Weshalb die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge so groß ist
München - Deutsche, die jubelnd Flüchtlinge am Bahnhof willkommen heißen, die Kleidung, Nahrung und Möbel spenden, die Fremde bei sich aufnehmen und ihnen Deutsch beibringen - in Deutschland herrscht derzeit eine große Hilfsbereitschaft. Das widerspricht dem Bild, das viele von den Bundesbürgern haben. "Wir müssen vielleicht auch Abschied nehmen von der Ansicht, dass die Deutschen so sind, wie man denkt, nämlich nur kühl oder der hässliche Deutsche", sagt der Sozialpsychologe Prof. Dieter Frey von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Wir wissen nicht erst seit der WM 2006, dass dieses Land auch total locker, tolerant und fremdenfreundlich sein kann."
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Ängste und Bedenken nicht ignorieren
Es gebe einen hohen Anteil von etwa 20 Prozent der Bevölkerung, der sich bürgerschaftlich engagiere. Die große Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge liegt nach Ansicht von Frey aber auch darin begründet, dass sich nahezu alle Repräsentanten des Staates und des öffentlichen Lebens wie etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Joachim Gauck sowie Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften, Presse, des Sports und der Wirtschaft positiv zu den Flüchtlingen geäußert haben.
Doch was ist mit denen, die Ängste, Bedenken und Kritik an der Zuwanderung haben - werden die nicht an den Rand gedrängt? Diese Menschen sollte man nicht in eine Schublade stecken, warnt Frey. "Man sollte über Ängste reden können." Es sei vollkommen in Ordnung, dass Bedenken geäußert werden. Es solle jedoch positiv vermittelt werden: "Wir können es, wir wollen es, wir müssen es."
Die nationalsozialistische Vergangenheit spiele dabei auch eine Rolle, sagt Frey. Viele Deutsche spürten eine besondere Verantwortung. Zudem habe Deutschland durch die vielen innerdeutschen Flüchtlinge am Ende des Zweiten Weltkriegs und auch um die Zeit der Wiedervereinigung herum Erfahrung mit Zuwanderung.
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Deshalb spenden die Deutschen für Flüchtlinge und nicht für Obdachlose
Doch warum gilt die Empathie der Deutschen in so großem Maß den Flüchtlingen und nicht Einsamen, Kranken und Obdachlosen? Der Grund liegt für Frey darin, dass etwa Obdachlosigkeit häufig als selbst verschuldetes Unglück angesehen werde. "Bei den Flüchtlingen weiß man, das sind Leute, die traumatische Ereignisse hinter sich haben, vor diesen traumatischen Ereignissen geflüchtet sind und denen man in irgendeiner Weise helfen muss."
Doch gebe es bundesweit auch 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die fremdenfeindliches Potenzial haben, warnt Frey. Wo ohnehin schon fremdenfeindliche Einstellungen verbreitet seien, entstehe bei einigen durch die Zuwanderung nun der Eindruck, etwas tun zu müssen - teils auch durch kriminelle Akte. Könnte die deutsche Gesellschaft über die Frage nach dem Umgang mit den Flüchtlingen auseinanderdriften, gerade auch nach den Terroranschlägen von Paris? "Das sehe ich im Moment nicht", betont Frey. "Paris bewirkt ein hohes Ausmaß an Solidarität."