Westernwelt im Isartal: Zu Besuch im Cowboy-Club

München - Werner Bänsch gerbt Bisonhaut mit gekochtem, tierischem Hirn. Der 66-jährige Maurer im Ruhestand verwendet dabei keine künstlichen Stoffe. Er beherrscht die traditionelle Technik, wie sie von nordamerikanischen Ureinwohnern im 19. Jahrhundert angewandt wurde. Bänsch, der eine Cappy mit Adlermotiv und hineingeklemmter Feder auf seinem Haupt trägt, ist eines von etwa 120 Mitgliedern des Cowboy-Clubs. Deren Prärie: das Isartal.

Der "kulturhistorische Verein" ist der älteste seiner Art in Deutschland, erzählt Gerhard Lack (69). Dessen Mitglieder betreiben "Living History", sagt der Vorstandsvorsitzende. Geschichte bewahren, in dem man sie lebt, ist die Idee. Die Diskussion um Karl May findet er überflüssig, erklärt Lack bald beim AZ-Besuch. "May war kein Antisemit." Und der Begriff "Kulturelle Aneignung" sei an sich schon hoch problematisch, da er nicht definiert sei. Die ganze Menschheitsgeschichte sei davon geprägt, dass Kulturen miteinander verschmelzen. "Das ist doch etwas Positives, solange nicht negative Stereotype dadurch verbreitet werden?"
"Wir singen nicht 'take me home, country roads' am Lagerfeuer"
Der Verein wurde 1913 von Fred Sommer, - dem Vater des AZ-Kolumnisten Sigi Sommer -, dessen Bruder Hermann sowie dem Freund Martin Fromberger gegründet. Sie einte ein Traum: nach Amerika auswandern, Freiheit erleben. Doch als der erhoffte Lotteriegewinn ausblieb und der Erste Weltkrieg begann, holten sie sich ihren Sehnsuchtsort westlich des Mississippis, den Wilden Westen, eben nach München.
Das Abenteuer-Genre war zu jener Zeit im Trend. William Frederick Cody alias "Buffalo Bill" war damals schon lang auf der Theresienwiese mit seiner "Wild-West-Show" aufgetreten, Winnetou und Old Shatterhand hatten bereits die Bücherregale erobert, Franz Kafka hatte gerade den "Wunsch, Indianer zu werden" aufgeschrieben und Isar-Western, wie "Die Rache im Goldtal", liefen in den bayerischen Kinos. Und das lang bevor Kevin Costner mit dem Wolf tanzte, oder Filme wie "Am Fuß der blauen Berge" und "Bonanza" aus den USA herüberschwappten.
Zeitreise in den Wilden Westen
Nahe der Isar, in der Zentralländstraße 37, erstreckt sich heute, fast 110 Jahre später, das Territorium des Cowboy-Clubs. Es ist eingezäunt, mitten im Grünen. Um einzutreten, wird eine an einem Seil gespannten Glocke geläutet. Lack, der mit Cowboyhut, Hemd, Jeans und Gürtelschnalle aussieht, als wäre er einem modernen Western entsprungen, und Club-Managerin Jenny Schneider (34) im 1870er "Wrapperdress" - einem Hauskleid - öffnen die Zaun-Pforte. Mit "Howdy" grüßt keiner. Dafür bellt der kleine portugiesische Straßenhund "Pipo", der eine Halskette mit Bernstein trägt.
Statt Stockenten auf der Floßlände erblickt der Besucher nun Pferde auf einer Ranch. Die filmreife Kulisse wirkt, als hätte man sich im wilden Ritt durch ein Zeitportal nach Nordamerika im 19. Jahrhundert begeben. Auf der Koppel wird Andalusier Duke gesattelt. Links ertönt aus einem Saloon leise Country-Musik. Daneben bearbeitet Bänsch die Felle. Gegenüber steht der originalgetreue Nachbau eines Trapperladens. Gewehre hängen hier an der hölzernen Wand, dort Töpfe und Geweihe. An einem baumelt Fuchspelz. Hütten wie diese wurden vor über 100 Jahren von sogenannten Trappern - den Pelztierjägern - betrieben.

