Wie der Onlinehandel die Corona-Krise stemmen will

München - Wer momentan einen Lieferslot für einen Onlinebringdienst ergattern kann, hat Glück: Zwei Wochen oder länger kann es derzeit in München von Bestellung bis Liefertermin dauern. Wie aber weiter, wenn statt der Ware an der Haustür am Liefertag nur eine dürre Email im Postfach landet: Die Bestellung sei storniert.
Ältere Leute stehen dann vor einem Problem: Sie sind Riskogruppe des Virus, an die Ausgangssperre besonders gebunden, können nicht schwer tragen - und sollen einen Monat oder länger auf Grundnahrungsmittel oder Sanitärwaren warten.
Die Rewe-Gruppe versteht, dass ein solches, nicht ganz hypothetisches Szenario "super ärgerlich" sei. Allein: Der Onlinehandel nehme im gesamten Lebensmittelgeschäft mit einem Prozent eben nur einen kleinen Teil ein, erklärt Pressesprecher Thomas Bonrath: "Die Vorstellung, dieser Bereich könnte auf einmal große Teile der Bevölkerung problemlos und ohne lange Wartezeiten beim Lieferdienst versorgen, ist unrealistisch. Kapazitäten lassen sich nicht beliebig und schnell skalieren." Bleibt Kunden also wirklich nur, Ausfälle in Krisenzeiten hinzunehmen und selbst einkaufen zu gehen - ob mit Rollator oder ohne?
Aufstockung der Strukturen bei Amazon
Einige Onlinelieferer reagieren auf die unvorhersehbaren logistischen Engpässe. Den Konzernriesen Amazon stellt das unvorhersehbare Anschwellen des Onlinegeschäfts vor einen massiven Gewinn - so hat der Konzern binnen 10 Tagen um etwa 100 Milliarden Euro an Marktwert zugelegt - aber dennoch auch vor Herausforderungen.
"Wir weisen Kunden online darauf hin, dass aufgrund der erhöhten Nachfrage Sortiment und Verfügbarkeiten eingeschränkt sein können", sagt Pressesprecherin Christine Maukel der AZ. Für die Mitarbeiter im Außendienst wurde zudem ein Katalog an Sicherheitsmaßnahmen aufgelegt: Die Lieferung erfolgt möglichst kontaktlos.
Werbeversprechen für Arbeitskräfte anderer Branchen
Insgesamt wirbt der Konzern mit einer Aufstockung des Arbeitslohnes um zwei Euro brutto pro Stunde während der Krise - auch, um temporär freigestellte Arbeitskräfte aus benachbarten Branchen wie dem Restaurantgewerbe anzuziehen, die nicht mehr in ihren Berufen arbeiten können. Vorstellungsgespräche würden möglichst per Videoschalte geführt, heißt es aus dem Konzern.
In den Logistikzentren und im Logistiknetzwerk in Deutschland sollten 350 zusätzliche Voll- und Teilzeitstellen für die Dauer der Krise geschaffen werden - zusätzlich zu den bereits angekündigten Investitionen in den zwei Logistikzentren in Oelde und Sülzetal, die dieses Jahr starten sollen und wo 2.000 weitere Arbeitsplätze geschaffen würden.
Dem Praxistest hält dieses Werbeversprechen allerdings nicht Stand: In einer Stichprobe in Berlin wird wiederholt in den Vorraum eines mehrstöckigen Haues zugestellt - der Weg in den fünften Stock des Hinterhauses ist den Zustellern auch nach mehreren Mahnungen zu weit (oder der Liefer-Zeitplan zu eng?).
Von drei Amazon-Fresh-Lieferungen kommen in München zwei erst gar nicht beim Kunden an. Der Zusteller hebt unter der angegebenen Service-Nummer weder im - noch nach Ablauf des mehrstündigen Lieferfensters ab, und eine Kundendienstmitarbeiterin an der Hotline verweist darauf, dass der Kunde nun eben warten müsse, ob sich irgendwann im Tagesverlauf noch die Lieferung einfindet. Wie lange warten? Was denn mit der Liefergarantie ist? Ob der Bote überhaupt noch kommt? Fragen, auf die Amazon die Antwort schuldig bleibt - genau wie der Zusteller seinen Besuch an jenem Tag.
300 Prozent Steigerung bei Online-Startup
Auch Getnow, eine dritte flächendeckende Alternative für den Großraum München, expandiert: Im Vergleich zum Vorjahresmonat hat der Onlinehandel von Getnow im März 2020 um 300 Prozent zugelegt. Und auch hier behilft man sich mit Neueinstellungen aus benachbarten - teils schwer getroffenen - Branchen und mit dem Outsourcing an externe Dienstleister.
Die Lieferslots lägen derzeit zwischen zehn und vierzehn Tagen, heißt es aus dem Unternehmen.
Teilstornierungen von Bestellungen seien denkbar, etwa, wenn bestimmte Warengruppen nicht lieferbar sind. Bei einzelnen Bestellungen hätten gerade diese Warengruppen den Großteil der Bestellung ausgemacht.
Upgrade scheitert am Praxistest
Wo immer es möglich sei, würde der Kunde dann aber ein Upgrade bekommen: "Wir ersetzen Produkte auf unsere Kosten durch hochwertigere Markenware oder größere Packungen", erklärt Thorsten Eder, Chief Marketing Officer von Getnow. "Wenn 100 Gramm nicht mehr vorhanden sind, aber 200 Gramm - dann liefern wir größere Packung zum selben Preis."
Dem Praxistest hält das Werbe-Versprechen dann allerdings nicht stand: Die Lieferung dauert drei Wochen, mehrere Basis-Produkte werden ohne Ersatz storniert, andere zwar ersetzt - allerdings gegen deutlich günstigere Ware. Statt natursüßer Ananas gibt's dann eben Ananas in Zuckersaft, statt Magerquark die fettreiche Variante. Größere Packungen oder bessere Ware gibt's nicht.
Lieferverpflichtung für Unternehmen
Klar ist: Mit einer einseitigen Stornierung eines bestehenden Liefervertrages ist es in keinem Fall für das Unternehmen getan. "Grundsätzlich gilt: Hat ein Verbraucher über einen Lebensmittel-Lieferdienst eine Bestellung aufgegeben und ist der Vertrag zustande gekommen, sind beide Parteien an diesen Vertrag gebunden. Der Unternehmer hat sich verpflichtet die Ware zu liefern, und der Verbraucher hat die Pflicht, diese auch zu bezahlen", sagt Julia Zeller, Expertin für Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale.
Bei Nichtlieferung Schadensersatz verlangen
"Wird eine Lieferung storniert und möchte der Verbraucher an der Lieferung festhalten, sollte er die ausgebliebene Lieferung beim Unternehmen anzeigen und unter Fristsetzung auf die vertraglich vereinbarte Lieferung bestehen", so die Verbraucherschützerin. Entfalle trotzdem die Lieferung, habe der Verbraucher Anspruch auf Erstattung des bereits gezahlten Kaufpreises. Zudem "kann der Verbraucher Schadensersatz vom Unternehmer verlangen, wenn beispielsweise die Ware jetzt anderweitig zu einem höheren Preis beschafft werden muss."
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