Wie ein Münchner Pfarrer Kontakt zu seiner Gemeinde hält

Der evangelische Pfarrer Ulrich Haberl (58) vermisst den direkten Kontakt zu seiner Gemeinde. Stattdessen telefoniert er nun sehr viel und produziert Videobotschaften.
Ulrich Haberl |
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Nachbarschaftshilfe in der Corona-Krise: So kann man jetzt anderen helfen.
Robert Kneschke/Shutterstock.com Nachbarschaftshilfe in der Corona-Krise: So kann man jetzt anderen helfen.

München - Kirche steht ja auch dafür, dass der Mensch nicht vom Brot alleine lebt, sondern auch von Worten der Hoffnung und der Zuversicht, die man gemeinsam teilt. Nicht umsonst hat die Religionsfreiheit auch einen sehr hohen Rang im Grundgesetz. Deshalb war ich schon sehr überrascht, dass Gottesdienste bis zum Mai verboten sind.

Dass hingegen Baumärkte öffnen, steht für mich schon in einer seltsamen Spannung – wobei ich überhaupt nichts gegen Baumärkte habe! Die Einhaltung der wichtigen Hygieneregeln wäre meines Erachtens in einer Kirche leichter umzusetzen als in einem Laden.

Die vergangenen Wochen haben für uns Pfarrer bedeutet, dass wir sehr schnell neue Wege gehen mussten, um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Der Digitalisierungsschub ist auch an uns nicht vorbeigegangen. Jetzt produzieren wir zum Beispiel Videos. Da entsteht eine nette Vielfalt, die manchmal auch dilettantisch ist, aber das Wesentliche ist, den Kontakt halten.

"Eine Krise kann auch dazu führen, dass man näher zusammenrückt"

In unserer Gemeinde gibt es nun jeden Morgen ab 8 Uhr Gedanken für den Tag. Mittlerweile machen auch Gemeindemitglieder mit und teilen ihre Gedanken mit den anderen. Für viele ist das schon zu einer lieb gewonnenen Gewohnheit geworden. Man darf aber nicht unterschätzen, dass viele Menschen mit Computern nicht so viel am Hut haben.

Deshalb verschickt unsere Religionspädagogin per Post auch Impulse für die Familien. Und wir Pfarrer der Gemeinde haben an Ostern an alle Über-75-Jährigen einen Osterbrief geschickt. Das waren 965 Briefe – wir sind eine große Gemeinde.

Mein Eindruck ist, dass in dieser Zeit auch ganz viel Kontakt entsteht. Eine Krise kann auch dazu führen, dass man näher zusammenrückt. Fantastisch finde ich, dass man nun auch ein bisschen die Früchte seiner Arbeit erntet. Seit Jahren gibt es bei uns einen offenen Seniorenclub. 35 bis 50 trafen sich jede Woche zum Kaffeetrinken. Es rührt mich, dass diese Menschen nun auch in der Krise füreinander da sind. Sie telefonieren täglich, da ist ein richtiges Freundschaftsnetzwerk entstanden.

Ältere Leute in München scheinen gut mit Situation zurechtzukommen

In dem Brief haben wir auch Hilfe beim Einkaufen angeboten. Aber das Angebot hat kaum jemand angenommen. Stattdessen habe ich viele Rückmeldungen bekommen, dass Verwandte oder Nachbarn helfen. Das unmittelbare Umfeld ist natürlich viel besser. Vielleicht halten die Jüngeren und Älteren doch besser zusammen, als man meinte.

Nachbarschaftshilfe in der Corona-Krise: So kann man jetzt anderen helfen.
Nachbarschaftshilfe in der Corona-Krise: So kann man jetzt anderen helfen. © Robert Kneschke/Shutterstock.com

Münchner Pfarrer: "Ältere Menschen auch in ihrer Stärke wahrnehmen"

Wieder andere der Älteren haben mir gesagt, dass sie raus wollen und müssen, um ein Stück Autonomie und Selbstständigkeit zu bewahren. Wir Pfarrer telefonieren jetzt sehr viel. Für mich ist dabei eine sehr interessante Erfahrung, dass ein Großteil gerade der Älteren ganz gut zurechtkommt. Sie sind gelassener als die Jungen. Sie wissen, dass es Zeiten gibt, die man aushalten und durchstehen muss.

Es ist wirklich beeindruckend, welch emotionale Ressourcen sie haben. Da empfinde ich auch Respekt. Wir Pfarrer sind da gar nicht so sehr als Helfer und Retter gefragt. Im Gegenteil. Sie freuen sich über Kontakt und auch darüber, dass man ihre Selbstkompetenz wahrnimmt. Gerade ältere Menschen wollen auch in ihrer Stärke wahrgenommen werden und nicht als Bedürftige.

Ich persönlich ziehe sogar einen Gewinn aus der Krise: Als Pfarrer hat man ja sehr viele Abendtermine. Aber nun genieße ich es, halb acht Feierabend zu haben. Wir kochen gern und nach dem Essen spiele ich nun öfters mit unserem jüngsten Sohn, der letztes Jahr Abi gemacht hat, mit der Playstation Autorennen. Ich genieße es, dass ich in unserer Zwangs-WG noch so schöne Stunden mit ihm verbringen kann.

Lesen Sie hier: Gesundheitsreferentin Jacobs - "Die Krise hinterlässt ihre Spuren"

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