Auch Stallungen sowie spartanisch eingerichtete Wohnhütten mit Bett und Holzofen stehen auf dem Areal. Bei Veranstaltungen, wie dem Western- oder Nähwochenende, wird übernachtet. Andere Mitglieder, wie Werner Bänsch und seine Frau Ursel, leben oft tagelang vor Ort in ihrem Zelt.
Alles, was zur Isartal-Prärie gehört, wurde im letzten Jahrhundert von Mitgliedern gesammelt oder selbst gebaut.
Lack, der im Ruhestand ist und einst für einen Wohlfahrtsverband gearbeitet hat, will eintauchen in die Geschichte, so tief wie möglich. Er ist seit der Kindheit von ihr in den Bann gezogen. Zuhause hat er 7.000 Bände zum Thema. Immer das Vorbild: das alltägliche Leben in Nordamerika - von den ersten Siedlern bis ins 20. Jahrhundert. Doch gehe es bei den Münchner Cowboys nicht nur um die den "Wilden Westen" zugeordneten Mythen, oder die bekannten Filme mit John Wayne und Bücher von Karl May. "Und schon gar nicht Hollywood, Revolver-Schwingen, oder diese Langes-Messer-Macho-Nummer. Wir sitzen nicht am Lagerfeuer und singen 'Take me home, country roads'."

Klar, eine Romantisierung und gewisse Stereotype seien nicht zu verhindern, vor allem nicht bei "Reenactments" (Nachstellungen eines historischen Ereignisses, Anm. d. Red.), so Lack. Doch wolle man authentisch sein. Was ist tatsächlich passiert? Wie war die Zeit für Frauen und Indigene? Auch Indianerkriege werden thematisiert, Sklaverei, Vertreibung.
"In dieser eigenen Welt kann man alles andere einfach ausblenden"
Der Zugang zu jener Zeit soll einerseits über die Kleidung gelingen. Es ist Pflicht, sich ein Kostüm anzuschaffen, oder originalgetreu herzustellen. Neben Indianern und Cowboys kamen seit der Gründung viele Rollen hinzu, die sich Mitglieder aussuchen: Soldat, Lakota-Krieger, Siedler, Mexikaner, Schreiner, Saloontänzerin, oder Büffeljäger - jene Position, die Bänsch gewählt hat.
Die Mitglieder - zwischen ein und neunzig Jahre alt - entscheiden selbst, in welche Haut und Zeitperiode sie hineinschlüpfen möchten. US-Bürgerkrieg 1861-1865? Viehtriebe ab 1865? "Jeder kann die Epoche und die Rolle selbst wählen, solange es historisch korrekt ist", so Lack. Hierarchien gebe es keine.
"Rassismus hat bei uns nichts zu suchen"
Man begegnet dem Thema mit Respekt, erklärt Lack. "Rassismus hat bei uns nichts zu suchen." Im Verein müssen Mitglieder geschichtlich genaustens informiert sein. Lack selbst hält Vorträge, zur Indianistik oder über die Belagerung von Alamo. Historische Namen für Mitglieder seien heute im Hobby überholt. Ehrenmitglieder wie Christian Ude alias "Häuptling Rote Feder" tragen sie allerdings noch.
Zum anderen nähert man sich der Geschichte über das Handwerk an. Mitglieder können lernen, wie man Felle gerbt, Lassos schwingt, traditionelle Kleidungsstücke näht oder Werkzeuge baut. Es gibt Saloon-Abende, an denen Karten gespielt oder der Volkstanz Square Dance zum Besten gegeben wird. Ausritte dürfen freilich nicht fehlen, auch eine Schützengilde kommt monatlich zusammen und das Bogenschießen kann erlernt werden.
In einem Museum sind die Handschuhe von Buffalo Bill ausgestellt, ebenso Kreationen der Mitglieder, darunter Bögen und Federschmuck. Einer der Münchner hat eine der Jacken genäht, die Winnetou-Filmstar Pierre Brice getragen hat, so Lack. Auch ein Stirnband von John Wayne ist dabei.

Wenn Lack nicht im Club ist, bewirtschaftet er sein Jagdrevier oder liest. Bald möchte er mit dem Kajak durch den kanadischen Busch fahren. Und Schneider, die in Elternzeit ist, arbeitet im Einzelhandel.
Was ihnen als Rückzugsort jedoch immer bleibt, ist ihr kleiner Western-Kosmos. "Es ist eine eigene Welt hier", so Lack. Auch entschleunigend wirke sie, erklärt Schneider. "Man kann ausblenden was außerhalb - in der Alltagswelt - passiert und zudem das Beisammensein, den Austausch mit den Mitgliedern genießen." Und freilich sind da alle Charaktere vertreten: vom einsamen Helden, über den echten Abenteurer bis hin zum historisch korrekt dargestellten Bisonjäger - beinahe wie in einem Karl-May-Roman.