Wie der Wiesn-Stadtrat alle Twitter-Spuren löschen will
Hat jemand dem neuen Wiesn-Stadtrat Otto Seidl (70) schaden wollen und unter seinem Namen ein rassistisches Nacktfoto über den Kurznachrichtendienst Twitter versendet?
Oder hat der CSU-Mann das vor gut einem Jahr selbst getan – und sich jetzt in ein Notlügen-Geflecht verstrickt, um seinen neuen Posten nicht zu gefährden?
Wie berichtet, hatte das Foto am Mittwoch in der Stadtrats-Vollversammlung unmittelbar nach der Wahl Seidls die Runde gemacht und für große Empörung gesorgt. Denn es war vom Twitter-Account "@OttoSeidl" gepostet worden.
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Kein Twitter-Account – oder etwa doch?
Seidl allerdings bestritt, das Bild versendet zu haben, sagte gegenüber der AZ: "Ich habe gar kein Twitter" – und kündigte an, Strafantrag gegen Unbekannt zu stellen, wegen Identitätsdiebstahl und Rufmords.
Am Freitag allerdings entschied er sich zu einem Schritt, der nicht nur in den eigenen Reihen zumindest Verwunderung auslöste: Es war gerade 11.07 Uhr am Vormittag, da verschwand plötzlich Seidls Profilbild vom fraglichen Twitter-Account "@OttoSeidl". Statt seines Fotos prangte dort nur noch ein weißes Ei auf rotem Grund. Danach ploppte auch der schwulenfreundliche Tweet weg – der letzte Inhalt, der von dort geteilt worden war.
Die AZ erreichte Otto Seidl Minuten später telefonisch zuhause.
AZ: Herr Seidl, Ihr Foto ist gar nicht mehr auf dem Twitter-Account.
OTTO SEIDL: Ja, das habe ich gerade gelöscht.
Haben Sie den letzten Tweet auch gelöscht?
Ich bin dabei, den ganzen Account zu löschen. Ich will meine Ruhe haben. Ich werde auch mein Facebook löschen.
Wie können Sie denn etwas löschen, wenn das ja gar nicht Ihr Twitter-Account ist?
Ich habe mir ein neues Passwort schicken lassen. Ich habe das alte Passwort ja nicht mehr gewusst.
Nicht mehr gewusst? Erinnern Sie sich jetzt doch, dass Sie den Account angelegt haben?
Nein, aber es ist nicht ausgeschlossen. Ich habe nochmal nachgedacht. Es gibt ihn ja seit November 2013. Warum hätte ich ihn da nicht anlegen sollen, da war ja Wahlkampf. Danach habe ich aber nicht mehr damit gearbeitet, weil ich wahrscheinlich gemerkt habe: das ist nicht mein Ding.
Haben Sie nicht Strafantrag gestellt, damit ermittelt wird, wer dieses Nacktfotoversendet hat?
Das soll meine Anwältin machen.
Wie soll die Staatsanwaltschaft ermitteln, wenn Sie alles löschen?
Die Anwältin hat das doch alles ausgedruckt.
Herr Seidl, ist das zitierbar, was Sie jetzt gesagt haben?
Natürlich. Das können Sie alles schreiben, ich habe nichts zu verbergen.
Bei den Ratskollegen löste Seidls Idee, den Account im Internet verschwinden zu lassen, Kopfschütteln aus. "Seine Unschuld kann er so schon mal nicht beweisen", wundert sich ein Stadtrat. "Für mich schaut das immer mehr so aus, dass es doch sein Account ist und dass er auch dieses ekelhafte Foto gepostet hat", sagt ein anderer. "Damit hätte er entweder gelogen oder ein so schlechtes Erinnerungsvermögen, dass man sich fragt, ob er als Wiesn-Stadtrat zuverlässig arbeiten kann."
Der Twitternutzer @OttoSeidl, so viel lässt sich belegen, ist vor kurzem noch aktiv gewesen und hat sich mit anderen vernetzt – wie etwa mit SPD-Kollegin Anne Hübner, mit der Seidl im IT-Ausschuss sitzt. Auf AZ-Anfrage hat sie die Daten in ihrem Account geprüft: "@OttoSeidl folgt mir seit 10. Juni."
Seidl hat nach dem AZ-Anruf seine Lösch-Versuche vorerst eingestellt. In der CSU-Fraktionssitzung am Montag dürften unangenehme Fragen auf ihn zukommen.