führt dann ein 49 mal 49 Zentimeter großes Clownsgesicht am Himmel spazieren.
Kinderdrachen kosten um die 15 Euro.
Für Abenteurer
Und jetzt: kommen wir zu Drachen, die Namen haben wie „devil wing“ oder „fast forward“, deren Segel groß sind wie Zimmerteppiche. Zu halten sind solche Teile nur noch mit Trapez, und überhaupt hat der Pilot mehr gemein mit einem Rodeo-Reiter als mit einem Freizeitsportler. „Es geht drum, dass einen der Drachen nicht über die Wiese zieht. Manchmal gewinnt auch der Drachen“, sagt Stephan Haugg. Ganz wichtig: in Reichweite der Drachenleinen dürfen keine Leute sein. Und: Bei fünf Beaufort bleibt man daheim, sonst fliegt man davon. Alles? Nein. Es geht noch weiter. „Absolute Extremteile“ haben Wände von Segeln, um die zu halten, knotet sich der Pilot an der Anhängerkupplung vom Auto fest.
„Cougar Lenkdrachen“, 267 mal 125 Zentimeter, 139,90 Euro. Den Extremdrachen „Mammut“, 420 mal 218, 399 Euro, hat Haugg bislang erst einmal verkauft.
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