Wie ein Münchner tapfer seine Krankheiten erträgt
München - Klaus Blüml wirkt ganz aufgeräumt. Wenn er schildert, was er in den vergangenen Jahren alles erdulden musste, tut er das in aller Nüchternheit. Jammern ist nicht das Seine. „Selbst an das alles gewöhnt man sich irgendwie”, sagt der 52-jährige Münchner. „Das alles” begann vor vier Jahren. Seither folgte ein gesundheitlicher Rückschlag auf den nächsten.
Doch von vorne: Schon als er 19 Jahre alt war, hatten die Ärzte Diabetes bei Klaus Blüml festgestellt. Jahrzehntelang konnte er gut mit der Krankheit leben. Er musste sich zwar täglich Insulin spritzen. „Aber das ist für Diabetiker wie Zähneputzen.”
Der Mann, der einen schönen oberbairischen Dialekt spricht, baute sich sein eigenes kleines Transportunternehmen auf. War mit seinem 3,5-Tonner in ganz Europa unterwegs. „Ich hab’ gut davon leben können”, sagt Blüml. Er hatte eine Lebensgefährtin, Freunde und Bekannte. Als Schuhplattler tanzte er im Trachtenverein „D’Neubeurer”. Nichts davon ist ihm geblieben.
Sein altes Leben endete 2008. Luftmangel. Panikattacken. Die Ärzte diagnostizierten einen Herzinfarkt. Vier Bypässe mussten ihm gelegt werden. „Seither ging’s bergab”, sagt Blüml und versucht ein müdes Lächeln. So als ob er sich selbst damit ein bisserl trösten wolle.
Ein Jahr nach der OP versagten seine Nieren den Dienst. Eines Tages lag er im Bett und konnte nicht mehr aufstehen. Er schaffte es bloß noch, seine Mutter anzurufen, die auch in München lebt. Sie fand ihn und rief gleich den Notarzt. Seither muss er zwei Mal wöchentlich zur Dialyse. „An sich ist das gar nicht schlimm. Aber es dauert halt jedes Mal fünf Stunden.”
Was ihn am meisten plagt: Die Durchblutung seiner Beine ist schlecht – eine Folge des Diabetes. Bis zum Knie hat er kein Gefühl. Sein Gang ist staksig und wackelig. Einmal ist er in seiner Wohnung deshalb schon gestürzt – an einem Freitag, den 13. Dabei brach er sich die Hüfte.
Derzeit ist er vor allem wegen einer Wunde am Fuß in Behandlung, die einfach nicht heilt. „Wahrscheinlich wird der Vorfuß bald abgenommen”, sagt Blüml. Zwei Zehen sind ihm schon amputiert worden. Doch selbst die grausige Perspektive auf eine weitere Amputation kann ihn nicht schrecken: „Ich habe von anderen Dialyse-Patienten gehört, die danach sogar besser laufen konnten.”
So viel Krankheit und Leid muss ein Mensch erstmal verkraften. In der Klinik haben sie Blüml psychologische Hilfe angeboten. Er lehnte ab. „Ich werde damit schon fertig.” Was ihn aber trifft, ist seine Einsamkeit. „Seit der Herz-OP haben sich alle irgendwie abgesetzt”, sagt er. Er könne halt einfach nicht mehr mithalten mit den früheren Bekannten. Weder körperlich noch finanziell.
Auch seine Beziehung ging nach 15 Jahren in die Brüche. „Sie hat gesagt, ihr ist das alles zu viel. Weil ja auch alles auf einmal daher gekommen ist.”
Früher, da ist Blüml oft an den Tegernsee gefahren. Der 1,96-Meter-Mann ging gerne spazieren. Heute schafft er kaum mehr die 500 Meter zur U-Bahn. Deshalb ist er meistens daheim in seiner knapp 30 Quadratmeter großen Wohnung in Untergiesing. „Wenn ich in der Früh aufwache, denke ich schon: Wie bringe ich den Tag rum?”
Der 52-Jährige weiß zwar: „Ich werde nie wieder richtig gehen können oder arbeiten.” Aber er wirkt trotzdem nicht entmutigt. Er steckt voller Pläne. Voller Wünsche. Er sucht nach einer neuen, behindertengerechten Wohnung. In dem Miethaus, in dem er nun lebt, streikt oft der Aufzug. Dann wird es für ihn zur Tortur, das Gebäude zu verlassen.
Gerne würde er sich auch ein neues Sofa anschaffen – das alte ist so durchgesessen, dass er kaum davon aufstehen kann. Zudem möchte Klaus Blüml sich einen Ersatz für seinen defekten Motorroller anschaffen. Das könnte ihm ein Stück Bewegungsfreiheit zurückgeben. Nichts davon kann er sich leisten: Der Mann lebt von Grundsicherung.
Manchmal träumt Klaus Blüml auch davon, wieder eine Frau kennenzulernen. Endlich nicht mehr allein zu sein. Das wäre sein größter Wunsch: „Jemanden zu finden, der mich akzeptieren kann, wie ich bin.”
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